Öffentlicher VerkehrWenn durch die Adapto-Reform plötzlich Existenzen auf dem Spiel stehen: „Es geht hier um meine Arbeit“  

Öffentlicher Verkehr / Wenn durch die Adapto-Reform plötzlich Existenzen auf dem Spiel stehen: „Es geht hier um meine Arbeit“  
Die Adapto-Busse sind an die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung angepasst – ob sie im Rollstuhl sitzen oder nicht Foto: Voyages Unsen

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Der Adapto-Service wird reformiert. Das kündigte Transportminister François Bausch 2019 an, als er nach viel Protest einlenken musste – und auch dieser Rufbus gratis angeboten wird. Viele warnten schon damals, dass die Reform diejenigen an den Rand ihrer finanziellen Existenz drängen könnte, die auf den Dienst angewiesen sind, um an ihre Arbeitsstelle zu gelangen. Ein Betroffener erzählt dem Tageblatt, was es bedeutet, nicht mehr auf den Adapto-Bus zurückgreifen zu können. 

„Ich fühle mich für meine Selbstständigkeit abgestraft“, sagt Bernd Eller aus Eischen. Auf den ersten Blick scheint er nicht jemand zu sein, der auf den Rufbus-Service angewiesen ist. Doch der Eindruck täuscht. Vor 28 Jahren hatte er einen schweren Motorradunfall. Danach war er eine Zeit lang auf den Rollstuhl angewiesen. „Doch da habe ich mich rausgearbeitet und mir das alles hier alleine aufgebaut“, sagt der 51-Jährige gestikulierend. Er habe ein Haus, eine Arbeit, eine Familie. Trotzdem hat er immer noch mit den Folgen des Unfalls zu kämpfen. Eller leidet unter Gleichgewichtsstörungen, kann kaum lesen, ist aufbrausend und spricht mit einem leichten Lallen.  

Den Adapto-Bus, beziehungsweise dessen Vorgänger Novabus, benutzt Eller schon seit 20 Jahren. Hauptsächlich für die Pendelei zum Arbeitsplatz. Er ist bei der Gemeinde Mamer mit dem Status „behinderter Arbeitnehmer“ angestellt und empfängt die Kunden im Recyclinghof. Eine Arbeit, auf die er stolz ist. „Ich bin immer pünktlich und mache meine Arbeit gut“, betont Eller. Während der Woche ist er von dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr im Einsatz, samstags von 9 bis 13 Uhr. Sonntags und montags ist dann sein „Wochenende“. Um den Bus für die Arbeit zu buchen, musste Eller bisher dem Transportministerium eine E-Mail schreiben und genau angeben, wann und weswegen er den Dienst brauchte. „Für mich nur schwer möglich“, sagt der 51-Jährige. Er kenne zwar die Wörter, aber könne seit dem Unfall keine Buchstaben mehr zusammenfügen. „Ich bin dann auf die Hilfe einer Sozialassistentin oder meiner Familie angewiesen.“ Ein Umstand, für den er sich manchmal schämt. 

Für private Zwecke benutzte Eller den Rufbus kaum. „Manchmal zum Einkaufen“, sagt er. Wenn es möglich war, begleitete ihn seine Frau. Seine beiden Kinder mussten dann aber zu Hause bleiben. „Ich habe beim Transportministerium nachgefragt, ob es nicht möglich sei, hier eine Ausnahme zu machen. Die Kinder stehen schließlich unter meiner Verantwortung. Aber es kam nie eine Antwort“, erzählt Eller. 

„Op de leschte Stëppel“

Es sei die Art, wie mit ihm umgegangen werde, die ihn so ärgere. Ende Februar wurde seine Adapto-Karte nicht verlängert. Das erfuhr er allerdings erst, als er am 22. Februar das zuständige Ministerium anrief, um nachzufragen, wann er seine neue Karte erhalten würde, da die bisherige am 27. Februar auslaufen würde. Erst Tage danach erreichte ihn die schriftliche Bestätigung, dass er keine Karte mehr genehmigt bekommt. Das Schreiben liegt dem Tageblatt vor und ist auf den 28. Februar datiert. Darauf ist auch festgehalten, dass die Entscheidung am 15. März in Kraft tritt. Es sei alles auf „de leschte Stëppel“ geschehen, beschwert sich Eller. „Ich habe angerufen, um den Bus zu bestellen und man sagte mir, meine Karte sei ungültig.“ 

Dass ihm die Adapto-Karte aberkannt werden würde, ahnte er schon im Vorfeld. Um diese nämlich verlängert zu bekommen, musste er seinen Gesundheitszustand bei einem vom Ministerium bestimmten Arzt überprüfen lassen. „Der untersuchte mich kaum zehn Minuten, sagte mir, ich soll einmal kurz hin- und zurückgehen, was er mit einem ,Tiptop‘ quittierte, und fragte mich dann: ,Und Sie brauchen den Adapto?‘“, erzählt Eller. „Dieser Arzt kennt mich doch gar nicht, wie will er das beurteilen?“ Aufgrund dieser medizinischen Untersuchung verlor Eller dann auch die Adapto-Berechtigung. Obwohl sein Hausarzt, der ihn seit Jahren betreut, ein Zertifikat ausgestellt hat. Auch dieses Schreiben liegt dem Tageblatt vor: „Tatsächlich hängt Herr Eller wegen seiner Behinderung von Adapto ab“, schreibt dieser Arzt. „Er besitzt keinen Führerschein und die Benutzung der Busverbindung Eischen-Mamer zum Arbeitsplatz hat er oft versucht, jedoch ist die Sturzgefahr im Stehen zu hoch, denn er findet trotz seiner Invalidenkarte während der Stoßzeiten keinen Sitzplatz.“

Die Busfahrt von Eischen nach Mamer dauert, bei wenig Verkehr, etwas mehr als eine halbe Stunde. „Wenn der Bus nicht voll ist und ich sitzen kann, dann geht das“, sagt Eller. Doch wenn er pünktlich zur Arbeit möchte, muss er kurz nach 8 Uhr den Bus nehmen, „und der ist immer komplett besetzt“. Das mache ihn nervös, und da er keine auffällige Behinderung habe, würde man in der Regel nicht für ihn aufstehen. Die Invalidenkarte vorzeigen zu müssen, damit man ihm glaubt, verärgert ihn. „Es gab mal die Situation, dass wir den Krankenwagen rufen mussten, um eines meiner Kinder ins Kinderkrankenhaus zu bringen. Ich wollte mitfahren, schließlich bin ich der Vater. Doch da wurde mir gesagt: ,Mir huele keng Panzvolliste mat.‘ Ich war so wütend. Als ich meinen Behindertenausweis vorzeigte, entschuldigte die Person sich etliche Male. Doch das verletzt unheimlich“, erzählt Eller. Ähnlich sei es ihm einmal in der Hauptstadt ergangen. Polizisten hätten ihn mit einem ziemlich rüden Ton angesprochen, als er zu Fuß unterwegs war. „Wegen meiner Gleichgewichtsstörungen schwanke ich beim Gehen etwas hin und her“, sagt Eller. Das habe wohl den Eindruck vermittelt, er sei betrunken gewesen. Wieder wurde ihm erst geglaubt, als er seinen Ausweis vorzeigte. „Ich trinke nicht und ich rauche nicht“, betont Eller. 

Kein Einzelfall

„Ich brauche den Adapto-Service, um arbeiten zu können. Nur darum geht es mir“, sagt Eller. Gegen etwas mehr Selbstständigkeit hätte er nichts, im Gegenteil. „Doch von einem Tag auf den anderen wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen.“ Seine Frau könne ihn nicht zur Arbeit fahren. Sie habe selbst keinen Führerschein und arbeite in Mersch in einer Kita. „Da fährt sie auch mit dem öffentlichen Verkehr hin, eine halbe Weltreise.“ Nach einigen Gesprächen mit Mamers Bürgermeister Gilles Roth und mit Unterstützung der Abteilung Arbeitnehmer mit Behinderung vom OGBL (DTH) habe man nun eine kurzfristige Lösung gefunden: flexible Arbeitszeiten. „Doch das ist auch keine Dauerlösung. Und ich bin zu spät auf der Arbeit.“ Wenn es sein müsse, würde er auch wieder für den Service bezahlen, so wie es vor der Umstellung 2020 der Fall war. „Lieber 8 Euro bezahlen als das hier.“ Vom Transportministerium fühlt sich der 51-Jährige im Stich gelassen. „Wenn ich dann Bausch sagen höre, man sei dabei, noch kleine Probleme zu lösen, möchte ich ihm sagen, dass das für mich keine ‚kleinen Probleme‘ sind.“ 

Um die Entscheidung des Ministeriums anzufechten, muss Eller nun vor das Verwaltungsgericht ziehen. Ein Prozess, der einige Zeit in Anspruch nehmen wird und während der ihm das Adapto-Angebot verwehrt bleibt. Außerdem werden weitere Kosten auf ihn zukommen, da bei diesem Verfahren ein Anwalt eingeschaltet werden muss. Laut Joël Delvaux vom DHT-OGBL sind das im Schnitt 6.000 Euro, eine Summe, die nicht zurückerstattet wird, auch wenn man den Fall gewinnt. Für Arbeitnehmer mit einer Behinderung sei das eine große finanzielle Belastung, diese würden nämlich oft nur ein wenig mehr als den Mindestlohn verdienen. „Ich werde nicht die einzige Person bleiben, der so was passiert“, warnt Eller.

2019 haben von 6.296 eingetragenen Personen 4.786 den Adapto-Dienst genutzt. (siehe Kasten) Auf Nachfrage des Tageblatt hieß es am Donnerstag vom Transportministerium, dass im Zuge der Adapto-Reform im vergangenen Jahr 580 Personen, die einen Antrag auf Verlängerung eingereicht hätten, das Anrecht auf den „Adapto“-Dienst aberkannt bekommen hätten. Dies, weil die Bedingungen des „Handicap“ und der „reduzierten Mobilität“ nicht gegeben seien. Da aber noch keine offizielle Untersuchungskommission einberufen worden sei, wie eigentlich von der Reform vorgesehen, hätten die Betroffenen eine provisorische Karte bekommen. Noch 174 Personen hätten, Stand März 2021, eine solche Karte. 18 Mal wurde Einspruch gegen die Entscheidung des Ministeriums eingelegt und das Dossier neu geprüft. 15 Personen blieb die Karte verwehrt, drei Mal sei die Erlaubnis für den Adapto doch noch erteilt worden. Dieser Prozess dauere zwischen drei und fünf Wochen. Für diejenigen, die aus dem System entfernt werden, ist keine Unterstützung vonseiten des Transportministeriums vorgesehen. 

Das Familienministerium, Hauptverantwortlicher für den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, sieht sich in dieser Sache nicht zuständig. Die Kompetenz liege alleine beim „Transportdepartement und der Verwaltung des öffentlichen Transports“, antwortete eine Sprecherin am Donnerstag auf eine entsprechende Tageblatt-Anfrage. Wenn sich aber eine Person mit einer Behinderung in ihren Rechten eingeschränkt fühle, könne sich diese ans Familienministerium wenden, heißt es. Könne ihr nicht weitergeholfen werden, werde sie an das dafür zuständige Ministerium verwiesen oder könne sich an das „Centre pour l’égalité de traitement“ wenden. 

2019 äußerten die Betroffenen bereits Bedenken, ob die angekündigte Reform nicht am Ende diejenigen treffen würde, die wirklich auf den Adapto-Service angewiesen sind
2019 äußerten die Betroffenen bereits Bedenken, ob die angekündigte Reform nicht am Ende diejenigen treffen würde, die wirklich auf den Adapto-Service angewiesen sind Foto: Editpress/Julien Garroy

Mittlerweile sind erneut Briefe des Ministeriums an einzelne Personen geschickt worden, die vom Adapto-Service profitieren. Darunter auch Joël Delvaux von der Abteilung für Arbeitnehmer mit Behinderung des OGBL und Patrick Hurst, Präsident des „Centre pour l’égalité de traitement“. Die Schreiben vom 19. März liegen dem Tageblatt vor. Darin werden sie aufgefordert, ihr Dossier zu komplettieren, ihr von der Arbeitsagentur Adem ausgestelltes Zertifikat als „Arbeitnehmer mit Behinderung“ sowie ihren Arbeitsvertrag einzureichen. Ansonsten würde sich das Ministerium „das Recht vorbehalten, den Transport auszusetzen“. „Das stellt uns alle unter Generalverdacht“, ärgert sich Hurst. Das sei reine Schikane. Außerdem gehe die Forderung, eine Kopie des Arbeitsvertrags einzusehen, sehr weit: „Wir müssen uns quasi nackt ausziehen. Das geht sie doch gar nichts an!“ 


Der Adapto-Service

5.641 Personen können aktuell vom Rufbus „Adapto“ profitieren. Vor der Reform waren 6.296 Personen eingetragen, nur 4.786 haben den Dienst 2019 auch genutzt. Der Adapto ist für „Menschen mit einer gravierenden motorischen Einschränkung, einer geistigen oder neurologischen Behinderung, blinde oder seheingeschränkte Personen und Menschen mit einer schweren fortschreitenden Erkrankung“ gedacht, die nicht auf den öffentlichen Verkehr zurückgreifen oder selbst fahren können. Der Dienst kostet den Staat zwischen 12 und 13,5 Millionen Euro. Durch die Pandemie wurde dieser im Jahr 2020 weniger benutzt und kostete den Staat deshalb nur 7,6 Millionen. 651 Busse und 756 Fahrer stehen für den Dienst theoretisch zur Verfügung und werden nach Bedarf eingesetzt. Im Durchschnitt fuhr der Adapto-Dienst von November 2020 bis Februar 2021 250 Mal am Tag.

Jacques
29. März 2021 - 19.43

Schlemm det do. Virwat lauschtert den Doktor deen vum Ministère agesat ginn ass de Leit nett no?
Virwat ?
Genau do leit de Problem.
Deen Dokter muss sech Zeit huelen vir Nozelauschteren an och fir eng seriö Diagnostik ze machen.

Harpagon‘s Gast
29. März 2021 - 17.52

Wenn man den von den Belgier bezahlten Impfdosis Preis betrachtet und mit dem von uns wegen über brüsseler Bestellung bezahltenMehrpreis vergleicht , hätte man zig Adapto- Busse gratis erhalten und Millionen wären für andere blutnotwendigen Dienste und Anschaffungen übrig geblieben.
Haushalten ist eben eine Kunst die man erfahrenen Künstler in Politik überlassen muss sollte es solche Artisten geben !
Schönen Gruss an die Herren Künstler und Geldartisten Werner , Santer und Juncker

Blücher
29. März 2021 - 15.19

Grüner Transportminister und liberales Familienministerium im Dienste des Bürger, eine selektive Politik betreiben. Top sind in neuen Steuerabgaben , wie CO2 Steuer , zu instruieren, noch immer nicht verstanden haben , dass ältere, kranke , behinderte Menschen den ÖT oder das Fahrrad nicht benutzen können , Kinderhorte und Betreuung gratis anbieten und all die die durch das Raster fallen , der Wirtschaft nicht mehr voll dienlich zusein ins Abseits stellen. Wohlstand und Luxusland das das E-Auto, das nachhaltige Wohnen, die digitale Technik , das solidarische , soziale Europa , den Klimaschutz zu ihrem Credo gemacht haben , „ vill Bierger do awer finanziell enner gebottert gin“. Egal , Hauptsache nachhaltig, tolerant und europäisch sein.