Der Letzte nimmt den Müll mit

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Die Industrieabfälle im grenznahen Ottange zeigen Frankreichs laschen Umgang mit der Umwelt.

Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass die Schadstoffe auf dem Gelände eines ehemaligen Metallverarbeitungsbetriebs im lothringischen Ottange eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen, ist bisher wenig passiert. Der Fall zeigt ein strukturelles Problem: Umweltschutz stand in Frankreich lange hinten an.

Wie berichtet, verrottet südlich der ehemaligen Industriestadt Ottange, nur drei Kilometer von der luxemburgischen Grenze entfernt, bis heute tonnenweise Giftmüll aus einem Metallverarbeitungsbetrieb. Obwohl das Unternehmen bereits 2014 in die Insolvenz ging, haben die französischen Behörden das Gelände inmitten eines Wohngebiets bisher weder vollständig geräumt noch abgesperrt (Link)

Bachlauf der direkt nach Luxemburg fließt

„Ich bin, ehrlich gesagt, verwundert“, sagt Philippe Foltzer, als er von den Tageblatt-Recherchen zum Giftmüll auf dem Gelände seiner ehemaligen Firma erfährt. Zwischen 2010 und der Insolvenz 2014 war er Geschäftsführer in dem Betrieb, in dem zuletzt 14 von einst mehr als 100 Mitarbeitern Teile für Elektrogeräte herstellten. Er habe das Gelände seit der Insolvenz nicht mehr betreten dürfen und wisse nicht, wie es da aussehe. Rechtlich sei er aber auch nicht dafür verantwortlich, stellt der Unternehmer klar.

An Foltzers Stelle trat im Frühjahr 2014 der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter, der Anwalt Salvatore Nardi. Doch auch Nardi erklärt am Telefon, ihm seien im Fall Ottange „die Hände gebunden“. Natürlich habe er die warnenden Berichte der regionalen Umweltbehörde Dreal gelesen. Schließlich hatte die Dreal (wie berichtet) etwa vor einer „Explosionsgefahr“ gewarnt und vor Havarien, auch in Richtung Kälbach, eines an das Gelände grenzenden Bachlaufs, der direkt nach Luxemburg
fließt.

Nicht genügend Mittel

Leider hätten ihm aus dem Firmenvermögen nicht genügend Mittel für eine vollständige Räumung zur Verfügung gestanden, sagt Nardi, lediglich einige Säurebäder der Firma habe er evakuieren lassen. Hierfür habe er sich bereits eine Sondergenehmigung des nationalen Gehälterfonds (FNGS) einholen müssen. Dessen Forderungen hätten nahezu alle verbleibenden Gelder des Unternehmens aufgebraucht. Und das sei bei Weitem kein Einzelfall, so Nardi, „wir haben oft kein Geld, um die Gelände zu entgiften“.

Das Grundstück der Firma Profilest sei „gesichert, man kann es nicht betreten“. Diese Aussage überrascht aus dem Munde von Fabienne Manichetti, der Bürgermeisterin der Stadt Ottange. Offensichtlich ist sie nicht auf dem neuesten Stand. Am Telefon erklärt sie, sie befürchte eine Verunreinigung des Profilest-Geländes. Manichetti verweist für weitere Informationen auf den übergeordneten Gemeindeverband (CCPHVA), dieser sei mittlerweile für das Gelände zuständig. Doch auch der Gemeindeverband verfügt augenscheinlich nicht über alle Informationen.

Behörden ohne Informationen

Genau wie im Rathaus beschwert man sich auch dort über eine mangelhafte Kooperation des Insolvenzverwalters. Ohne dessen Mithilfe könne nämlich eine 2015 angeregte, 120.000 Euro teure Studie zur Neunutzung des besagten Grundstücks nicht realisiert werden. Derzeit warte man zudem auf eine Stellungnahme der nationalen Umweltorganisation Ademe, die Anfang des Jahres die Räumung des Geländes angemahnt hat. Die Ademe erklärt, ihrerseits auf eine Zusage des Umweltministeriums zu warten.

In Frankreich dauert es oft sehr lange, bis ein Firmengelände geräumt werden kann, lautet die Einschätzung von Gérard Landragin, Entsorgungsexperte beim lothringischen Umweltdachverband Mirabel. Man habe insbesondere in Lothringen eine „traditionsreiche Industriegeschichte“, in der Unternehmer am Ende oft eine „aus Umweltsicht schwierige Situation“ hinterlassen hätten, erklärt der Umweltingenieur.

Umwelt ohne Schutz

Am problematischsten seien die Insolvenzfälle. Dazu sehe der Gesetzgeber vor, dass aus dem verbleibenden Firmenvermögen zuerst die Gläubiger ausgezahlt werden müssten: „Ausgaben für den Umweltschutz kommen erst nach ausstehenden Gehältern, Sozialabgaben und Ausgaben für andere Schuldner.“ Dennoch habe es in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben. So müssten neue Unternehmen mittlerweile Geld für Räumungen zurückstellen.

Bestandsbetriebe wie die Profilest seien davon allerdings nicht betroffen. Und selbst die Neuregelung sorge oft nicht dafür, dass wirklich ausreichende Summen für den Fall einer Firmenpleite zurückgehalten würden, so der Experte. Sein Fazit: „Beim Thema Umwelt sind wir hier in der Gegend nicht sehr weit fortgeschritten.“

Noch drastischer formuliert es Raymond Leost vom nationalen Umweltdachverband France Nature Environnement: „In Lothringen wird scheinbar geltendes Umweltrecht systematisch missachtet.“

(Robert Schmidt und Bénédicte Weiss)