Geisterstunde

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LUXEMBURG - Im Exit07 diskutierten am Dienstagabend Geisteswissenchaftler und Naturwissenschaftler. Die Diskussion lief jedoch am Thema vorbei.

Die Naturwissenschaftler fühlen sich bestätigt: Geisteswissenschaftler sind Labertaschen, auf konkrete Antworten kann man bei ihnen lange warten. Auf verwertbare Ergebnisse noch länger. Und die Geisteswissenschaftler wussten es auch schon immer: Naturwissenschaftler sind arrogant und sehen die Welt schwarz-weiß. Doch zumindest wurde
diskutiert. Ein Anfang.

Das Interesse war da. Das Exit07 in Hollerich war beinahe so gut gefüllt wie Mitte September letzten Jahres, als mit Kulturministerin Octavie Modert als Gast auf dem Podium die Debattenreihe „Public Forum“, organisiert von der Zeitschrift forum, ihren Anfang nahm. Die Gäste am Dienstagabend hatten – bis auf eine Ausnahme – auch einiges zu sagen. Doch leider meistens am Thema vorbei.
Denn anstatt über „die Stellung und Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften in der Wissensgesellschaft von morgen“ zu debattieren, wurde leider viel zu lange nach Antworten auf die Frage nach der Legitimation der Humanwissenschaften an sich gerungen. Anstatt – wie es in der Ankündigung heißt – nach der „Bewältigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte“ zu fragen, wurde wieder einmal deutlich, dass interdisziplinäres Denken und Forschen sich zwar in der Theorie wunderbar verkaufen lassen, praktisch jedoch daraus oft nicht mehr als ein Hahnenkampf zwischen den Disziplinen wird.

Legitimationsdebatte

Ein bisschen Schuld daran hatte auch Jürgen Stoldt, der die Debatte moderierte und gleich zu Anfang nach der Legitimation fragte und von den Geisteswissenschaftlern wissen wollte, wieso ihre Disziplinen denn so oft in der Kritik stünden. Er berief sich dabei auf das im letzten Jahr erschienene Buch „Les défis de l’Université du Luxembourg“, in dem Henri Entringer im letzten Kapitel drei Zukunftsszenarien der jungen Universität Luxemburg entwirft und zumindest unterschwellig Kritik an der Dominanz der Humanwissenschaften übt.

Michel Margue, Dekan der Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften der Uni Luxemburg gab daraufhin eine Definition der Humanwissenschaften. Er hob besonders hervor, dass in einer immer stärker „menschengemachten Natur“, naturwissenschaftliche Forschung nicht ohne geisteswissenschaftliche Reflexion betrieben werden könne. Er appellierte an die Entschärfung der strikten Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften.
Dieter Ferring, Professor für Psychologie und Leiter der Forschungseinheit „Inside“ der Uni Luxemburg, stellte fest, dass es auf die Frage nach der Rentabilität und dem Nutzen von Humanwissenschaften keine einfachen Antworten geben könne, da die Welt und der Mensch, und damit die Forschungsfelder der Humanwissenschaften, dafür zu komplex seien.

Und Rolf Tarrach, selbst Physiker und Rektor der Uni, unterstrich, dass die „wahren Probleme der Menschheit nur interdisziplinär“ zu lösen seien. Tarrach warf Beispiele in den Raum, aus denen spannende Diskussionen hätten entstehen können. Wie kann man das Glück einer Gesellschaft messen? Sicher nicht am Bruttoinlandsprodukt. Warum gibt es heute noch Hunger auf der Welt? Sicher nicht aus Mangel an Lebensmitteln. Warum stehen wir heute vor einem solch großen Energieproblem? Sicher nicht, weil wir es nicht physikalisch lösen könnten …

Hier hätte die Diskussion entfachen müssen. Hier hätte die Frage gestellt werden müssen: Wie wollen wir leben? Und hier hätten dann die Humanwissenschaften zeigen können, welchen wertvollen Beitrag sie mit ihren Ideen und Konzepten leisten können, um Zukunftsvisionen zu entwerfen, um den gesellschaftlichen Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten gewachsen zu sein.

Dass die Diskussion sich aber leider nicht aus der Legitimationsdebatte befreien konnte, liegt sicherlich auch daran, dass die Universität Luxemburg offensichtlich selbst immer noch nach Gründen ihrer Legitimation sucht. Zumindest nach Gründen, die sich öffentlich vermarkten lassen. Man möchte fragen, warum sie das denn überhaupt nötig hat? Denn schließlich ist es für eine solch junge Universität völlig legitim, dass sie auf Identitätssuche ist, dass sich erst in den kommenden Jahrzehnten herausstellen wird, in welchen Disziplinen sie eine Vorreiterstellung entwickeln kann und wie sich ihr Nutzen konkret auf die nationale Wirtschaft ausüben wird. Jetzt ständig nach Rentabilitätskriterien der humanwissenschaftlichen Forschung an der Uni Luxemburg zu fragen, bringt eine Defensivhaltung hervor, die es unmöglich macht, sich mit den humanwissenschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte zu beschäftigen.

Zum Glück platzte einigen Teilnehmern aus dem Publikum der Kragen. Michel Pauly zum Beispiel versuchte die Rechtfertigungsbemühungen mit folgenden Worten zu beenden: „Geisteswissenschaft ist keine Serviceleistung. Ob unsere Forschung einen wirtschaftlichen Nutzen hat, ist mir egal, das einzige was zählt, ist der wissenschaftliche Nutzen!“ Auch Serge Kollwelter versuchte der Debatte eine andere Perspektive zu geben, indem er nach der Reibungsfläche zwischen Universität und Gesellschaft fragte. Und Georg Mein, Professor für Germanistik, wies auf konkrete interdisziplinäre Forschungseinheiten an der Uni Luxemburg hin und zeigte, dass die Frage nach der Legitimation eigentlich längst beantwortet ist.

Um dem Eiertanz ein Ende zu setzen, sprach Jürgen Stoldt zu fortgeschrittener Stunde noch die Reform des Hochschulgesetzes an, die der Universität mehr Autonomie verleihen soll. Er tat dies sicherlich auch, um den vierten Gast auf dem Podium, Diane Adehm, CSV-Abgeordnete und Mitglied der Hochschulkommission, zu wenigstens einer konstruktiven Stellungnahme zu bewegen. Stoldt befragte die Politikerin konkret zu der zumindest demokratisch fragwürdigen Legitimation des „Conseil de gouvernance“ der Uni Luxemburg. Doch die Vertreterin der Politik hatte auch dazu nichts zu sagen. Nicht einmal eine rhetorisch ausgefeilte Politikerfloskel. Und so schloss Rolf Tarrach ironischerweise mit dem denkwürdigen Zitat: „Knowledge speaks, wisdom is silent“. Was soll man da noch hinzufügen?