David und der digitale Goliath

David und der digitale Goliath
(jgarroy)

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Ein ehemaliger Plattenhändler erzählt vom Untergang der CDs und wie er sich die Zukunft des Musikgeschäfts in Luxemburg vorstellt.

Fabrice Jung gehört zu diesen seltenen Leuten, die leidenschaftlich Musik hören und auch mal nach Paris und Brüssel fahren, um eine der zahlreichen Lieblingsbands live zu erleben. Jahrelang war er Geschäftsleiter diverser CD-Läden in unserer Hauptstadt, in der sich mittlerweile zig seelenlose Kettenläden etabliert haben. Wir haben uns mit ihm im MNHA, wo er heute arbeitet, getroffen, um über das Verschwinden des unabhängigen Plattenladens zu reden.

Tageblatt: Fabrice, du warst jahrelang Plattenhändler. Kannst du uns ein wenig von deiner Erfahrung erzählen?

Fabrice Jung: Von 1991 bis 2002 war ich für den „Sound“-Laden in der Stadt verantwortlich. Damals gab es sechs verschiedene „Sound“-Läden in Luxemburg. Der „Sound“, in dem ich Geschäftsführer war, befand sich in der Galerie Neuberg, wo ich später dann, nachdem der Besitzer der Läden sich dazu entschied, aus dem Geschäft auszusteigen, den „New Sound“ aufmachte.
Mithilfe von zwei finanziellen Partnern führte ich den „New Sound“ von 2002 bis 2010, danach arbeitete ich im „Black Records“, der schräg gegenüber vom Urban war. Das Problem dort war die Miete. Die Miete in der Stadt Luxemburg macht es fast unmöglich, sich als Plattenhändler über Wasser zu halten. Deswegen sind ja auch fast nur noch große Ladenketten in der Hauptstadt. Das gilt für alle westlichen Hauptstädte, hier scheint es mir aber noch ausgeprägter.

Wie viele Plattenläden gab es damals in Luxemburg?

Alleine in der Hauptstadt gab es fünf Plattenläden. Meinen „New Sound“, „Télé-Disc“, den „CD-Buttek beim Palais“, „Park Music“ und den „Mono Records“ auf dem Boulevard Royal. Letzteren gab es allerdings nur zwei Jahre …

Wie siehst du die heutige Lage?

Es gibt heute noch den „Réservoir“, der zwar auch CDs und Platten verkauft, hauptsächlich aber Videospiele, DVDs und Comics. Und den „CD-Buttek beim Palais“, der aber viel von Secondhand-Verkäufen lebt. Dann gibt’s noch den Saturn. Aber die Filiale hat sich dazu entschieden, ihre CD- und Vinyl-Abteilung lieblos und spärlich zu gestalten. Es gibt hier in Luxemburg keinen Laden, in dem ein musikbegeisterter Schallplattenhändler dem Kunden interessante Neuerscheinungen vorstellt. Jetzt soll zwar die Fnac kommen, aber wie diese dann in Luxemburg ihre Musikabteilung gestalten wird, bleibt abzuwarten. Ein Plattenladen in Luxemburg kann gar nicht mehr laufen. Was funktionieren könnte, wäre eine Art Concept Store. Wo du zum Beispiel auch Konzerte organisieren könntest, eine Kaffee-Bar hättest und andere Musik-verbundene Produkte verkaufen könntest.

Ein bisschen wie „Rough Trade“ in London also? Die organisieren ja auch regelmäßig Konzerte, verkaufen Bücher, T-Shirts …

Ja, genau. Ich glaube, so was könnte noch Erfolg haben.

Einen „waschechten“ CD-Laden gibt es in diesem Sinne in Luxemburg nicht mehr. Wie sieht es im benachbarten Ausland aus?

Im Ausland hast du zum Beispiel den „Rex Rotari“ in Saarbrücken. Das klappt einfach, weil der Laden in einem zwielichtigen Viertel liegt, sprich die Miete da wohl niedrig ist. Dasselbe gilt für Metz: Da gibt es auch zwei kleine Plattenläden, die sich dank einer niedriger Miete über Wasser halten. In Köln gibt’s ganze fünf unabhängige Plattenläden. Aber die zahlen achtmal weniger Miete – ja, achtmal! – als in unserer Hauptstadt.

Wie erklärst du dir das Schwinden der Plattenläden im Allgemeinen?

Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Erstmals hören die jungen Leute heutzutage Musik ganz anders. Oft kennen die nur ein paar Tracks eines Künstlers. Das Konzept eines Albums kommt einem dabei schnell abhanden. Des Weiteren habe ich den Eindruck, dass es in der zeitgenössischen Musikszene – ich rede da hauptsächlich von Rock und Indierock – einen gewissen Mangel an frischem Blut gibt. Sieh dir mal die Headliner von Festivals wie dem Werchter an. Wie kann es sein, dass auf großen Festivals immer noch Bands wie Placebo, Radiohead oder die Red Hot Chili Peppers ganz oben stehen? Also nichts gegen diese Bands – ich mag die alle, aber die sind doch alle schon ewig im Business. Potenzielle Nachfolger wie Bloc Party haben es irgendwie verpasst, sich zu solchen Größen hinaufzuschaukeln.
Folglich gibt es heutzutage auch kaum mehr Alben, die sich wie warme Semmel verkaufen. Damals haben wir ein Radiohead-Album – als kleiner Laden, wohlgemerkt – locker 200-mal verkauft. Am Veröffentlichungstag standen die Leute Schlange.
Heute gibt es diese Erwartungshaltung nicht mehr. Schon lange vor der Veröffentlichung hast du dir das Album bequem aufs Smartphone gezogen. Dazu kommt dann auch noch, dass der Verkauf von CDs auf einmal steil hinabstürzte. Innerhalb von drei Jahren war es vorbei mit dem Silberling. Und für einige von uns.

Wieso?

Wir mussten gegen legale und illegale Downloads ankämpfen. Und zusätzlich auch noch gegen Amazon ankommen. Bei „Black Records“ kamen viele Leute herein, die sich die CDs ansahen, unseren Rat suchten – und dann später das Album auf Amazon bestellten. Weil es da billiger war. Was die Leute nicht begreifen, ist, dass diese paar Prozent, die das Album bei uns mehr kostete, unsere Gewinnbeteiligung darstellte. Wir mussten ja auch was verdienen, die exorbitante Miete wettmachen.

Das Verkaufen von Musik, das Weiterempfehlen von Bands ist immer deine Leidenschaft gewesen. Würdest du noch einmal einen Plattenladen eröffnen?

Nicht in der klassischen Form. Das wäre hier in Luxemburg zum Scheitern verurteilt. Aber diese Idee des Concept Store – die geht mir nicht ganz aus dem Kopf.

Das Tageblatt nimmt diese Woche das luxemburgische Musik-Business unter die Lupe. Neben diesem Interview lesen Sie in der Print-Ausgabe vom Dienstag eine Reportage über die Entwicklung der Tonträger. Am Mittwoch steht der Rock im Fokus, am Donnerstag die Klassik- und Hip-Hop-Szene, am Freitag wird es um den Jazz gehen und am Samstag um die Musikbranche im Allgemeinen.