Alain spannt den Bogen„Für jede Art von Musik offen bleiben“: Artem Lonhinov über seine erste Oper

Alain spannt den Bogen / „Für jede Art von Musik offen bleiben“: Artem Lonhinov über seine erste Oper
Für seine erste Opernaufführung hat der junge Dirigent Artem Lonhinov seine Lieblingsoper gewählt  

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Der junge, aus der Ukraine stammende Dirigent Artem Lonhinov leitete am 25. Juli 2019 bei den Opernfestspielen Heidenheim mit Tschaikowskys Pique Dame seine allererste Opernaufführung. Wir haben uns am Folgetag mit dem Dirigenten unterhalten.

Tageblatt: Artem Lonhinov, Sie sind noch ein ganz junger Dirigent und hatten die Gelegenheit, als Gewinner eines von Markus Bosch initiierten Dirigierwettbewerbs, jetzt hier bei den Opernfestspielen Heidenheim mit Tschaikowskys Oper Pique Dame zu debütieren.

Artem Lonhinov: Ja, gestern Abend war meine allererste komplette Opernaufführung. Ich hatte zwar vorher schon Opernauszüge konzertant dirigiert, aber eine ganze Vorstellung im Orchestergraben hatte ich bis jetzt noch nie gemacht.

Ich habe Sie gestern Abend dann auch beobachtet und festgestellt, dass Sie eigentlich ganz souverän und sicher wirkten.

Als Korrepetitor habe ich ja während sechs Wochen alle Proben unter Markus Bosch sehr intensiv begleitet und kenne demnach das Werk sehr genau. Und es ist auch ein Charakterzug von mir. Ich bin eigentlich ein sehr ruhiger und entspannter Mensch. Trotzdem war ich innerlich sehr nervös und sehr konzentriert, weil Pique Dame ja auch kein einfaches Stück ist.

Pique Dame ist ja, wie Sie schon sagten, keine einfache Kost und fordert Sänger ebenso wie Publikum regelrecht heraus. Welches Verhältnis haben Sie denn persönlich zu diesem Werk?

Pique Dame ist ein Lieblingswerk von mir, ja, ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass es meine absolute Lieblingsoper ist. Da ich aus der Ukraine stamme, bin ich mit dem Stück aufgewachsen. Im Gegensatz zu dem, was viele behaupten, finde ich, dass die Oper wunderbare und sehr schöne Momente, wie beispielsweise diese großartige Hermann-Arie, hat. Und zudem hat Tschaikowsky hier eine sehr subtile, stimmungsvolle Musik komponiert.

Aber ist es gerade deswegen nicht schwierig, Pique Dame, wie hier jetzt in Heidenheim, Open Air aufzuführen?

Ich denke, dass man das durchaus machen kann. Natürlich sind die akustischen Verhältnisse ganz anders als in einem Konzert- oder Opernsaal, aber ich finde, dass Tschaikowskys Musik dadurch nichts von ihrem Reiz verliert. Und wenn man als Zuschauer nach Heidenheim kommt, dann kommt man ja auch wegen dieser einmaligen Stimmung und der wunderbaren Kulisse. Aber Sie haben recht, das habe ich auch gestern gemerkt. Ich habe ja alle vorherigen Vorstellungen hinter der Bühne oder aus dem Publikum heraus miterlebt. Im Graben ist das Orchester sehr laut, die Instrumentengruppen sitzen anders. Da muss man als Dirigent schon aufpassen, die optimale Balance zu finden. Aber da ich die Produktion kenne, weiß ich ganz genau, was wo wie laut oder wie leise gespielt werden muss. In dem Sinne ist der Klang ein Automatismus, der erlernt ist und nicht erst im Moment selber entsteht. Und auch die Musiker im Orchester müssen sich umstellen. Sie haben ja das Werk mit Markus Bosch erarbeitet und plötzlich steht ein anderer Dirigent vor ihnen. Da braucht man schon einige Zeit, bis man einen gemeinsamen Puls gefunden hat.

Wie hilfreich ist es, wenn man als Dirigent ein Instrument, wie eben beispielsweise bei Ihnen die Geige, beherrscht?

Mir hilft es sehr viel, weil ich ganz genau weiß, wovon ich rede, wenn ich zu den Streichern im Orchester spreche. Wenn ich als Student im Orchester spiele, versuche ich dirigentisch weiterzudenken, und wenn ich dirigiere, versuche ich mich in die Rolle des Streichers zu versetzen. Und natürlich weiß man als Geiger auch, wie man einen bestimmten Klang, eine bestimmte Stimmung erreicht oder diesen oder jenen Bogen spielt. Das hat dann auch viel mit einem gemeinsamen Atem zu tun.

Sie sind Student von Markus Bosch, einem sehr vielseitigen und höchst kompetenten Dirigenten und Allroundkünstler, der sowohl im symphonischen Bereich wie auch in der Oper als Professor und Festspielleiter tätig ist und in jedem Bereich einen exzellenten Ruf genießt.

Für alle Studenten ist es ein großes Glück, Markus Bosch als Professor zu haben. Der Unterricht ist sehr interessant, sehr spannend, und zeigt uns, wie man einen wirklich individuellen Zugang zum Werk findet. Das ist schon außergewöhnlich. Er findet bei jedem seiner Studenten den richtigen Weg, damit dieser seine Persönlichkeit im musikalischen Wirken auch ausdrücken kann. Diese Förderung eines sehr persönlichen Zugangs erleichtert es uns auch dann, das Werk von einer persönlichen Seite aus zu begreifen und zu gestalten.

Als Musiker und besonders als Dirigent ist es ja auch wichtig, seine eigenen Stärken und Grenzen zu kennen.

Hm, ich mag es eigentlich nicht, mich selber zu bewerten. Ich versuche, mich in jedem Repertoire wohlzufühlen und mich auch einzubringen, so gut es geht. Aber man kann nicht alles gleichzeitig machen, das ist klar. Wichtig ist es auf jeden Fall, für jede Art von Musik offen zu bleiben. Eine regelrechte Entdeckung war für mich die historisch informierte Aufführungspraxis. Ich stamme ja aus der Ukraine und da ist dieser Stil gänzlich unbekannt.

Apropos Ukraine. Wie sieht denn dort die musikalische Landschaft momentan aus?

Wir haben in der Ukraine hervorragende Musiker und Künstler. Und sehr interessante zeitgenössische Komponisten. Aber leider ist ihre Musik außerhalb des Landes kaum bekannt. Es gibt natürlich viele unserer Musiker, die im Westen arbeiten und immer wieder versuchen, auch Werke ihrer Landsleute aufzuführen. Denn viele ukrainische Musiker bleiben wegen der politischen Situation nicht dort, sondern reisen in den Westen, wo sie viel bessere Möglichkeiten haben, ihr Talent zu entfalten. Die Ukraine ist ein Land mit einer sehr reichen Kultur und müsste international viel mehr Beachtung verdienen, als das der Fall ist. Zu hoffen bleibt, dass es nach der Krise dann besser wird.

Es wird ja oft kritisiert, dass der Musikbetrieb ja sehr schnelllebig ist und dass demnach viele junge Künstler, haben sie einmal irgendwo Erfolg, riskieren, durch attraktive Angebote auch schnell verheizt zu werden.

Ich habe das Glück, in München zu studieren, wo es für Studenten ein sehr großes Angebot an Wettbewerben, Meisterklassen, Konzertgelegenheiten und Kontaktmöglichkeiten gibt. Und wenn man solche Möglichkeiten hat, dann soll man auch davon profitieren. Für mich ist es wichtig, dass ich mir bewusst die Chance gebe, zu lernen und mich weiterzuentwickeln.

Was macht für Sie einen großen Dirigenten aus?

Begeisterung und Authentizität. Dirigenten, die dies mitbringen, geben Konzerte, bei denen man „wow“ sagt. Sie vermitteln den Musikern einfach die Lust, mitzumachen. Man glaubt ihnen. Sowohl die Orchestermusiker wie auch das Publikum. Und das selber bei sich zu entdecken, zuzulassen und zu fördern, ist ein wesentlicher Teil der Dirigentenarbeit.