ReportageVollmond in Nordvietnam: Weiterreisen in den Bergen Vietnams

Reportage / Vollmond in Nordvietnam: Weiterreisen in den Bergen Vietnams
Ein kleines Café mitten in den Reisfeldern im Norden des Landes hält eine besondere Überraschung bereit: eine Schaukel mit einem atemberaubenden Ausblick Foto: Laila Bintner

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Die Reise geht weiter: Von Hanoi fahre ich in den hohen Norden Vietnams. Zuerst geht es nach Sa Pa, dann in die Berge der Provinz Ha Giang. Von dort aus fahre ich wieder in Richtung Süden. Ein Bericht über das Ankommen und Weiterziehen.

Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, wo ich bin. Meine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit in der kleinen Kabine. Mein Handydisplay verrät mir: Es ist noch keine 5 Uhr.

Aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken, denn ein dramatisch klingendes vietnamesisches Lied tönt gnadenlos aus Lautsprechern. „Warum diese Musik?“, fragt ein Mann, der im Bett unter mir liegt, verschlafen. „Ich glaube, das soll unser Wecker sein, wir werden bald ankommen“, meine ich. Auf der Karte meines Handys sehe ich, dass wir schon hoch im Norden Vietnams sind.

Ich teile mir eine Kabine mit zwei fremden Männern im Nachtzug von Hanoi nach Lao Cai, eine Grenzstadt zu China. Von dort aus will ich weiter nach Sa Pa, eine Stadt hoch in den Bergen. Im ländlichen Norden Vietnams ist der Himmel groß und offen. In Hanoi lag immer eine dicke Schicht Smog wie ein Deckel über der Stadt. Jetzt, wo sich die Reisterrassen Sa Pas um mich herum ausbreiten, kommt mir Hanoi weit entfernt vor.

Durchatmen in den Bergen rund um Sa Pa 
Durchatmen in den Bergen rund um Sa Pa  Foto: Laila Bintner

Die vage Desorientierung der ersten Tage meiner Reise sind jetzt zur Erinnerung geworden. Wenn ich an Hanoi zurückdenke, sehe ich mich als winzige Figur im Gewimmel der Stadt, umgeben von Straßen, die sich immer weiterspinnen. Hier kann ich Stunden auf der Terrasse meines Gasthauses verbringen und in die weite Landschaft blicken. Sie gibt mir den Eindruck, dass die Welt groß genug ist. Ich werde mich nicht an jeder ihrer Ecken und Kanten stoßen.

Das Gasthaus, auch „Homestay“ genannt, liegt einige Kilometer außerhalb Sa Pas. Es ist ein hölzernes Haus in dem traditionellen Stil der Hmong. Sie sind eine der 54 ethnischen Gruppen, die in Vietnam leben und alle ihre eigene Kultur, Tradition und Sprache haben. Die Hmong bilden um Sa Pa die Mehrheit der Bevölkerung. Hier gewinnt man einen Einblick in ihr Leben: Die meisten Dörfer bestehen aus Hütten in ihrem Baustil und an jeder Ecke kann man ihr traditionelles Handwerk kaufen.

J. ist einer der vier Freunde, die ein kleines Stück ihres Abenteuers gemeinsam erleben
J. ist einer der vier Freunde, die ein kleines Stück ihres Abenteuers gemeinsam erleben Foto: Laila Bintner

Ich lerne im Gasthaus drei Menschen kennen, mit denen ich den Großteil meiner Zeit in Sa Pa verbringe. Wir machen lange Wanderungen und gehen jeden Tag in ein kleines Café, das in den Reisfeldern versteckt liegt. Würden wir in der gleichen Stadt leben, wären wir uns vermutlich nie begegnet. Unsere Lebensrealitäten wären dafür zu verschieden. M. hat gerade ihren Bachelor in ihrer Heimatstadt Brüssel abgeschlossen und reist jetzt ein Jahr lang durch Asien. J. hat studiert und dann einige Jahre in Berlin gearbeitet. Sie hat jetzt ihren Job gekündigt, um für eine Weile zu reisen und sich dabei neu zu orientieren. N. arbeitet an der kanadischen Westküste als Feuerwehrmann und reist während seiner Urlaubszeit durch Japan und Vietnam.

Laila, J., M. und eine lokale Guide während ihrer Wanderungen durch Nordvietnam
Laila, J., M. und eine lokale Guide während ihrer Wanderungen durch Nordvietnam Foto: Laila Bintner

Hier in Vietnam leben wir eine gemeinsame Realität. Unabhängig davon, wo wir in unserem Leben stehen, wir haben alle beschlossen, alleine durch ein fremdes Land zu reisen. Es läuft auf das Gleiche hinaus, auch wenn wir vielleicht aus verschiedenen Gründen reisen. Wir alle sind hier, weil wir nach etwas Neuem suchen.

Grün, wohin das Auge reicht: Vietnams nördliche Provinz Ha Giang 
Grün, wohin das Auge reicht: Vietnams nördliche Provinz Ha Giang  Foto: Laila Bintner

Wir reisen noch für eine Weile zusammen. Einige Tage verbringen wir in der nördlichen Provinz Ha Giang, wo wir an kleinen Orten in den Bergen übernachten. An einem Tag stehen wir vor den Bergen, die Vietnam und China trennen. Auf der Karte auf meinem Handy sehe ich, wie ich mich auf der roten Linie befinde, die Vietnam von China trennt.

Ein Zaun, der Welten trennt: Die Grenze zwischen Vietnam und China verläuft genau an den Klippen dieses Berges
Ein Zaun, der Welten trennt: Die Grenze zwischen Vietnam und China verläuft genau an den Klippen dieses Berges Foto: Laila Bintner

Aus Gründen, die ich selbst nicht richtig verstehe, kam mir China immer sehr viel ferner vor als Vietnam. Die Berge an der Grenze zu China zu sehen, erinnert mich daran, wie weit ich von Luxemburg entfernt bin. Trotzdem sehen die Berge auf der chinesischen Seite gleich aus wie die auf der vietnamesischen. Nur die Sicherheitszäune an der Bergkette zeigen: Der Boden auf der einen Seite und der Boden auf der anderen Seite sind nicht gleich.

N. und J. in einem der Schlafbusse Vietnams. Wirklich ausgeruht ist man am Ende der Busfahrt nicht.
N. und J. in einem der Schlafbusse Vietnams. Wirklich ausgeruht ist man am Ende der Busfahrt nicht. Foto: Laila Bintner

Einige Tage später fahren wir nach Ninh Binh. Der Ort liegt zwei Stunden unter Hanoi und ist für seine beeindruckenden Karstfelsen bekannt. Ich nehme zum ersten Mal einen Schlafbus. Im Bus gibt es über 40 Betten. Es ist schwierig, auf den kleinen Liegen eine halbwegs bequeme Position zu finden, und der Busfahrer hupt alle 30 Sekunden, obwohl die nächtlichen Straßen fast leer sind. Ich beobachte die Lichter, die vor dem Fenster vorbeiziehen, bis ich endlich einschlafe.

Am nächsten Morgen wache ich im Innenhof meines Hostels auf. Ich liege auf dem Boden, auf der Matte einer Strandliege. Wir hatten kein Bett für die Nacht, denn der Check-in im Hostel ist erst ab 14 Uhr. Unser Bus ist bereits um 4 Uhr angekommen. Ich fühle mich nicht sehr ausgeschlafen, aber immerhin ist die Aussicht hübsch. Von meiner Matte aus kann ich direkt auf den Fluss blicken, auf dem Boote vorbeirudern.

Improvisierte Schlafmaske in Ninh Binh: Ein kleines Nickerchen während der Warterei auf den Check-in in der Herberge
Improvisierte Schlafmaske in Ninh Binh: Ein kleines Nickerchen während der Warterei auf den Check-in in der Herberge Foto: Laila Bintner

Viel mehr als die Aussicht genießen tun wir an unseren zwei Tagen in Ninh Binh nicht. Eine Hitzewelle hat Südostasien erfasst und jeden Tag wird es über 40 Grad heiß. An einem Tag wird sogar die Rekordtemperatur von 44,1 Grad wird gemessen. Das ist kein Wetter, bei dem man sich weit vom Pool wegbewegt.

In Vietnam kann man aber auch bei einer Hitzewelle nicht lange an einem Ort verweilen. Das Land ist groß und die Zeit ist knapp, weil das Visum nur für einen Monat gültig ist. Deshalb nehme ich zwei Tage später einen Nachtbus nach Hue, eine Stadt in der Mitte Vietnams. Hier trennen sich die Wege von meinen Freunden und mir. N. fliegt zurück nach Kanada und J. nach Bali. Nur M., die noch in Vietnam bleibt, werde ich in einigen Tagen wiedersehen.

Ich bin melancholisch, als ich mich von ihnen verabschiede und mit meinem schweren Rucksack zu meinem Bus gehe. Gleichzeitig aber freue ich mich auf das, was vor mir liegt. Ich schaue in den Himmel und sehe den Mond, der groß und voll am Himmel hängt. Ich frage mich: Von wo aus werde ich den nächsten Vollmond sehen? Jetzt kann ich das noch nicht wissen, aber darum geht es ja.

Zur Person

Laila Bintner wurde im November 2002 geboren und ist in Lintgen aufgewachsen. Sie ist am Fieldgen zur Schule gegangen und hat während ihrer Schulzeit ein Praktikum beim Tageblatt absolviert. In Berlin hat sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Politikwissenschaft als Nebenfach studiert. Seit April reist sie auf eigene Faust durch Südostasien und berichtet über ihre Erfahrungen. 

Von ihrer Reise sind bisher folgende Artikel erschienen: 
One-Way-Ticket ins große Abenteuer (18. Juli 2023)
Spaziergänge durch Hanoi (24. Juli 2023)