Über Erinnerungen, Sprachenwahl und Hiob

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Pol Sax wurde für sein Romandebüt „U5“ mit dem diesjährigen Prix Servais ausgezeichnet. Ein Gespräch mit dem in Berlin lebenden Luxemburger Schriftsteller. Interview: Thomas Schoos

Tageblatt: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem triumphalen Einzug in die luxemburgische Literaturszene. Wie fühlt es sich an, auf Anhieb einen solchen Preis einzufahren?
Pol Sax:
„Gut fühlt es sich an. Ich glaube, jeder Schriftsteller durchläuft Phasen in seinem Schaffen, in denen er sich fragt, ob das, was er tagaus, tagein an seinem Schreibtisch tut, wirklich brauchbar ist. Ob es Menschen dazu animiert, zu verweilen, weiter zu lesen und nicht völlig überkonstruierter Schrott ist. Eine solche Anerkennung ist also irgendwie eine Form der Besänftigung.“

„T“: Sie leben und arbeiten hier in Berlin. Hand aufs Herz – wäre Ihnen ein deutscher Buchpreis lieber gewesen?
P.S.:
„Nein. Natürlich würde ich mich über einen deutschen Preis freuen. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass sich mit einem großen deutschen Preis meine Lebensverhältnisse drastisch ändern würden. Eine Auszeichnung in Deutschland bringt in der Regel eine Explosion der Verkaufszahlen mit sich. Das würde mich gewiss nicht stören. Aber von der fachlichen Anerkennung her freut es mich doch schon in besonderem Maße, in Luxemburg ausgezeichnet zu werden. Ich bin lange weg aus Luxemburg. Für mich hat das was von Heimkehr.“

„T“: Sie sind in Schifflingen geboren, in Monnerich aufgewachsen – Ihre Geschichte ist eng mit dem Minett verbunden. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
P.S.:
„Schöne Erinnerungen. Diese Gegend ist immer noch Bestandteil meiner Identität. Ich fahre regelmäßig nach Monnerich. Allerdings ertappe ich mich oft dabei, diese Erinnerungen, sofern sie an bestimmte Orte gebunden sind, nicht anfassen zu wollen. Stellen Sie sich einmal vor, wie fragil oft Erinnerungen sind: mein erster Kuss, die Abenteuerstreifzüge mit meinen damaligen Freunden, die zahlreichen Anekdoten aus meiner Kindheit. Wenn ich diese Orte wieder aufsuchen sollte, würden die neuen Eindrücke, so banal sie auch sein mögen, einen Teil dieser Erinnerungen verdrängen. Dann sind sie futsch, und ich habe einen Teil von mir abgegeben.“

„T“: Sie haben viele Jahre in Heidelberg studiert. Dort waren Sie Betreiber des legendären Fiston. Was war das für ein Laden?
P.S.:
„In der Altstadt von Heidelberg hatte ich viele Jahre mit einem Kumpel zusammen einen kleinen Laden, in dem wir internationales Bier verkauft haben. 70 Biere hatten wir im Sortiment, davon kein einziges aus Deutschland. Es war ein klitzekleiner Laden, die Leute wurden förmlich dazu gezwungen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Hier trafen sich Künstler, Schriftsteller, Geschäftsleute, Professoren, eine wirklich bunte Truppe. Auch Guy Helminger war unter diesen Leuten. In dieser Zeit fing ich an, mit verschiedenen Textformen zu experimentieren. Ich arbeitete, fuhr mein Straßenrad über die umliegenden Hügel und schrieb zu Hause Texte. Und dazwischen trieb ich mich mit Guy um die Häuser.“

„T“: Wie viel von dieser Freundschaft speiste sich damals aus dem gemeinsamen Wunsch, Schriftsteller zu werden?
P.S.:
„Natürlich schweißte uns das zusammen. Guy schrieb damals schon wie verrückt Gedichte. Wenig später kam dann auch sein erstes Buch ’Gegenwartsspringer‘ heraus. Außerdem waren wir selten einer Meinung. Die Schriftsteller, die er besonders gut fand, gefielen mir nicht so gut, und umgekehrt. Auch von dieser Dialektik lebte unsere Freundschaft. Was hätten wir uns auch Großes in der Kneipe zu erzählen gehabt, wenn es nicht so gewesen wäre.“

„T“: War es je ein Thema für Sie, auch in diesem Tandem mit Guy Helminger, auf Luxemburgisch zu schreiben?
P.S.:
„Na ja, Sie müssen bedenken, dass Guy in seinen Büchern eine gewisse Affinität für luxemburgische Textpassagen gezeigt hat. Er bewältigt diese Frage also auf seine ganz eigene Art. Was mich betrifft, hat die Entscheidung für die deutsche Sprache keine sonderlich ideologischen Gründe. Das ergibt sich aus den Lebensumständen. Man muss erst einmal sehen, wo man überhaupt leben kann und wo man seine Leute hat.
Außerdem muss man, wenn man schreiben will, ja irgendwie über die Runden kommen. In Luxemburg kann man vom Schreiben nicht leben. Das soll aber nicht heißen, dass es nicht auch großartige Literatur auf ’Lëtzebuergesch‘ gibt. Noch zu meinen Studienzeiten fiel uns z.B. „Hannert dem Atlantik“ von Guy Rewenig in die Hände. Das war der erste, richtige luxemburgische Roman. Das hat mir wahnsinnig imponiert. Ich wäre damals nicht im Traum darauf gekommen, dass jemand einen modernen Roman auf Luxemburgisch schreiben könnte. Und danach kam dann Roger Manderscheids ’Schacko Klack‘, ein Text, in dem die luxemburgische Sprache, allein von der Ästhetik her, brillant war. Ich bin damals auf eine Lesung von Roger gegangen, das war wie Musik. Auch jemand, der das sprachlich nicht verstanden hätte, wäre davon beeindruckt gewesen. Haben Sie „de john grün, dout am bushaischen“ von Nico Helminger gelesen?“