ReportageZwei Wochen, 1.600 Kilometer: Vietnam von oben nach unten

Reportage / Zwei Wochen, 1.600 Kilometer: Vietnam von oben nach unten
Laila mit Freunden auf einem Boot in Hoi An Foto: Laila Bintner

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Innerhalb von zwei Wochen reise ich mit dem Bus von Ninh Binh im Norden des Landes bis nach Ho Chi Minh City im Süden. Auf der Reise mache ich verschiedene Stopps: Hue, die alte Kaiserstadt Vietnams. Hoi An, am Fluss mit den 1.000 Laternen. Da Lat, in den Bergen des zentralen Hochlandes. Mui Ne, der traurige Ortschaft am Meer. Dabei geht wenig nach Plan und noch weniger ist überhaupt geplant.

Ein neuer Tag hat begonnen, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Bei langen Reisen in Bus oder Bahn dehnt sich für mich die Zeit auseinander und schnurrt wieder zusammen. Vor dem Fenster zieht die Landschaft vorbei, aber die Welt draußen wird gegenstandslos. Gestern Abend bin ich in Ninh Binh in den Bus gestiegen, heute Morgen wache ich in Hue auf. Die zwölfstündige Fahrt mit dem Nachtbus hat mich von dem Norden Vietnams bis in die Mitte des Landes gebracht. Jetzt bin ich in einer neuen Stadt und frage mich: Wie ist das passiert?

Die Zitadelle in Hue: Einen Besuch hier lässt sich Laila trotz Hitzewelle nicht nehmen
Die Zitadelle in Hue: Einen Besuch hier lässt sich Laila trotz Hitzewelle nicht nehmen Foto: Laila Bintner

Die Sonne lässt den steinernen Boden der Zitadelle glühen. Obwohl es noch keine 11 Uhr ist, sind es schon über 40 Grad. Die Hitzewelle hat Südostasien immer noch fest im Griff. Seit einer Stunde laufe ich über die vielen Wege, die durch die Palastanlage der ehemaligen vietnamesischen Kaiser führen, und versuche, ein kleines bisschen Schatten zu finden. Ab und zu gelange ich zu einem Innenhof, einem Tempel, einem Theater. Hue war zu Kaiserzeiten die Hauptstadt Vietnams. Hier gibt es viel zu besichtigen: Tempel, Pagoden, Kaisergräber. Aber heute ist es zu heiß, um viele Stunden außerhalb eines klimatisierten Raumes zu verbringen.

Sonnenuntergang in Hue
Sonnenuntergang in Hue Foto: Laila Bintner

Ich verlasse mein Zimmer nach dem Besuch der Zitadelle erst zum Sonnenuntergang wieder. Am Ufer des Parfümflusses beobachte ich, wie sich der Himmel rosa verfärbt und die Sonne wie ein roter Feuerball aufleuchtet. Ich schreibe gerade in meinem Notizbuch, als sich eine junge Frau neben mich setzt. „Ich glaube, ich habe dich vorhin schon im Zentrum gesehen“, meint sie zu mir. Sie erzählt mir, dass sie aus Hanoi kommt. Ihre dreitägige Reise nach Hue ist ihre erste Reise außerhalb Nordvietnams.

Durch das Gespräch mit ihr wird mir noch einmal klar: Reisen ist ein Privileg. Reisende aus wohlhabenden Ländern können hier in Südostasien Eindrücke aus Städten und Ländern sammeln wie Muscheln am Meer. Wir legen Kilometer zurück, als würden sie nichts bedeuten, und überqueren Ländergrenzen, als wären sie nicht da. Für uns ist ein Leben in Südostasien vielleicht günstig, aber das liegt an unseren starken Währungen. Viele Einheimische hingegen haben nicht mal die Möglichkeit, ihr eigenes Land zu bereisen. Als die Sonne untergegangen ist und ich auf dem Weg zurück in mein Gasthaus bin, denke ich mir: Vielleicht bin ich doch nicht ganz anonym in dieser fremden Stadt.

Lichtermeer in Hoi An
Lichtermeer in Hoi An Foto: Laila Bintner

Einen Tag später fahre ich nach Hoi An, eine Stadt, durch die man flanieren kann. Das Leben hier fühlt sich langsam an. Es gibt keine großen Straßen, keinen unaufhörlichen Lärm. Die Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, ist sogar eine Fußgängerzone. Hier kann man überall lokales Handwerk kaufen oder aber sich neue Kleidung schneidern lassen. In einigen Teilen der Stadt gibt es so viele Schneider, dass sich die Läden buchstäblich aneinanderreihen.

Hoi An ist ein Ort, an dem sogar Backpacker, die versuchen, in einem Monat so viel wie möglich von Vietnam zu sehen, tagelang hängen bleiben. M., eine Freundin, die ich im Norden Vietnams kennengelernt habe, beschließt sogar, hier während zwei Wochen in einem Hostel zu arbeiten. Nach vier Tagen habe ich das Gefühl, weiter zu müssen. Spontan buche ich einen Nachtbus für den gleichen Abend. Es geht nach Da Lat, eine Stadt im zentralen Hochland, die eine 16-stündige Busfahrt von Hoi An entfernt liegt.

Hier muss man aufpassen: Wandern in Da Lat …
Hier muss man aufpassen: Wandern in Da Lat … Foto: Laila Bintner
… aber die Aussicht auf der Spitze des Berges lohnt sich 
… aber die Aussicht auf der Spitze des Berges lohnt sich  Foto: Laila Bintner

Als ich in meinem Hostel in Da Lat ankomme, bin ich müde, auch wenn die Busfahrt schneller vergangen ist als gedacht. Eigentlich will ich einen entspannten Morgen haben, doch meine Bekannten beschließen, einen Berg zu besteigen. Da ich keine anderen Pläne habe, schließe ich mich ihnen an. Es stellt sich leider heraus: Der Berg ist kein Berg für eine Wanderung. Er ist eher eine Touristenattraktion für Menschen, die viel Geld zahlen, um sich von einem Truck auf die Spitze fahren zu lassen. Bei unserer Wanderung müssen wir über Zäune klettern und über eine Pferdewiese laufen, durch den Wald auf unmarkierten Wegen gehen und schließlich eine Stunde an einer Straße entlanglaufen. Ab und zu kommt ein Auto mit Touristen vorbei, die uns zuwinken und Fotos machen. Auf der Spitze des Berges werden wir immerhin mit einer schönen Aussicht belohnt, auch wenn das Essensangebot dort eher zweifelhaft ist. Ich esse einige matschige Pommes, während einer meiner Bekannten Krokodil- und Straußspieße verzehrt.

Die Wanderung ist meine letzte in Da Lat. Am Tag darauf besuche ich einige der wichtigen Sehenswürdigkeiten im Umland und fahre dann in die nächste Stadt, Mui Ne. Auf Fotos sieht Mui Ne nach langen Sandstränden, hohen Palmen, weißen Dünen aus. Doch der Schein trügt. Mui Ne hat sich von einem kleinen Fischerdorf in eine Touristenhochburg verwandelt und ist wohl gerade dabei, eine Geisterstadt zu werden. Unser Hostel sollte eigentlich Zugang zum Strand haben, liegt mittlerweile aber vor einer Flutschutzmauer.

Es stellt sich heraus: Erosion ist ein großes Problem in Mui Ne und hat viele der lokalen Strände zerstört. R., eine Freundin aus Hoi An, und ich versuchen, abends, einen Strand zu finden, geben aber nach einer halben Stunde auf.

Das meiste, das ich in Mui Ne zu unternehmen versuche, endet schlecht. C., den ich im Hostel kennenlerne, und ich wollen die Gegend erkunden, geraten aber in ein großes Unwetter und müssen in einem Golfresort Zuflucht suchen. Wir stehen fasziniert vor dem Fenster und beobachten die Blitze am Himmel und den Monsunregen, der auf die Straße niederschlägt. Gleichzeitig versuchen wir, möglichst gut mit dem teuren Décor des Resorts zu verschmelzen, damit wir nicht herausgeworfen werden. Wir haben nachgeschaut und herausgefunden, dass ein Zimmer dort pro Nacht ungefähr so viel kostet, wie unser Budget für eine Woche beträgt. Glücklicherweise sind die Mitarbeiter nett und helfen uns sogar, ein Taxi zu unserem Hostel zu finden.

In der Metropole Ho Chi Minh City steht das Leben eigentlich nie still
In der Metropole Ho Chi Minh City steht das Leben eigentlich nie still Foto: Laila Bintner

Ho Chi Minh City ist das nächste und auch letzte Ziel meiner Vietnam-Reise. In drei Tagen werde ich schon nach Kambodscha reisen, weil mein Visum für Vietnam abläuft. Ho Chi Minh City ist eine Stadt der Superlative. Hier scheint alles groß, schnell und hell zu sein. Wolkenkratzer schießen in die Höhe, Motorräder rasen vorbei, Leuchtreklamen blinken an und aus.

„Verlasse die Stadt so schnell wie du kannst“, lautet der Rat vieler Backpacker. Aber ich mag Ho Chi Minh City irgendwie. Meine wenigen Tage reichen nur aus, um die Stadt oberflächlich kennenzulernen, und ich habe ständig das Gefühl, dass mir die Zeit wegrennt. Ich wünschte, ich könnte etwas mehr von ihr festhalten. Bevor ich mich versehen habe, schaue ich den Gebäuden Ho Chi Minhs schon aus dem Busfenster nach und versuche, zu begreifen: Meine Zeit in Vietnam findet ein Ende und meine Zeit in Kambodscha einen Anfang.

Zur Person

Laila Bintner wurde im November 2002 geboren und ist in Lintgen aufgewachsen. Sie ist am Fieldgen zur Schule gegangen und hat während ihrer Schulzeit ein Praktikum beim Tageblatt absolviert. In Berlin hat sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Politikwissenschaft als Nebenfach studiert. Seit April reist sie auf eigene Faust durch Südostasien und berichtet über ihre Erfahrungen. 

Von ihrer Reise sind bisher folgende Artikel erschienen: 
One-Way-Ticket ins große Abenteuer (18. Juli 2023)
Spaziergänge durch Hanoi (24. Juli 2023)
Vollmond in Nordvietnam: Weiterreisen in den Bergen Vietnams (31. Juli)