Leserforum„Noch einer, der betteln geht“

Leserforum / „Noch einer, der betteln geht“
   

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Gerade habe ich gelesen, dass wir Luxemburger Rentner als einzige in Europa (und somit höchstwahrscheinlich weltweit) mehr verdienen als das Durchschnittsgehalt der Bevölkerung. Meine kleine rumänische „Freundin“, die mir schon von weitem „Papi“ zuruft und mir dann unwahrscheinliche Geschichten erzählt, um mir einige Zwanziger aus der Tasche zu ziehen, scheint dies schon länger zu wissen. Weshalb sollte ich ihr nicht von meinem Überfluss geben, wohl wissend, dass ich dadurch die Armut nicht verschwinden tue. Auch mein Gewissen wird nicht leichter. Eher das Gegenteil. Denn, wenn ich dem fünften Bettler mein letztes Kleingeld in den Becher gelegt habe und der sechste dann leer ausgeht, fühle ich mich wie ein heutiger Wirtschaftsminister sich fühlen müsste. In einer tragischen Komödie von zwei Parallelwelten, die der Reichen und diejenige der Armen, welche sich erst in der Ewigkeit treffen werden. Bis dahin werden sie brav parallel weiterleben. Und lasset uns nichts vormachen, im Einverständnis von uns Reichen allen zusammen. Auch den Gutmenschen unter uns, die jetzt seit Wochen wie selbsternannte Don Quichottes gegen die Windmühlen des Herrn Gloden ankämpfen.

Solange wir nicht imstande sind, unser Leben so zu ändern, dass kein Bettler mehr auf der Straße sitzen muss, solange müssen wir mit unserem schlechten Gewissen auskommen, ob wir nun für das Bettelverbot sind, oder nicht.

Als reicher luxemburgischer Rentner stört es mich, Leute auf der Straße sitzen zu sehen, die betteln. Es stört mich auch noch, nachdem ich etwas spendiert habe. Wie oft habe ich einen Umweg gemacht oder die Straßenseite gewechselt, um nicht noch einmal etwas in den Becher legen zu müssen. Aber solange eine oder einer sich auf dem „Bürger“-Steig niederlässt, um zu betteln, so geht das keinen etwas an, außer denjenigen, der sich aus welcher Ursache auch immer dazu bewegt fühlt, eine kleine Spende aus seinem Überfluss in den Becher zu legen.

Natürlich finde ich das Bettelverbot absurd. 250 Euro Strafe für illegales Betteln. „Ja bitte Herr Polizist, geben Sie mir einen Monat, damit ich 250 zusammenbetteln kann.“

Wenn es nicht tragisch wäre, wäre es lächerlich. So wie die feinen Unterschiede zwischen friedlichem, aggressivem und organisiertem Betteln. Da höre ich unmissverständlich das kleinbürgerliche Aufbegehren nach bürokratischer Ordnung heraus. Man möge uns doch von oben herab „humane“, wenn nicht sogar „humanistische“ Verordnungen zum reinen Gewissen verabreichen. Denn der Bettler zeigt mir in aller Radikalität den Abgrund zwischen meinem Sentimentalismus und der Brutalität meines Überlebenswillens, wenn es darauf ankommt, in meinem gewohnten Komfort weiterzuleben.

Der Bettler stört meine heile Welt.

Die Frage ist im Grunde nur, wie weit ich mit dieser Störung leben kann, bevor ich Gesetze mache, um sie aus der Welt zu schaffen.

Lol
1. Februar 2024 - 15.08

Wann ee net méi ka mam schlechte Beispill viergoen da gët een alt gutt Rôtschléi. Jidverdreen ka machen a lôsse wéi a wât e wëll. Fréi Bierger an engem fréie Land!

liah1elin2
1. Februar 2024 - 14.54

Guter Kommentar, danke. "Der Bettler stört die heile Welt" eines Grossteils der Bevölkerung, die sich wohl Gesetze wünschen, der auf die Eliminierung des Bettlertums hinzielt. Oder sie schauen gleichgültig weg aus Desinteresse am Thema, obwohl ich mir ja das Gegenteil wünsche und diesen armen Menschen geholfen werden kann, gerne privat oder nachhaltig vom Staat.