Der „Killer“ wird 80

Der „Killer“ wird 80
(Paul Buck)

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In der Glanzzeit des Rock maß er sich mit Elvis. Der ist lange tot. Jerry Lee Lewis aber, der "Killer", lebt und haut weiter in die Tasten. Selbst als 80-Jähriger reißt er sein Publikum noch mit.

Er braucht einen Stock, um über die Bühne zu gehen. Aber wenn Jerry Lee Lewis in die Tasten greift, steht der Flügel noch immer in Flammen. Und das Publikum ist hingerissen. Seine Songs „Great Balls of Fire“ und „Whole Lotta Shaking‘ Goin‘ On“ gehören zu den bekanntesten des 20. Jahrhunderts. Das Fachblatt „Rolling Stone“ ehrte den Rocker mit Rang 24 der „100 größten Künstler aller Zeiten“. An diesem Dienstag (29. September) wird Jerry Lee Lewis, genannt „der Killer“, 80 Jahre alt.

Ein Rückenleiden fesselt ihn dieser Tage oft ans Bett. Doch Lewis lässt sich nicht von Widrigkeiten aufhalten. Hat er noch nie. So brachte er sich den Fans in den Monaten vor seinem Geburtstag mit zwei neuen Alben, einer Autobiografie („Jerry Lee Lewis – His Own Story“) sowie Konzerten in England und Schottland wieder in Erinnerung. Seine Rechnung geht auf.

Nächste Auftritte

Das Londoner Palladium war ausverkauft. Kritiker waren beeindruckt. „Der Killer zeigt, dass er weiter Feuer in sich hat“, schrieb der renommierte „The Independent“. Danach lehnt Lewis alle Interviews ab, um Kraft für die nächsten Auftritte zu schöpfen, beide im Oktober, in Texas und New York.

Er gilt als einer der vier Könige des Rock ’n‘ Roll – neben Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard. „Elvis war der Größte», sagte Jerry Lee gern, „ich war der Beste“. Auf jeden Fall war er der Wildeste. Kein anderes Rockerleben ist so gezeichnet von Drogen, Gewalt, Sex, Schulden und Tod wie das von Jerry Lee, dem Spross einer Familie christlicher Fundamentalisten.

Wilde Mischung

Lewis‘ Rock ist eine wilde Mischung aus Jazz, Country, R&B und Boogie. Er war unter den Ersten, die einen Platz in der Rock and Roll Hall of Fame bekamen. 2008 folgte die Hit Parade Hall of Fame. John Lennon soll ihm bei der ersten Begegnung die Füße geküsst haben.

Der Rocker mit dem strohblonden, ins Gesicht hängenden Haar war berüchtigt dafür, Konzerte in letzter Minute abzusagen. Er hat Konventionalstrafen bezahlt wie kaum ein anderer. Meistens „pumpte“ Jerry Lee sein Piano im Stehen, setzte oder stellte sich auch darauf. In mehreren Live-Auftritten zündete er den Flügel nach getaner Arbeit an.

Sechs Ehen

Kaum weniger bewegt als seine Laufbahn war Lewis‘ Privatleben.
Sechs Ehen hat er hinter sich, die erste mit 16. Gerade volljährig wurde er Vater, allerdings schon mit der zweiten Frau. Ehe Nummer drei wurde ihm beruflich zum Verhängnis. Er war 22, als er seine 13-jährige Großcousine Myra Gale Brown heiratete. In Großbritannien löste das Verhalten einen Sturm der Entrüstung aus und zwang Lewis, seine Tournee am dritten Abend abzubrechen.

Nach Myra gelang es dem singenden Pianisten aus dem tiefen Süden der USA nie mehr, unter den „Top 20“ der amerikanischen Popcharts zu landen.

„Great Balls of Fire“

Der gemeinsame Sohn mit Myra ertrank 1962 dreijährig im Pool. Das gleiche Schicksal ereilte Ehefrau Nummer vier. Ein 19-jähriger Sohn starb 1973 bei einem Autounfall, seine fünfte Ehefrau 1983 offenbar an einer Überdosis Heroin. Lewis‘ bewegtes Leben wurde 1986 mit Dennis Quaid in der Hauptrolle unter dem Titel „Great Balls of Fire“ verfilmt.

Heute lebt er, der wildeste unter den Bad Boys der Rock-Ära, mit Judith, seiner Pflegerin und Ehefrau Nummer sieben, auf der „Lewis Ranch“ in Nesbit unweit von Memphis. Bei einem Interview vor dem Londoner Konzert sah er weiß im Gesicht aus, „wachsartig und aufgedunsen“, wie der britische „The Guardian“ schrieb.

Angst, wegen seiner Musik zur Hölle verdammt zu sein, hat Lewis offenbar auch heute noch. „Ich war immer besorgt, ob ich im Himmel oder der Hölle landen werde“, sagte er dem „Guardian“. „Ich sorge mich weiterhin, abends vor dem Zubettgehen. Es ist eine sehr ernste Situation. Wohin komme ich nach meinem letzten Atemzug?“