Fonderie MassardWie Luxemburgs letzte Gießerei sich wandelt und dennoch seiner Tradition treu bleibt

Fonderie Massard / Wie Luxemburgs letzte Gießerei sich wandelt und dennoch seiner Tradition treu bleibt
Feuriger Job: Arbeiter schütten die Reste aus der Gießpfanne  Foto: Lucien Montebrusco

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Dort, wo einst Arbeiterschuhe zusammengenäht wurden, finden heute Konzerte und Konferenzen statt. Die Produktionsstätte von Karbidlampen ist zur Ruine verkommen. Die Gießerei Massard in Kayl ist die letzte noch aktive Zeitzeugin der Eisenerzindustrie Kayl-Tetingens. Neben der Schungfabrik und der Firma des Lutepitti, beide in Tetingen, gehörte die Schlosserei und Gießerei bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts mit zu den wichtigsten Lieferanten eines boomenden Wirtschaftszweigs. Erzgrubenwagen, Buggis, baut man in Kayl schon lange nicht mehr. Die Firma ist auf die Herstellung gusseiserner Elemente für die Großindustrie sowie Kunst- und Dekorationsguss spezialisiert.

Die Anfänge des Betriebs in der Nörtzinger Straße gehen auf das Jahr 1873 zurück. Die sich entwickelnde Eisenindustrie zog auch die beiden Schlosser Henri und Jean Massard aus Heisdorf in den Süden, wo sie in Kayl eine Konstruktionswerkstatt gründeten. Sie begannen „Buggis“ zu bauen. Dazu benötigte man aber auch Räder. Und die waren aus Gusseisen. Da entstand neben der Schlosserei auch eine Gießerei, erzählt Frank Wurth, Gesellschafter, dessen Sohn Serge heute das Familienunternehmen in fünfter Generation führt.

Die Erzeugnisse aus der Kayler Gießerei wurden bald bis nach Irland, wo Torf abgebaut wurde, und sogar bis nach Südafrika verkauft.

Ein Abstich wird gemacht
Ein Abstich wird gemacht Foto: Lucien Montebrusco

Erinnerungen an die klassische Eisenindustrie

Man begann, auch andere Stücke als Räder zu gießen, setzt Wurth seine Erzählung fort. Als dieses Geschäft nicht mehr so gut ging, beschloss sein Großvater, u.a. Betonmischer zu bauen. Dann machten die letzten Erzgruben dicht. Den Hauptanteil am Geschäft sollte fortan die Gießerei übernehmen. In den 1980er Jahren wurde eine neue Gießerei mit leistungsfähigen Schmelz- und Formanlagen errichtet.

Der Eintritt in die Werkshalle gleich hinter dem bescheidenen Verwaltungsgebäude ist beeindruckend. Ein Respekt fordernder, fauchender Gaswerfer bringt eine auf dem Boden gekippte Gießpfanne zum Glühen. Sie wird für den nächsten Abstich vorbereitet. Der erfolgt nur wenige Meter davon entfernt. Serge Wurth treffen wir in seiner silbern glänzenden Schutzjacke mit Helm und Augenschutz. Der Ofen, auf den er hinter sich zeigt, erinnert an einen Hochofen aus der klassischen Eisenindustrie, nur wesentlich kleiner. Statt Eisenerz wird im Kupolofen Roheisen und Koks schichtweise geladen, bei Bedarf auch andere Zusätze. Eingeblasen wird nicht heiße Luft wie im Hochofen, sondern mit Sauerstoff angereicherte Luft.

Der erste Ofen der Firma stand noch gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Dort war 1883 die erste Charge geschmolzen worden. Heute steht dieser Kupolofen Marke Eigenbau als Denkmal industrieller Vergangenheit in Steinfort. Das Gebäude der Massard-Gießerei 1.0 steht unter Denkmalschutz. Die Firma hatte das Gelände vor Jahren verkauft, als sie die gesamte Produktion auf das gegenüber liegende Areal verlegte.

Die Gießpfanne wird für den Einsatz vorbereitet und aufgewärmt 
Die Gießpfanne wird für den Einsatz vorbereitet und aufgewärmt  Foto: Lucien Montebrusco

Keine luxemburgischen Modellbauer 

Zurück zum Abstich in der Werkhalle. Gleißend gelb fließt das geschmolzene Gusseisen aus dem Ofen über eine Rinne in die Gießpfanne. Von hier geht es zu den Gussformen, wo das Metall die vom Kunden gewünschte Form bekommt. „Das Prinzip in der Gießerei ist ja, dass man ein Modell haben muss. Ich muss zuerst ein Positiv haben“, erklärt Frank Wurth die Arbeitsweise. Aufgrund eines vom Kunden gelieferten Plans wird ein Modell erstellt, das Positiv. Anhand des Modells wird dann das Negativ gemacht. In diese Form fließt das Gusseisen und man erhält erneut ein Positiv. Die Modelle langjähriger Kunden werden in einem Lager aufbewahrt, sodass bei Bedarf das benötigte Teil schnell gegossen werden kann.

Soeben ist ein Arbeiter dabei, eine Form vorzubereiten. Aus dem Mischer leitet er schwarzen Quarzsand, dem Harz beigemischt wird, in den Formkasten um das Positiv. Bald ist das Material ausgehärtet, sodass das Modell, meist aus Holz, herausgelöst werden kann. Nach Gebrauch wird der Quarzsand gereinigt und wiederverwendet. Es gebe leider keine Modellbauer mehr in Luxemburg, nennt Wurth eines der branchenspezifischen Probleme. Man gehe dafür meist nach Deutschland, wo Spezialisten das erste Positiv herstellen. Dabei sei das Modell manchmal teurer als das Endprodukt.

Wurth zeigt auf ein vor kurzem aus der Form gelöstes Gussstück – einen knapp vier Meter langen Pfeiler für den Bahnhof Schöneweid in Berlin. Die originalgetreu neu gegossenen Stützen sollen die Bahnsteigüberdachung tragen. Zuvor hatte man u.a. die Säulenköpfe für den Berliner Ostbahnhof erneuert. Einige Meter weiter bohrt ein Mitarbeiter Löcher in kunstvoll gestaltete Stäbe. Es sind Teile der gusseisernen Umfriedung des hauptstädtischen Friedhofs Notre-Dame auf Limpertsberg, die hier restauriert bzw. neu gegossen werden.

Ausglühende Reststücke
Ausglühende Reststücke Foto: Lucien Montebrusco

Klein, flexibel und höchste Qualität

Ein Großkunde war früher die Arbed, erzählt Frank Wurth. Für die Schmelz stellte man u.a. wassergekühlte Schlackenabflussrinnen her. Mit dem Ende der Hochofenzeit brach dieses Marktsegment weg. Heute macht der Export den größten Teil des Umsatzes aus. Produziert wird hauptsächlich für den deutschen Markt, insbesondere für große Maschinenbauunternehmen. Für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann stelle man große Segmente, die als Schutzvorrichtung im Stahlwerk benötigt werden, her. Wenig später wird Wurth bereits fertiggestellte Teile für Kompressoren zeigen. Produziert würden nur kleine Serien. „Wir sind klein, flexibel und können schnell jemandem aus der Klemme helfen. Und wir versuchen, gute Qualität zu bringen“, zählt der Seniorchef die Vorteile des 20-Mann-Betriebs auf.

Der Luxemburger Industriemarkt besteht u.a. aus den traditionellen Kunden wie Goodyear und ArcelorMittal. Weitere Kunden sind die Gemeinden. Zur Gießerei kommen sie, wenn sie beispielsweise „personalisierte Schachtdeckel“ mit den Wappenzeichen der Ortschaft oder besondere Elemente des Stadtmobiliars wünschen. „Für Kayl haben wir die Mastleuchten im Zentrum der Ortschaft gegossen.“ Auch die Kandelaber auf der hauptstädtischen place d‘armes stammen aus dieser Gießerei. Für Bettemburg goss sie Skulpturen von Rob. Kieffer und François Valentiny.

Die Betreiber der letzten Gießerei in Luxemburg: Serge und Frank Wurth
Die Betreiber der letzten Gießerei in Luxemburg: Serge und Frank Wurth Foto: Lucien Montebrusco

Wie andere Unternehmen belastete die Covid-19-Pandemie auch die Gießerei Massard. Mehr als 20.000 Euro gab man für Masken, Desinfektionsmittel und Tests aus. Geld, das unwiderruflich verloren ist. Jetzt lastet die Ukraine-Krise auf der Firma. So bezog man Roheisen und Koks bisher auch aus Russland. Man musste sich nach anderen Lieferanten umschauen. Hinzu kommen die explodierenden Rohstoffpreise. „Die Preise steigen fast täglich, so dass wir auf Lager kaufen“, sagt Wurth. Man wisse ja nicht, was in vierzehn Tagen sei. Und stellt sich dann die Frage, wie man die Mehrkosten an den Kunden weitergibt. Mehrere Gießereien im Ausland mussten bereits schließen.

Optimistischer Blick nach vorne

Für die Zukunft seines Wirtschaftszweiges macht Wurth sich keine Sorgen, zumal die Fonderie Massard die letzte ihrer Art in Luxemburg ist. „Es gibt nun mal Stücke, die kann man nicht in einem anderen Material produzieren. Nicht alles kann digital erstellt werden.“ Im Modellbau hingegen gehe man in Richtung 3D-Print, insbesondere bei sehr komplexen Stücken, die äußerste Präzision erfordern. Als Beispiel nennt er eine Bronzeplastik auf dem Kayler Friedhof. Die beschädigte Statue musste neu gegossen werden. Sie wurde mit einem 3D-Scanner abgetastet, um anschließend das Modell herzustellen.

Problematischer ist es hingegen mit der Berufsausbildung. In Luxemburg wurde der letzte Former, die Person, die mit Hilfe des Modells die Gießform herstellt, vor etwa zehn Jahren ausgebildet, sagt Wurth. Die Ausbildung geschieht demnach vor Ort.

Dennoch ist man im Traditionsbetrieb optimistisch. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, und wenn andere Gießereien schließen, finden weitere Kunden den Weg nach Kayl. Auch an die Weiterentwicklung des Betriebs wird gedacht. Der nächste Kupolofen soll nicht mehr mit Koks, sondern mit Elektroenergie oder Gas betrieben werden. Auf jeden Fall soll die Produktion in Zukunft CO2-neutral werden.