Heilige oder Verführerin?

Heilige oder Verführerin?

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Tageblatt-Redakteurin Jessica Oé ist ein großer Musicalfan – und hat sich die "Evita"-Aufführung ganz genau angeschaut.

Das Musical „Evita“ ist nicht umsonst ein Klassiker des Genres: Eine packende Geschichte, ein fantastisches Bühnenbild und fesselnde Songs verzaubern das Publikum. Doch hinter der Fassade steckt viel Verborgenes.

Von Jessica Oé

„Evita“ erzählt die Lebensgeschichte von María Eva Duarte de Perón, der zweiten Frau des argentinischen Präsidenten Juan Perón. Das Musical beginnt mit ihrer Abreise nach Buenos Aires im Alter von nur 15 Jahren und geht dann auf ihre Lebensgeschichte ein bis hin zu ihrem frühen Tod mit nur 33 Jahren infolge einer Gebärmutterhalskrebs-Erkrankung.
Das ehrgeizige Bauernmädchen geht seinen Weg, zunächst mit dem Modeln und einer eigenen Radio-Show, und wird dann zu einer bekannten Schauspielerin. Dann lernt Eva den Politiker und Militär Juan Péron kennen und lieben. Sie heiraten und die junge Frau verhilft ihrem Mann an die Macht. Eva begründet und fördert bis zu ihrem Tod den peronischen Mythos.

Bis zum 31. Dezember

Klassiker wie „Don’t Cry for me Argentina“, „Buenos Aires“, „Another Suitcase in Another Hall“ und „You Must Love me“ sorgen für eine musikalisch unvergessliche Reise durch die Geschichte. Kein Wunder, mit der Musik von Andrew Lloyd Webber und Songtexten von Tim Rice.

Falsch macht Bill Kenwright bei seinem Revival des Musicals sicher nichts. Zu Ehren den 65. Todestags von Evita im Juli 2017 brachte Kenwright den Klassiker im Londoner West End wieder auf die Bühne. Danach kam erst eine Musical-Tournee in Großbritannien und dann im Rest Europas.

So wird „Evita“ dann auch bis zum 31. Dezember im Grand Théâtre in Luxemburg-Stadt aufgeführt. Das Musical wird auf Englisch mit Teilen der „originalen“ Besetzung aufgeführt, aber parallel in Untertiteln auf Französisch und Deutsch übersetzt. Da die Untertiteltafeln aber ungünstig links und rechts positioniert sind, verpasst der Besucher leider beim Mitlesen einen Teil der Aufführung.

Das ausgeklügelte Bühnenbild, das es mit nur wenigen Requisiten und fast unmerklichen Verschiebungen fertigbringt, das Publikum mit auf eine Reise durch Argentinien zu nehmen, ist, verglichen mit anderen Produktionen, relativ karg. Umso mehr glänzen die Darsteller nicht nur mit fantastischen Stimmen, sondern auch mit ihrer exzellenten Bühnenpräsenz und Schauspielkunst.

Gian Marco Schiaretti führt die Zuschauer in der Rolle eines sarkastischen und kritischen argentinischen Bürgers durch die Geschichte. Jeremy Secomb spielt den stoischen Perón. Beide Rollen sind wunderbar besetzt, doch auch sie verblassen neben Madalena Alberto als Evita.

Von verrucht über naiv bis hin zu manipulativ, sie lässt Eva Perón und deren unterschiedliche Facetten wieder zum Leben erwachen.

Ein kritischer Blick

Mit seiner Version korrigiert Kenwright so manches, das beim Original kritisiert wurde. Dazu gehört die häufig als zu harmlos empfundene Darstellung von Eva Perón während der Präsidentschaft ihres Mannes. Als Beispiel: Perón soll enge Kontakte zu ehemaligen SS-Offizieren gehabt haben. Die Uniformen der im Musical auftauchenden – wenn auch nie so genannten – „Geheimpolizei“ erinnern stark an die der Gestapo.

Der Zuschauer wird dazu angehalten, das Dargestellte infrage zu stellen. Teils durch die ständig lauernde Gestalt des Che, der seine Kritik offen ausspricht, teils durch immer wieder durchleuchtende Misstöne von Evita, Perón und anderen Charakteren. Sie wirken schablonenhaft und deutlich „gespielt“, so, als würden sie sich weigern, dem Publikum ihr wahres Gesicht zu zeigen.

Daher muss der Zuschauer selbst entscheiden, wie er Evita am Ende sieht: Ist sie eine herzensgute „Santa Evita“, der das argentinische Volk wirklich etwas bedeutete, oder die oberflächliche, machtgeile Präsidentengattin, die die Bevölkerung wissentlich in den Untergang führte?