Juristisches NeulandWie das RTL-Urteil Luxemburgs Demokratie ändern könnte

Juristisches Neuland / Wie das RTL-Urteil Luxemburgs Demokratie ändern könnte
Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement (links) gewann den Gerichtsprozess– und hat damit weitreichende Diskussionen ausgelöst Foto: Editpress/Julien Garroy

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Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement hat vor Gericht das Recht eingeklagt, den Konzessionsvertrag zwischen RTL und dem Luxemburger Staat einzusehen. Das Luxemburger Verwaltungsgericht hat zugunsten des Abgeordneten entschieden – und damit nicht nur juristisches Neuland betreten, sondern nebenbei auch ein politisches Beben ausgelöst. Die Chamber muss sich nun mit der Umsetzung des Urteils beschäftigen. Schon am Freitag sollen die Abgeordneten erste Einblicke in den Text erhalten.

Luxemburgs Parlamentsabgeordnete erhalten künftig Einsicht in Dokumente, die von der Regierung mit Drittparteien unterzeichnet worden sind und bisher der Geheimhaltung unterlagen. So hat das Luxemburger Verwaltungsgericht geurteilt. „Das Urteil stärkt die Position der Chamber“, sagt LSAP-Präsident Yves Cruchten – und stimmt damit in den Chor der Abgeordneten ein, die die Chamber durch das Urteil in ihrer Kontrollfunktion gestärkt sehen. Dabei geht es nicht nur um den RTL-Konzessionsvertrag, sondern um alle geheimen Verträge, Konventionen und „Memorandums of Understanding“, die die Regierung zukünftig abschließt.

Was bleibt, sind zwei grundlegende Fragen: Unter welchen Umständen und wo genau erhalten die Abgeordneten Einsicht in die geheimen Unterlagen? Darüber wurde am Mittwochmorgen in der Versammlung der „Conférence des présidents“ gemeinsam mit dem „Chamber-Bureau“ diskutiert. Schon am Rande der Sitzung wurde bekannt, dass Premier- und Medienminister Xavier Bettel (DP) den RTL-Konzessionsvertrag am Freitag in den Medienausschuss der Chamber mitbringen und den dort anwesenden Abgeordneten vorlegen wird. In der „Conférence des présidents“ wurde zusätzlich darüber diskutiert, einen Lesesaal im Staatsministerium für den RTL-Konzessionsvertrag für all die Abgeordneten einzurichten, die am Freitag nicht an der Kommissionssitzung teilnehmen können. Eine Bestätigung dieses Vorgehens blieb auf mehrfache Anfrage des Tageblatt im Staatsministerium unbeantwortet.

LSAP-Chef Cruchten begrüßt das Urteil des Verwaltungsgerichtes und blickt bereits in die Zukunft: „Es stellen sich im Zusammenhang mit dem Urteil eine Menge Fragen: Wie sieht es mit der rechtlichen Verantwortung der Abgeordneten aus?“ Die Parlamentarier seien durch die Verfassung geschützt – was im Fall einer Verschwiegenheitsklausel jedoch zu ganz konkreten Problemen führt. Dürfen Abgeordnete in Ausführung ihrer Kontrollfunktion die Verschwiegenheitsklausel brechen? Wegen dieser „Hellewull u Froen“ müsse die Chamber nun eine ganz konkrete Prozedur ausarbeiten, sagt der LSAP-Abgeordnete. Cruchten ersetzte in der „Conférence des présidents“ LSAP-Fraktionschef Georges Engel, der im Verwaltungsrat der CLT-UFA sitzt und sich deshalb aus der Diskussion zurückzog. „Wenn die Debatte wieder etwas breiter geführt wird und sich nicht mehr nur rund um den RTL-Konzessionsvertrag dreht, werde ich auch wieder mitdiskutieren“, versichert Engel auf Nachfrage des Tageblatt.

„Lange und konstruktive“ Sitzung

Marc Baum von „déi Lénk“ resümiert die Diskussion am Mittwochmorgen als „lang und konstruktiv“. Es sei eine Analyse des Gerichtsurteils erfolgt, das jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden müsse. „Die Situation ist vergleichbar mit der eines Verwaltungsrates. Dieser muss ebenfalls Einsicht in alle Dokumente des Betriebes haben. Es dürfen keine Passagen geschwärzt werden und Notizen sind erlaubt“, so Baum. Dabei handele es sich jedoch um den Feinschliff. Wichtig sei, dass momentan ein breiter Konsens herrsche, um gemeinsam die Einsicht in die Dokumente zu ermöglichen. Anschließend bleibe aber die Frage um die Haftung der Abgeordneten, die durch die Verfassung geschützt sind. „Auch die Möglichkeit, die Verfassung in einigen Punkten abzuändern, stand im Raum. Diese Möglichkeit wurde jedoch schnell wieder verworfen“, sagt Baum.

Fernand Kartheiser (ADR) ist vor allem eins wichtig: „Es dürfen keine Regeln geschaffen werden, die die Abgeordneten im Umgang mit den sensiblen Daten in ihrer Kontrollfunktion einschränken würden.“ Das Luxemburger Parlament habe im internationalen Vergleich wenige Rechte und sei durch das Urteil gestärkt worden, sagt der ADR-Abgeordnete. Jetzt sei es wichtig, jeden einzelnen Abgeordneten genügend zu schützen und genaue Regeln festzulegen. „Der Präzedenzfall TTIP wurde des Öfteren erwähnt. Da stellt sich jetzt die Frage, ob ein solcher Lesesaal im Staatsministerium oder in der Chamber eingerichtet wird. Das ist aber eine Detailfrage, wenngleich ihr eine hohe symbolische Bedeutung zukommt“, sagt Kartheiser.

Unabhängig davon, wie die Einsicht in geheime Dokumente zukünftig gewährt wird: Das Verwaltungsgericht hat mit seinem Urteil einen Präzedenzfall in Luxemburg geschaffen, in dem es erstmals als Schiedsrichter zwischen Parlament und Regierung auftritt – und dem Parlament dabei den Rücken stärkt. Alex Bodry, Mitglied des Staatsrats, bezeichnet das Urteil in seinem Gastbeitrag für das Tageblatt als „Rettung für die Abgeordneten“. Der ehemalige LSAP-Abgeordnete kritisiert, dass die Gewaltenteilung in der Praxis nur unvollkommen funktioniere. „Le fait majoritaire l’emporte sur l’équilibre entre institutions“, schreibt Bodry. Anders ausgedrückt: Die Gewaltenteilung verläuft nicht zwischen Legislative und Exekutive, sondern zwischen Mehrheit und Opposition im Parlament.

In seiner Analyse stellt Alex Bodry weiter fest, dass der Status des Parlamentes und der Abgeordneten durch das Urteil gestärkt wurde und es nun an den Abgeordneten liege, das Parlament ausgehend vom Gerichtsurteil nachhaltig in seiner Mission als Kontrollorgan der Exekutive zu stärken. „Dafür bedarf es Abgeordnete der Mehrheit, die sich nicht als reine Verteidiger der Regierung sehen und Abgeordneten der Opposition, die sich nicht nur als Ankläger der Regierung sehen“, schreibt Bodry und schließt sein Argument mit einer zeitgemäßen Metapher: „Le vaccin contre la pandémie du déclin du parlement est entre les mains des parlementaires eux-mêmes, au Luxembourg et ailleurs.“

Hitzige Debatte im Parlament

Die „Chambre des députés“ ist in ihrem Kern theoretisch ein Ort der gesitteten Debatten und zivilisierten Auseinandersetzung – oder sollte es zumindest sein. Denn die Szenen, die sich vergangene Woche im Parlament abspielten, erinnerten dann doch eher an ein abendliches Streitgespräch in der Kneipe als an eine parlamentarische Auseinandersetzung. Mit dem Urteil im Gerichtsprozess zugunsten des Piraten-Abgeordneten Sven Clement hatte niemand gerechnet, was für reichlich Zündstoff in der Chamber sorgte – und das Selbstverständnis der Gewaltenteilung in Luxemburg kurzerhand auf den Kopf stellt.

Der DP-Abgeordnete Pim Knaff reichte am vergangenen Donnerstag eine Motion ein, in der er die Regierung aufforderte, eine Analyse des Urteils anzufertigen und die Modalitäten zu klären, unter denen die Abgeordneten den Vertrag dann einsehen dürfen. „Juristische Häresie“, entgegnete Oppositionspolitiker Gilles Roth (CSV). Das Parlament und nicht die Regierung müsse sich nun die Möglichkeiten geben, damit Abgeordnete in einem Leseraum die bis dato geheimen Verträge im Einklang mit den vorhandenen Verschwiegenheitsklauseln einsehen können. Der CSV-Abgeordnete bezeichnete das Urteil im Plenum als wegweisend, da die Abgeordneten des Luxemburger Parlaments in ihrer Kontrollfunktion gestärkt wurden und zukünftig nicht mehr als dritte außenstehende Partei bei Vertragsabschlüssen gelten dürfen. Die Motion des DP-Abgeordneten Pim Knaff erklärte Gilles Roth (CSV) als nicht zulässig.

Dem stimmte Parlaments-Präsident Fernand Etgen zu und kündigte an, die Motion am Mittwoch in der „Conférence des présidents“ zu besprechen – was Tageblatt-Informationen zufolge aber nicht passiert ist. Der schriftliche Antrag sei zu keinem Zeitpunkt erwähnt worden, sagte am Mittwoch ein Abgeordneter – und ergänzte: „Über die Essenz der Motion wurde diskutiert. Die Motion war ja auch nicht falsch, nur war sie an den falschen Empfänger adressiert – die Regierung – und nicht an die Chamber gerichtet.“

Jacques
4. Februar 2021 - 10.03

@ Här J.-P. Grober. Den Arrêt fand Dir ennert https://ja.public.lu/40001-45000/44997C.pdf Ausserdem hat den Här Bodry geschter en interessanten Artikel iwert dei nei geschaffen Jurisprudenz am Tageblat.

Grober J-P.
4. Februar 2021 - 0.32

Vor einem Jahr abgewiesen, jetzt zugelassen!? Kann nix verstan. Liegt das an den Richtern oder, oder, oder?