ReportageSpaziergänge durch Hanoi: Alltägliches Chaos in der Hauptstadt Vietnams

Reportage / Spaziergänge durch Hanoi: Alltägliches Chaos in der Hauptstadt Vietnams
Nicht nur auf den Straßen herrscht viel Gewusel: Die kleinen Shops bieten alles an, was das Herz begehrt Foto: Laila Bintner

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Hanoi ist eine Stadt, in der man sich verliert. Die Gassen der Altstadt ähneln einem Labyrinth. In ihnen lassen sich Tempel aus Kaiserzeiten, französische Kolonialbauten und kommunistische Symbole finden. Ich verbringe vier Tage in der Hauptstadt Vietnams, der ersten Station auf meiner mehrmonatigen Südostasienreise. Beobachtungen von Spaziergängen durch Straßen, die wirken, als ob sie kein Ende hätten.

Es ist noch früher Morgen in Hanoi, aber die Stadt ist schon längst aufgestanden. Motorräder hupen laut, während sie sich einen Weg durch die vollen Gassen der Altstadt bahnen. Der Geruch von Nudelsuppe, die zum Frühstück gekocht wird, liegt in der Luft. Die verschiedensten Waren werden am Straßenrand ausgelegt: Ein Stand bietet aufgeschnittene Schweine an, das Geschäft daneben verkauft Kinderspielzeug. Hier kann man auf wenigen Metern einen Eimer mit lebenden Fischen, eine Buddha-Figur oder auch eine Tasse vietnamesischen Kaffee kaufen. Eine Welt der Kontraste.

Ich stehe an den meisten Tagen erst auf, wenn die ersten Menschen sich bereits in ihre Wohnung zurückziehen, um der Mittagssonne zu entgehen. Ich funktioniere noch nach zentraleuropäischer Zeit, die fünf Stunden vor Vietnam liegt. In Luxemburg ist es knapp früher Morgen, wenn es in Hanoi schon fast Mittag ist.

An meinem ersten Tag in Hanoi bin ich trotz meiner Müdigkeit dazu entschlossen, einige der Sehenswürdigkeiten zu Fuß zu erkunden, und will zuerst den Literaturtempel besichtigen. Google Maps verspricht mir 33 Minuten Fußweg. „Kein Problem“, denke ich mir, muss aber feststellen: Hanoi ist keine Stadt für Fußgänger. Ich muss oft am Straßenrand neben den vielen Motorrädern laufen, weil die Bürgersteige größtenteils als Restaurant, Parkplatz oder Geschäft genutzt werden.

Das Motorrad ist bei weitem das beliebteste Fortbewegungsmittel in Hanoi. Auf 8 Millionen Einwohner kommen über 5 Millionen Motorräder. Die Situation auf den Straßen lässt manchmal fast glauben, dass diese Motorräder alle miteinander unterwegs sind. Verkehrsregeln scheinen dabei eher unverbindliche Empfehlungen zu sein. Ampeln sind nicht viel mehr als Dekoration und Vorfahrt hat wohl, wer am lautesten hupt.

Transport à la Hanoi: Auf ein Motorrad passt wahlweise auch eine vierköpfige Familie
Transport à la Hanoi: Auf ein Motorrad passt wahlweise auch eine vierköpfige Familie Foto: Laila Bintner

Motorräder werden in Hanoi für fast jeden Zweck genutzt. Auf ihnen lässt sich zum Beispiel transportieren: ein Schwein, zwölf Hühner, ein Kühlschrank oder auch eine mittelgroße Familie. Die Fahrzeuge sind aber leider auch die Hauptursache der Luftverschmutzung. Hanoi zählt zu den Städten mit der schlechtesten Luftqualität in Südostasien. Hier scheint die Sonne nur milchig durch die dicke Smogschicht und viele Menschen tragen Masken, um sich vor der schlechten Luft zu schützen.

Die Straßen Hanois eignen sich also nicht unbedingt für entspannte Spaziergänge, haben aber trotzdem auch ein paar ruhigere Ecken. In vielen kleinen Seitenstraßen ist nichts von dem Großstadtchaos zu spüren und ab und zu stoße ich auch zufällig auf eine Sehenswürdigkeit. Auf meinem Weg zum Literaturtempel komme ich unerwartet an der Train Street vorbei. Diese kleine Straße gehört zu einer der bekanntesten Hanois, weil stündlich ein Zug durch sie fährt. Am Rand der Straße reihen sich zahlreiche Cafés aneinander, die zu diesem Zeitpunkt schnell ihre Terrassen wieder abbauen. Die Straße ist ein beliebtes Ziel für Touristen, die nach dem perfekten Foto für ihre sozialen Medien (#hanoi) suchen. Ich setze mich auch kurz in eines der Cafés, habe aber nicht die Geduld, auf das Vorbeifahren eines Zuges zu warten. Auf vietnamesische Pünktlichkeit soll man sich nicht verlassen.

Die Train Street gehört wohl zu den bekanntesten Ecken in Hanoi
Die Train Street gehört wohl zu den bekanntesten Ecken in Hanoi Foto: Laila Bintner

Es dauert zwei Stunden, bis ich beim Literaturtempel ankomme. Ich bin erleichtert, als ich in die Anlage trete. Hier herrscht eine bedächtige Stimmung, ein großer Kontrast zu den Straßen Hanois. Der Literaturtempel wird oft als älteste Universität Vietnams bezeichnet. Zwischen 1076 und 1915 wurden hier Königssöhne und Aristokraten unterrichtet. Heute gilt er als das wichtigste Heiligtum Vietnams.

Die Konfuzius-Statue im Literaturtempel in Hanoi
Die Konfuzius-Statue im Literaturtempel in Hanoi Foto: Laila Bintner

In dem vierten der fünf ummauerten Innenhöfe liegt der eigentliche Tempelbereich, in dessen Mitte eine große Konfuzius-Statue steht. Der Literaturtempel wurde in seinem Gedenken errichtet. Ich verbringe eine Stunde damit, durch die Innenhöfe zu schlendern, aber nach einer Weile wird es mir zu heiß. Es wird Zeit, mich in ein klimatisiertes Café zurückzuziehen.

In Hanoi gibt es eine richtige Café-Kultur. Man kann Stunden damit verbringen, von Laden zu Laden zu gehen und die verschiedenen Kaffee- und Teesorten auszuprobieren. Vietnam ist der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt, was Kaffee in Hanoi besonders beliebt macht. Typisch vietnamesischer Kaffee wird kalt, stark und mit Kondensmilch getrunken. Eine lokale Spezialität ist Eierkaffee, schwarzer Kaffee mit einem Schaum aus aufgeschlagenem Ei und Kondensmilch.

Hanoi hat eine große Café-Kultur
Hanoi hat eine große Café-Kultur Foto: Laila Bintner

Ich mag es, auf dem Balkon eines Cafés zu sitzen und das Treiben der Stadt von oben zu beobachten. In diesen Momenten finde ich etwas Ruhe im Chaos der Stadt. Ich sehe, wie ein Einwohner seine Wäsche aufhängt, eine Frau Körbe mit Obst durch den Verkehr balanciert, ein Mann auf einem kleinen Plastikhocker eine Zeitung liest, eine Verkäuferin konzentriert eine Ananas schält. Im Detail kann die Uhr in Hanoi plötzlich sehr langsam ticken. 

Nach dem Einbruch der Dunkelheit ist das Leben ebenso facettenreich: schnell, laut, mondän einerseits und langsam, entspannt andererseits. Einige Orte sind voll und laut, vor allem die Nachtmärkte und die Beer Street. Der bekannteste Nachtmarkt in der Altstadt ist ganze drei Kilometer lang. Hier kann man Postkarten, übergroße Teddybären, vietnamesische Flaggen, gefälschte Prada-Taschen oder Louis-Vuitton-Shirts für zwei Euro kaufen. Die Beer Street ist die wohl bekannteste Straße zum Ausgehen in Hanoi – und vermutlich auch die lauteste. Auf jedem Meter versucht ein Kellner, einen in eine Bar zu locken. Aus den unterschiedlichen Bars und Clubs dröhnt Musik, während auf der Straße Menschen im Gedrängel auf Plastikstühlen sitzen und dicht nebeneinander essen und trinken.

An manchen Ecken ist Hanoi am Abend wie ausgestorben
An manchen Ecken ist Hanoi am Abend wie ausgestorben Foto: Laila Bintner

Abseits von diesen Orten ist es nachts ruhig in den Straßen Hanois. Viele Verkäufer haben ihre Waren eingepackt und warten auf den nächsten Tag. Der chaotische Verkehr ebbt ab und eine ungewöhnliche Stille legt sich über die Stadt. Gegen Mitternacht bin ich sogar oft alleine auf Straßen, die tagsüber überfüllt sind. Dann denke ich mir: Hanoi ist endlich schlafen gegangen.

Zur Person

Laila Bintner wurde im November 2002 geboren und ist in Lintgen aufgewachsen. Sie ist am Fieldgen zur Schule gegangen und hat während ihrer Schulzeit ein Praktikum beim Tageblatt absolviert. In Berlin hat sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Politikwissenschaft als Nebenfach studiert. Seit April reist sie auf eigene Faust durch Südostasien und berichtet über ihre Erfahrungen. 

Von ihrer Reise sind bisher folgende Artikel erschienen: 
One-Way-Ticket ins große Abenteuer (18.Juli 2023)