Guillaume Steichen kennt das Gebäude in der rue de Luxembourg, 68, seit seiner Kindheit. Es liegt direkt gegenüber vom Elternhaus. Er habe, so erzählt er, dem allmählichen Verfall des stattlichen Hauses jahrelang zusehen müssen.
Ein paar Jahre später gehört ihm das Haus – zusammen mit Emmanuelle Mourton, Didier Oussard und Cédric Thiry. Vier Allgemeinärzte und – Freunde. Aus dem ehemaligen Wohnhaus wurde eine Gemeinschaftspraxis mit Herz und Verstand. Ergänzt wird das Team durch eine weitere Allgemeinmedizinerin sowie einen Internisten mit Schwerpunkt Onkologie. Ab September stößt ein sechster Arzt hinzu. Dazu kommen bereits heute ein medizinisches Analyselabor und ein Physiotherapeut – seit Juli 2024 ist das Zentrum geöffnet.
Arzt nahe am Menschen
Die Initialzündung kam 2017: „Das Haus stand plötzlich zum Verkauf!“, erinnert sich Steichen. Die Idee zur Umnutzung dürfte allerdings älter sein – und tiefer reichen.
Denn hinter der Gemeinschaftspraxis steht mehr als nur ein praktisches Modell. Es ist ein medizinisches und gesellschaftliches Statement. Ein Plädoyer für den Hausarzt als nahbaren Wegbegleiter durchs Leben – und nicht als austauschbare Schnittstelle zwischen Symptomen und Medikamenten. Die wohnortnahe Versorgung, so die vier Ärzte, ermögliche eine gezieltere, menschlichere Betreuung.
„Die Medizin ist zu sehr auf Krankenhäuser fixiert. Und der Arzt wird zu oft nur als Techniker gesehen“, sagen Emmanuelle, Guillaume, Didier und Cédric. Ihr Anspruch ist es, den Menschen ein breites, abgestimmtes Angebot zu machen – und sie, soweit möglich, vom Krankenhaus fernzuhalten. Nicht aus Ablehnung, sondern aus Überzeugung: Subsidiarität statt Zentralismus. Jeder soll das tun, was er am besten kann – im Sinne einer funktionierenden, solidarischen Gesellschaft.
Die Botschaft: Nicht gleich in die Notaufnahme – lieber erst zum Hausarzt. Denn ein Spontanbesuch im Bereitschaftsdienst ist oft kein Ersatz für eine kontinuierliche Begleitung.
Erster Ansprechpartner
Damit liegt das Ärzteteam in der Luxemburger Straße auf einer Linie mit Gesundheitsministerin Martine Deprez. „I love my Hausdokter“ heißt ihre Kampagne, mit der sie die Schlüsselrolle von Allgemein- und Kinderärzten im luxemburgischen Gesundheitssystem betont. In einer Pressemitteilung vom Februar heißt es:
„Das Ministerium für Gesundheit und soziale Sicherheit startet die Kampagne mit dem Ziel, Bürgerinnen und Bürger dazu zu ermutigen, sich bei gesundheitlichen Anliegen vorrangig an ihren Hausarzt oder Kinderarzt zu wenden. Wer auf eine direkte Vorstellung in der Notaufnahme bei nicht schwerwiegenden Fällen verzichtet, profitiert von einer persönlichen Betreuung – und entlastet gleichzeitig die Notdienste.“
Sébastien Diederich, Arzt und Generalsekretär der Ärztekammer (AMMD), bringt es auf den Punkt: „Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner für Patientinnen und Patienten, das Rückgrat der Versorgung und Garant für eine ganzheitliche und passende Behandlung.“
30 Prozent haben keinen Hausarzt
Doch zwischen Ideal und Realität klafft noch eine Lücke: Rund 30 Prozent der Bevölkerung haben laut Einschätzung des Ärzteteams in Esch keinen Hausarzt – und wissen oft gar nicht, wofür er eigentlich da ist. „Es fehlt an Wissen darüber, was ein Hausarzt leisten kann“, sagen sie.
Gerade hier sieht das Team die Stärken einer Gemeinschaftspraxis: flexiblere Öffnungszeiten, bessere Vertretung bei Krankheit oder Fortbildung, abgestimmte Betreuung und nahtlose Übergänge. Digitale Vernetzung hilft – etwa beim Zugriff auf Patientendossiers, bei Rückfragen, bei der Zusammenarbeit mit Spezialist:innen. Im Notfall zählt Schnelligkeit – und Vertrauen.
Vieles könnte noch besser laufen, wenn die medizinische Kommunikation einfacher wäre: Patientenakten mit strukturierten, übergreifenden Informationen etwa, die auch Kolleg:innen eine schnelle Einschätzung ermöglichen.
Natürlich spielt auch das Geld eine Rolle. Mehr Leistung – etwa durch Technik oder Personal – heißt auch: mehr Aufwand. Doch die Tarife ärztlicher Leistungen sind in der Nomenklatur festgelegt, zusätzliche Aufwendungen oft nicht erstattbar. Trotzdem, betonen Guillaume und seine Kolleg:innen: „Wichtiger als Geld sind uns die Patientinnen und Patienten. Wir versuchen, das zu tun, was Sinn ergibt.“
Und Sinn ergibt es auch räumlich: Das Haus, großzügige 600 Quadratmeter auf einem Grundstück von 29 Ar, strahlt eine gewisse Noblesse aus. Doch es ist keine Privatklinik – sondern ein Ort, an dem man einfach Patient sein darf. Ganz normal, ganz menschlich.

Geschichte des Hauses:
Das Kulturministerium hat die Villa Hoff in Esch, 68 rue de Luxembourg, unter Schutz gestellt. Das 1912 vom Architekten Paul Funck entworfene Gebäude war einst Wohnsitz des Direktors der Escher Hütte, Hubert Hoff. Danach gab es einen wilden Benutzerwechsel. Statec, Datenschutzkommission, Architekt Jim Clemes. Das Haus gehörte zuletzt dem „Hôpital neuro-psychiatrique“ in Ettelbrück. Dann haben Guillaume Steichen und friends es gekauft. Sie haben viel investiert, fast noch einmal den Kaufwert des Hauses, um es richtig instand setzen zu lassen.
Zur Geschichte: Die Villa ist Teil eines historischen Ensembles von acht Dienstwohnungen für ranghohe Arbed-Mitarbeiter. Architektur, Ausstattung und Lage spiegeln den damaligen Status der Bewohner. Das Haus gilt als bedeutendes Zeugnis der Industriegeschichte und ist in großen Teilen original erhalten – inklusive eines prächtigen Buntglasfensters mit Ingenieurswappen. Die Villa ist nicht nur ein architektonisches Zeugnis ihrer Zeit, sondern auch ein Spiegel der sozialen Hierarchien innerhalb der damaligen Industriegesellschaft. Die räumliche Nähe zum Berwart-Schloss, Gartenanlagen und die aufwendige Ausstattung sprechen eine klare Sprache: Hier lebte nicht irgendjemand – hier wohnte ein Mann an der Spitze des Stahlimperiums. Der offizielle Schutz hat künftige Umbauten genehmigungspflichtig gemacht, gleichzeitig aber Fördermaßnahmen für Restaurierungen ermöglicht.
		    		
                    De Maart
                
                              















                          
                          
                          
                          
                          
                          
                          
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