Die eine zu knochig, der andere zu fett

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NIEDERANVEN - Man kann Pinters „Liebhaber“ subtil und leise inszenieren oder aber man reißt die Gefühle aus den Personen und schleudert sie ins Publikum. Natalie Ortner hat sich für Letzteres entschieden. Und es klappte.

Harold Pinters „Liebhaber“ in der Inszenierung von Natalie Ortner ist eine zeitgenössische Variation des ewigen Dramas zwischen Mann und Frau. Es geht um das Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz, Anziehung und Ekel, Liebe, Sex und Betrug: Sarah (Josiane Peiffer) und Richard (Martine Engler) halten es nicht miteinander aus, können aber auch nicht ohne einander. Sie verstricken sich in Lust- und Rollenspiele, die sich nach und nach in reine Machtproben verwandeln. Am Ende raucht das Bett, Sarah ist tot und Richard schweigt. Endlich. Er hat genug Schwachsinn geredet.

Der Liebhaber
Harold Pinter

• Regie: Natalie Ortner
• Es spielen: Josiane Peiffer und Martin Engler
• Bühnenbild:
Theo Johanns
• Assistenz:
Fabienne Lentz

Vorstellungen:
Dienstag (22.05.12) und Mittwoch (23.05.12)
im Kulturhaus Niederanven um 20 Uhr

Tickets und Info:
Tel.: (+352) 2634731
info@khn.lu
www.khn.lu

Sonnenstrahlen und grünes Gras

Pinters spießbürgerliches Wohlstandsambiente, in dem sich das Paar vor Langeweile und Überdruss betrinkt und zermürbt, hätte nicht besser umgesetzt werden können: Durch die Fenster des Saals scheinen die letzten sonntäglichen Sonnenstrahlen, saftig grün und gepflegt liegt der Garten vor der Tür und in der Mitte der Bühne steht ein Bett. Ein Hochbett. Das Bühnenbild (Theo Johanns) ist originell und irritierend zugleich. Der zwei auf zwei Meter große Kasten mit Schubladen an den Seiten, in denen sich Schnaps, Strumpfhosen und Schuhe befinden, wird von allen Seiten bespielt. Das ist originell, weil das Publikum auf beiden Seiten der Bühne sitzt und jeder einzelne Zuschauer eine andere Perspektive auf das Geschehen hat. Es gibt nun mal nicht nur eine Erklärung für das Scheitern einer Beziehung, nicht nur eine Sichtweise auf das ganze Drama.

Doch durch die Bühnenordnung fällt es auch schwer, beide Schauspieler gleichzeitig in den Blick zu bekommen. Sie verdecken sich gegenseitig und sprechen in unterschiedliche Richtungen – das ist verwirrend, dennoch findet die emotionale Konfusion der beiden Protagonisten gerade dadurch ein perfektes Bild.

Nach dem Erfolg von „Pegel der Gerechtigkeit“ (Nico Helminger) im letzten Jahr arbeitet Natalie Ortner auch für ihre zweite Inszenierung wieder mit den beiden Schauspielern Josiane Peiffer und Martin Engler zusammen. Sicherlich keine schlechte Wahl, da sie bei den beiden auf viel Erfahrung und Eigenständigkeit vertrauen kann. Martin Engler, dessen Statur von Auftritt zu Auftritt gewaltiger wird, ist eine wahre „bête de scène“. Auch diesmal beeindruckt er durch seine unglaubliche Präsenz, sein filigranes Augenspiel und seine humoristischen Interpretationen. Beinahe angsteinflößend , wie rot sein Kopf in nur wenigen Sekunden werden kann. Doch zum Glück schafft Josiane Peiffer ein Gegengewicht zu dieser Masse an Schauspielkunst. Martin Engler alleine würde sein Publikum überrollen, dank ihres verspielten und nuancierten Spiels rettet Josiane Peiffer einige Szenen, die nahe dran waren, in die Unglaubwürdigkeit abzurutschen. Doch eigentlich gibt es bei Pinter ja sowieso nichts zu glauben. Nur zu sehen. Und die Bilder waren stark. Es lohnt sich!