Kulturelles Experiment in armer Stadt

Kulturelles Experiment in armer Stadt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der Pariser Louvre hat in einer der ärmsten Städte Frankreichs eine Dependance eröffnet. Die Zweigstelle des weltberühmten Pariser Museums soll nach dem Vorbild des Guggenheim-Museums im spanischen Bilbao das nordfranzösische Lens aufpäppeln.

Rechts das Fußballstadion, links zwei spitze Abraumberge, dazwischen der 150 Millionen Euro teure Ableger des weltberühmten Louvre: fünf schlichte einstöckige Flachbauten, die sich auf einem rund 20 Hektar großen Park ineinanderschieben. Diskret und unauffällig steht der Glas- und Aluminiumbau zwischen zwei Symbolen, die das Bild der nordfranzösischen Stadt Lens Jahrzehnte lang bestimmt haben: Kohleabbau und Fußball. Bei der Einweihung am Dienstag wurde Frankreichs Staatspräsident François Hollande von einer Gruppe ehemaliger Bergarbeiter empfangen – eine Anspielung darauf, dass der Louvre-Lens auf einem ehemaligen Zechengelände steht.

Der Louvre in Lens soll das werden, was Guggenheim im spanischen Bilbao war: ein Image-Polierer und wirtschaftliches Antriebsmittel. „Wir verlassen die Ära der Klischees und treten in die wirtschaftliche Renaissance ein“, so Daniel Percheron, der Präsident der Region Nord-Pas de Calais. Die Eröffnung des Museums für das Publikum folgt am 12. Dezember.

Zentrum des Kohleabbaus

Eines der bedeutendsten Museen hat sich damit für eine der ärmsten Kommunen Frankreichs entschieden. Die rund 200 Kilometer nördlich von Paris gelegene Stadt war einst Zentrum des Kohleabbaus, bis die letzte Zeche im Jahr 1990 geschlossen wurde. Heute sind 60 Prozent des Wohnungsbestands Sozialwohnungen.

Für den Louvre-Direktor Henri Loyrette ist Lens ein kulturelles und museales Experiment. „Wir wollten mehr als eine bloße Außenstelle. Wir wollten im Norden ein zeitgemäßes Labor errichten.“ Programmatisch spiegelt sich dieses Konzept in der „Galerie du Temps“ wieder, der Galerie der Zeiten: einem 3000 Quadratmeter großen fensterlosen Open Space, dessen Wände mit matt schimmerndem Aluminium bezogen sind. Darin sind mehr als 220 Meisterwerke zwischen 3000 v. Chr. bis zum Jahr 1860 ausgestellt – ohne Trennwände und mit der unendlich tiefen Perspektive einer Kulissenbühne.

Mehrere Jahrtausende Geschichte

In Riesenschritten wandelt der Besucher durch mehrere Jahrtausende Geschichte. Die Präsentation folgt dem einzigen Kriterium der Chronologie. So liegt neben einer griechischen Stele ein Sarkophag aus dem Libanon und neben einer Heiligen Dreifaltigkeit wird durch das indirekte Deckenlicht Keramik aus dem türkischen Iznik erhellt. Der Louvre-Lens wird im Wesentlichen mit den über 35.000 Werke umfassenden Beständen des Stammhauses ausgestattet, die alle fünf Jahre ausgetauscht werden sollen.

„Mit dem Louvre-Lens geht es in die Spitzenliga“, sagt Percheron. Der Louvre-Lens ist 2003 im Rahmen der politischen Dezentralisierung entstanden. Nach dem Centre Pompidou Metz suchte man nach einem Standort für die erste Außenstelle des Louvre. Neben Lens bewarben sich unter anderem die nordfranzösischen Städte Amiens, Valenciennes, Arras und Boulogne-sur-Mer.

Schlicht und diskret

Das über 7000 Quadratmeter große Museum liegt knapp 20 Gehminuten vom Bahnhof mitten im Herzen der Stadt. Die Architektur ist erstaunlich schlicht und diskret. Man wollte sich dem Umfeld anpassen, das aus den typisch roten Backsteinhäusern ehemaliger Bergbausiedlungen besteht.

Der Flachbau aus Glas und gebürstetem Aluminium wirkt nur von außen bescheiden. Im Innern eröffnen sich dem Besucher riesige lichtdurchflutete Räume. „Die Räume öffnen sich der Stadt und der Bevölkerung“, erklärte das japanische Architektenteam Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, 2010 mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet. Man habe bewusst auf einen spektakulären Bau verzichtet und ein menschliches Museum schaffen wollen, das Besucher anlocken soll, die noch nie ein Museum betreten haben.

„Ein Museum macht noch keinen Frühling, vertreibt jedoch den Winter.“ Bildhafter und poetischer als Percheron könnte man das riskante Experiment nicht beschreiben.