„Band zwischen Wachstum und Wohlstand ist gerissen“

„Band zwischen Wachstum und Wohlstand ist gerissen“
(Tageblatt-Archiv/ Fabrizio Pizzolante)

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11,6 Prozent der Menschen in Luxemburg gelten laut Eurostat als „working poor“. Ihr Einkommen macht weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens aus. Eine erschreckende Bilanz für eines der reichsten Länder der Welt. Innerhalb der EU stehen nur Griechenland, Spanien und Rumänien schlechter da.

Menschen, die trotz Arbeit arm sind: Am Mittwoch standen sie im Mittelpunkt der parlamentarischen Debatten. Dies im Rahmen einer von „déi Lénk“ angestoßenen Interpellation.

„Der Streit, wieviel vom erwirtschafteten Wert an die Menschen geht, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und wieviel an die Industriellen, die die Maschinen zur Verfügung stellen, ist so alt wie die industrielle, kapitalistische Revolution.“ Marc Baum („déi Lénk“) macht gleich beim ersten Satz klar, in welche Richtung es gehen wird. Und er macht auch deutlich, dass dieses Bild sich nicht zwangsläufig aus einem hohen wirtschaftlichen Wachstum ergibt. In der Schweiz und in Island etwa liegt der Anteil der „working poor“ nur bei 8 bzw. 7 Prozent.

„Diese Zahlen zeigen ganz einfach, dass in Luxemburg der enorme wirtschaftliche Reichtum extrem ungleich verteilt wird“, so die Analyse von Marc Baum. Plastisch zeige sich dies daran, dass der Netto-Mindestlohn unter dem Armutsrisiko liege und auch unter dem, was der Statec rezent als Minimum zum dezenten Leben errechnet hat.
„Dezent leben zu können müsste eigentlich die zentrale Funktion des Mindestlohns sein“, so Baum. Eine deutliche Anhebung ist denn auch einer von fünf Lösungsansätzen seiner Partei. Reduzierung der prekären Arbeitsverhältnisse, Sozialleistungen wieder indexieren und punktuell anheben, bessere Regulation des Wachstums, weniger Druck auf dem Wohnungsmarkt, und eine sozial gerechtere Steuerpolitik sind weitere Pisten. „Das Band zwischen Wachstum und Wohlstand ist in Luxemburg gerissen“, so Baum. Und die Sozialpolitik habe als Korrektiv zur Umverteilung versagt.

Höherer Mindestlohn

In weiten Teilen wurde die Analyse von Marc Baum von den Rednern quer durch alle Parteien geteilt. Taina Bofferding (LSAP) betonte, es gehe nicht nur um Arbeit, sondern um ein dezentes Leben. Letztlich sei die Kohäsion der Gesellschaft in Gefahr. Mit der Steuerreform und den sozialen Maßnahmen im Familienbereich habe die Regierung bereits wichtige Schritte gemacht um das Armutsrisiko zu verringern, fand Georges Engel (ebenfalls LSAP).

Auch Arbeitsminister Nicolas Schmit betonte die Bedeutung steuerlicher Maßnahmen und einer soliden Sozialpolitik. Er versperre sich nicht generell einer Anhebung des Mindestlohns, betonte der Minister. Dies werde statistisch zu einem besseren Bild führen.

In der Praxis riskiere man aber eine ganz andere Entwicklung, mahnt er: „Eine weitere Anhebung des heute schon vergleichsweise hohen Mindestlohns wird Luxemburg noch attraktiver für Grenzpendler machen. Da kommen dann auch deutlich Überqualifizierte, um einfache Jobs zu besetzen“.

Reform des Staatsrats

Mit den Stimmen von DP, LSAP und „déi gréng“ wurde anschließend die Reform des Staatsrats angenommen. Sicherlich habe sich die Modernisierung in ihren großen Linien aufgedrängt, stimmte Léon Gloden (CSV) in seiner Intervention Berichterstatterin Simone Beissel (DP) zu. In einer Reihe von Punkten habe man aber keinen Konsens mit den Regierungsparteien finden können, so der Redner. Seine Fraktion stimmte am Ende gegen den Text.

Insbesondere wollte die CSV das Nominierungsrecht der Staatsratsmitglieder exklusiv dem Parlament übertragen. Irritation bei den Fraktionspräsidenten der Koalitionsparteien. Damit würde der Staatsrat praktisch zu einer zweiten Kammer. Das sei nicht im Sinne der Verfassung, so Eugène Berger (DP). Sogar der Staatsrat selbst habe sich gegen eine solche Nominierungsprozedur ausgesprochen, bemerkte Alex Bodry (LSAP). Keine Reform, sondern nur ein paar kleine Pflaster für eine altbackene, verkrustete Institution, meinte Marc Baum („déi Lénk“). Seine Fraktion enthielt sich bei der Abstimmung.