Im Schatten der Selbstverwirklichung

Im Schatten der Selbstverwirklichung
(Bohumil Kostohryz)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Welt ist entzweit und steht sich fremd gegenüber. Dazwischen entfaltet sich ein Familiendrama, zynisch und gesellschaftskritisch zugleich. Am Montagabend offenbart sich diese feindselige Welt im Hause TNL.

Während mehrerer Wochen probten zehn Schauspieler und Regisseurin Marja-Leena Junker die fünf Akte von Molières „Les femmes savantes“, 1672 in Paris uraufgeführt, akribisch ein.

Henriette (Christine Muller) und Clitandre (Nicolas Guillemot). (Bild: Bohumil Kostohryz)

„Les femmes savantes“ – Infos:

Es spielen:

Alain Holtgen (Chrysale)
Myriam Muller (Philaminte)
Camille Raséra (Armande)
Christine Muller (Henriette)
Denis Jousselin (Ariste)
Isabelle Bonillo (Bélise)
Nicolas Guillemot (Clitandre)
Serge Wolf (Trissotin)
Olivier Aromatario (Vadius)
Marion Poppenborg (Martine)

Im TNL
Am 9., 11., 12., 13. und 14. Januar um 20 Uhr
Tel.: (00352) 26 44 12 70
www.tnl.lu

Im „Théâtre du Centaure“
Am 19., 22., 26. und 29. Januar um 18.30 Uhr
Am 20., 21., 24., 25., 27. und 28. Januar um 20 Uhr
Tel.: (00352) 22 28 28
www.theatrecentaure.lu

Im Kulturzentrum „opderschmelz“
Am 2. März um 20 Uhr
Tel.: (00352) 51 61 21-290
www.opderschmelz.lu

Im „Cube 521“ in Marnach
Am 8. März um 20 Uhr
Tel.: (00352) 52 15 21
www.cube521.lu

Das Szenenbild ist schlicht. Rechts versammeln sich die Gelehrten, lesen philosophische Abhandlungen oder experimentieren mit dem Chemiebaukasten.

Überraschende Erkenntnis

Unter ihnen befinden sich Philaminte, die Ehefrau von Chrysale, und Armande, Schwester von Henriette, die sich von Trissotin bezirzen lassen, einem Blender, der sich als Philosoph und Intellektueller aufspielt, in Wahrheit aber nur hinter dem Geld der Familie her ist. Links, vor dem Flimmerkasten auf dem Sofa schlafend, liegt Chrysale, der Hausherr, Freunde und Verwandte spielen Karten oder hören Musik. In der Mitte des Raums breitet Henriette Kleider aus, Hochzeitskleider, denn sie will sich mit ihrem Geliebten Clitandre vermählen und findet Zuspruch bei ihrem Vater. Doch die gelehrten Frauen legen ihr Veto ein und wollen Henriette, ausdrucksstark und inbrünstig gespielt von Christine Muller, in den Händen von Trissotin sehen. Das Drama nimmt seinen Lauf und endet mit einer überraschenden Erkenntnis, die die gelehrten Frauen ganz schön blass aussehen lässt.

„Schmähschrift“ gegen Selbstverwirklichung?

Die Wahl von Marja-Leena Junker, die seit Jahrzehnten das literarische Erbe des großen französischen Dramatikers studiert, „Les femmes savantes“ auf die Bühne zu bringen, hat einen triftigen Grund. Auch die Regisseurin zeigte sich darüber verwundert, dass Molière zehn Jahre nach „L’école des femmes“, einem Plädoyer für die Bildung der Frau, mit „Les femmes savantes“ eine „Schmähschrift“ gegen die Selbstverwirklichung der Frau verfasst hat.

Was waren des großen Dichters Beweggründe? Marja-Leena Junker, die Molières Sprache für unantastbar erklärt, erkennt, dass Molières gelehrte Frauen intelligent und wissensbegierig sind, das patriarchalische Gesellschaftsystem in Frage stellen, sich für die Rechte der Frau starkmachen, sich manchmal jedoch auch blenden und irreführen lassen, eine Schwäche, die allzu menschlich ist.

Zynischer Blick auf den Vater

Einen zynischen Blick wirft Molière aber auf die Figur des Vaters, der Weib und Kind ihm unterworfen sehen will. Auch Clitandre, dessen Liebe zu Henriette ehrlich fließt, äußert sich bedenklich, wenn er beispielsweise meint, dass eine Frau, unter der Voraussetzung, dass sie es gut verheimlicht, sich sehr wohl ein bisschen bilden darf.

Gewiss, die Thematik rund um die Emanzipation hat an Aktualität nichts eingebüßt, doch Marja-Leena Junker entschied sich bewusst dagegen, Molières fünf Akte auf das 21. Jahrhundert zu projizieren. Denn sie erinnerte sich an eine Zeit, in der die Geschichte, die Molière spinnt, viel mehr Sinn macht: die wilden 50er-Jahre mit ihrer „verruchten“ Musik, ihrer Individualisierung und der Geburtsstunde der emanzipatorischen Gleichstellungspolitik.