Das Neun-Punkte-Programm, das Bildungsminister Claude Meisch am Donnerstag in der „Chambre de commerce“ zur Reform der frühkindlichen Bildung präsentierte, klingt nach einer kleinen Revolution. Klein, weil die Realitäten, auf denen es basiert, schon lange bekannt sind. Revolutionär, weil sich die Politik zum Handeln veranlasst sieht.
Um spätere Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten, greift die Reform dabei auf etwas zurück, was in Luxemburg nahe liegt: Qualifikation durch Mehrsprachigkeit, deren Erwerb bereits im frühkindlichen Alter ansetzen soll. „Der kompetente Umgang mit mehreren Sprachen ist in Luxemburg maßgeblich für eine gelingende Bildungsbiografie.“ Markige Sätze des Programms wie dieser geben die Richtung vor, auf die alles hinausläuft. Dem liegen mehrere Einsichten zugrunde, die – genau genommen – seit Langem bekannt sind. „Ungleichheit beginnt bereits in der Wiege“, wie Michael Vandenbroeck von der Universität Gent in Belgien es formulierte, lautet eine.
Die Eltern im Fokus
Die zweite rückt die Eltern in den Fokus. Sie sollen, geht es nach dem Willen des Ministers, zukünftig enger mit den „Crèches“ kooperieren und in deren Arbeit miteinbezogen werden.
Die dritte und wesentliche, aber auch nicht neue Erkenntnis lautet: Es reicht erstens nicht mehr, „Crèches“ nur als „Versorgungsstation“ für Kleinkinder arbeitender Eltern zu betrachten. Denn zweitens ist die Lebenszeit eines Menschen zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr prägend und lange als bildungspolitisches Feld vernachlässigt worden. Mit „es reicht nicht mehr, nur allein auf die Schulen zu schauen“, legte Meisch am Donnerstag die ministerielle Begründung nach.
Stärkere Vernetzung geplant
Das Programm, das demnächst auf den Weg gebracht und zur Rentrée 2016 Realität werden soll, sieht mehrere Neuerungen vor. Auf verwaltungstechnischer Ebene soll ein nationaler Rahmenplan die Einhaltung der zuvor festgelegten Standards der frühkindlichen Erziehung gewährleisten. „Crèches“ und Schulen sollen sich stärker vernetzen und den Übergang von der einen Einrichtung in die andere erleichtern. Das mag gelingen, wenn die mehrsprachige Förderung in den „Crèches“ Realität wird. Dabei wird es vor allem um das Erlernen der Landessprache und der hiesigen Schulsprachen gehen, aber auch um die Muttersprache. Dafür wiederum soll der „Betreuungsschlüssel“, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt, heraufgesetzt werden. Praktisch bedeutet das mit Inkrafttreten der Reform einen großen Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal in den „Crèches“.
Französisch- und deutschsprachige Erzieher zu finden, dürfte nicht das Problem sein, den muttersprachlichen Part sollen die Eltern übernehmen. Am Ende sollen Vierjährige stehen, die problemlos vom Luxemburgischen ins Französische oder Deutsche wechseln, denken und träumen können, ohne dabei – sofern ein Migrationshintergrund vorhanden ist – ihre Muttersprache zu vernachlässigen. Die Begründung liefert die Wissenschaft. „Monolingualität wird in der Zukunft ein Handicap sein“, heißt es aus Gent. Michael Vandenbroeck, Vorsitzender des „Centre d’innovation de la petite enfance“, forscht seit Langem zu Fragen der Kindheit, Familienpädagogik und Themen sozialer Arbeit.
Mehrsprachigkeit
Der Wissenschaftler sagt das vor dem Hintergrund einer sich immer mehr globalisierenden Welt. „Mehrsprachigkeit ist etwas, das unseren Kindern Horizonte eröffnet, sie neugierig macht auf andere Kulturen“, sagt er. Dass dem die aufklärerische These, dass alle Menschen dies auch wollen, zugrunde liegt, verneint er nicht. Er und sein Kollege Michael-Sebastien Honig von der Universität Luxemburg nehmen gerade teil an einer europäisch ausgelegten Konferenz zur frühkindlichen Entwicklung, die in der „Chambre de commerce“ stattfindet.
Als Experten und Teil der Pressekonferenz am Donnerstag erklärt ihre Anwesenheit die für bildungspolitische Fragen ungewöhnliche Wahl des Ortes. Wenn alles so kommt, wie gestern angekündigt, wächst demnächst eine Generation heran, für die interkulturelle Kompetenz kein Fremdwort mehr ist.
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