100 Tage CSV/DPWelpenschutz ade – Der Amtsantritt der neuen Regierung wurde vom Bettelverbot überschattet

100 Tage CSV/DP / Welpenschutz ade – Der Amtsantritt der neuen Regierung wurde vom Bettelverbot überschattet
 Karikatur: Carlo Schneider

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

100 Tage Schonfrist für die neue Luxemburger CSV-DP-Regierung sind an diesem Sonntag vorbei. Dass es bereits an Kritik hagelte, hat sich Friedens Mannschaft – und allen voran Léon Gloden – selbst zuzuschreiben. Rückblick auf Bettelverbot, Renten- und Logement-Diskussionen – und das Selbstverständnis des Luc Frieden.

25 Tage hat es bis zur ersten großen Amtshandlung der Regierung gedauert. Es sollte der große Coup des Léon Gloden werden, als der frisch genannte CSV-Innenminister am 12. Dezember ankündigte, das vom hauptstädtischen Schöffenrat geplante Bettelverbot durchzuwinken. Symbolisch wurde nicht nur das nach zehn Jahren von LSAP-Hand geführte Innenministerium wieder auf Kurs gebracht, auch wurde der Schulterschluss zur DP noch einmal in aller Öffentlichkeit vollzogen. CSV-Minister stützt DP-Bürgermeisterin – Léon Gloden hat den von Premierminister Luc Frieden (CSV) geforderten transversalen Ansatz wohl etwas zu wörtlich genommen.

Staatsanwaltschaft, Verfassungsexperten, Akteure aus der Zivilgesellschaft und Opposition hielten sich nicht lange mit Kritik zurück. Denn: Neben der „organisierten und aggressiven Bettelei“ wurde auch „jede weitere Form der Bettelei“, darunter die sogenannte „mendicité simple“, also einfache Bettelei, auf einem weiträumigen Territorium der Stadt Luxemburg von morgens 7 bis abends 22 Uhr verboten. Was als symbolkräftige erste öffentlichkeitswirksame Amtshandlung zeigen sollte, dass die neue CSV-DP-Regierung endlich anpackt, wurde zum politischen Eigentor.

Erstes Politikum nach 25 Tagen

 Karikatur: Carlo Schneider

Nicht nur haben CSV und DP mit dem Verbot der einfachen Bettelei wohl über die Grenzen des Luxemburger Rechtsstaates hinausgeschossen – die Reaktionen der politisch Verantwortlichen auf die sie einprasselnde Kritik sind amateurhaftes Politslapstick ersten Grades. Von „Ich glaube noch immer nicht, dass jemand kontrolliert wird, der mit dem Becher da sitzt“ (Corinne Cahen bei Radio 100,7) bis hin zu „Wenn Vertreter der Staatsanwaltschaft Politik machen wollen, sollen sie sich für die Wahlen aufstellen“ (DP-Politiker Claude Radoux im städtischen Gemeinderat) ist für jeden Geschmack etwas dabei. Fest steht aber: Die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen und die Augen vor den eigentlichen Problemen verschließen, sind in der Regel keine Indikatoren für ein geregeltes „business as usual“. Gerade mal 73 Tage hat es dafür gebraucht.

Und was macht die Chefetage der „Luxembourg SA“? Luc Frieden versuchte die Balance zu wahren: einerseits seinen Minister und Parteikollegen nicht bereits nach kürzester Zeit öffentlich bloßzustellen und gleichzeitig die Wogen im politischen Debakel zu glätten. So hat der CSV-Premier einerseits seine Minister veranlasst, die „Interpretationsdivergenz“ anhand eines neuen Gesetzes zu beseitigen. Andererseits will er – zumindest öffentlich – die bisherigen gerichtlichen Urteile nicht anerkennen, bis die höchste richterliche Instanz ein Urteil gefällt hat. 75 Tage hat es vom Tag der Vereidigung bis zum Interview im Tageblatt gedauert, in dem der Regierungschef seine Position noch einmal darlegte. Von dem im Wahlkampf propagierten „Law and Order“ waren zu dem Zeitpunkt zumindest in Regierungsreihen weder Recht noch Ordnung übrig geblieben. Druck auf freischaffende Künstler oder der aktionistische Abzug von Polizisten zur Verstärkung des Hauptstadtcorps sprechen eine andere Sprache.

Ähnlich dilettantisch war dann auch das Vorgehen beim nachträglich angefragten Rechtsgutachten. Wenn jeder Schritt in der Bettelverbot-Affäre minutiös seziert wird, sollte man es als Innenminister eigentlich besser wissen, als ein Gutachten bei der Kanzlei anzufragen, die bereits im Antrag der Stadt Luxemburg einen Einspruch gegen den Entscheid der vorigen Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) eingelegt hatte. Der Verdacht eines Interessenkonfliktes erhärtet sich durch den Umstand, dass ein teilhabender Partner der Kanzlei ein langjähriges CSV-Mitglied ist und als nächster Präsident des Staatsrates gehandelt wird, nur noch weiter. Die CSV will aber kein Problem erkennen, nennt das „Copy&Paste“-Gutachten am Tag 77 nach der Machtübernahme sogar „gang&gäbe“.

Tiefpunkt an Tag 94

Die Aussagen von Simone Beissel, DP-Abgeordnete und hauptstädtische Gemeinderätin, ist dann nur ein weiterer vorläufiger Tiefpunkt in der Bettelverbot-Saga – ausnahmsweise ohne die Beteiligung eines Regierungsakteurs. Wohl wissend wurden Vorfälle organisierter und aggressiver Bettelei zur Rechtfertigung des „einfachen“ Bettelverbots herbeigezogen. Ein rhetorisches Motiv, dem sich CSV und DP übrigens zur Genüge in den vergangenen Monaten bedient haben. Andererseits zeigt die Unterhaltung zwischen Simone Beissel und Astrid Lulling, die an Tag 94 nach der Vereidigung von CSV und DP viral ging, dass eine realitätsentkoppelte Wahrnehmung der Lebensumstände der weniger Wohlhabenden vorliegt.

 Karikatur: Carlo Schneider

Letztlich aber bleibt nur eine Schlussfolgerung: Entweder die einfache Bettelei ist vorsätzlich von CSV und DP verboten worden. Das wäre – laut Experten – rechtlich zumindest fragwürdig. Politisch und moralisch wäre eine solch staatliche Bevormundung von den Parteien, die in ihrem liberalen Denken die Eigenverantwortung zur obersten politischen Maxime ausgerufen haben, kaum zu vertreten. Oder aber die einfache Bettelei ist beim Versuch, die organisierte Bettelei in Luxemburg-Stadt einzudämmen, ins Kreuzfeuer geraten. Weil es Zeit gekostet hätte, sich eindringlicher mit dem Phänomen der organisierten Bettelei auseinanderzusetzen. Das wäre für politisch Verantwortliche, die auf langjährige Erfahrung als Gesetzgeber zurückgreifen können, als bestenfalls stümperhaft einzuordnen.

Obwohl das Bettelverbot die vergangenen Monate das politische Tagesgeschäft dominierte, war es nicht der einzige Aufreger der vergangenen Monate. Das leidige Dauerthema Logement wurde ebenso wie die Rentendebatte nach den Wahlen neu lanciert. Und tatsächlich hätte die Regierung damit auch inhaltlich erste Akzente setzen können, wenn nicht Bildungs- und Wohnungsbauminister Claude Meisch (DP) sich eine öffentliche Auseinandersetzung mit einer hohen Beamtin aus seinem Ministerium geleistet hätte.

84 Tage im Amt

Zwar gestand Minister Meisch ein, dass es sich um einen lautstarken Zwischenfall handelte – eine Entschuldigung für sein Verhalten bleibt aber bis heute aus. Dennoch sah sich Luc Frieden an Tag 84 seiner Amtszeit gezwungen, dem DP-Minister eine indirekte Mahnung zukommen zu lassen, indem er in einem Statement erklärte, dass Minister sich zu jederzeit vorbildlich verhalten müssen.

An Tag 97 der bisherigen Regierungszeit kann endlich inhaltlich diskutiert werden. Am Donnerstag haben Vertreter von Gemeinden und dem Bausektor auf Schloss Senningen zusammengefunden, um über die derzeitige Krise zu diskutieren. Die bisher von der Regierung angedachten Impulse für die an Tag 68 nach Amtsantritt ausgerufene Krise im Bausektor sind jedoch alles andere als innovativ. Vielmehr verschreiben sie sich der in Luxemburg traditionell geführten Eigentumspolitik, die der gehobenen Mittelklasse und Investoren zugutekommt. Bezeichnend dafür: Der Mieterschutz ist auf der nationalen Logement-Versammlung außen vor gelassen worden. In dem Land, in dem Wohnungspolitik jahrzehntelang synonym zu Eigenheim- oder Eigentumspolitik gedacht wurde, ist das nicht wirklich überraschend. Demnach zielen die bisher vorgestellten Maßnahmen der Regierung auch eher darauf ab, Investoren und (zukünftige) Eigentümer zum Kauf zu animieren, um den kriselnden Bausektor anzukurbeln. Mieter und weniger Wohlhabende werden diese Maßnahmen in erster Linie nicht direkt tangieren. Und ob die zugrundeliegenden Probleme, nämlich die exorbitant hohen Grundstückspreise, gekoppelt mit der derzeitigen Zinslage, dadurch gelöst werden, scheint fraglich.

 Karikatur: Carlo Schneider

Drei Tage vor Ende der Schonfrist hat die Regierung also erste inhaltliche Akzente gesetzt? Nicht ganz: Bereits bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages hat Gesundheits- und Sozialversicherungsministerin Martine Deprez (CSV) Opposition wie auch Gewerkschaften gleichermaßen in Wallung gebracht. Wie Premierminister Luc Frieden angekündigt hat, will sich die Regierung für die Debatte Zeit lassen. Doch spätestens an Tag 56 der Regierung Frieden scheint klar: Die Debatte an sich wird keine einfache. Denn wie Ministerin Deprez im Tageblatt-Interview deutlich darlegt, wird über eine Stärkung der zweiten und dritten – privatwirtschaftlichen – Säule des Luxemburger Rentensystems intensiv nachgedacht. Und sollte sich ein Defizit abzeichnen, werden auch die bisher gezahlten Leistungen noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Die am 1. Januar in Kraft getretenen Steuererleichterungen, die eine Anpassung der Steuertabelle vorsahen, haben die Kritik nicht wesentlich dämpfen können.

Selbstsicher an Tag 76

Und wie blickt Frieden auf die Anfangszeit seiner Regierung? Der CSV-Premierminister scheint die doch hitzigen ersten Monate laut eigenen Aussagen nicht unbedingt genossen, immerhin jedoch geschätzt zu haben. „Ich finde es begrüßenswert, dass diskutiert wird“, sagte Luc Frieden im Tageblatt-Interview Anfang Februar. Jedoch: „Kritiker haben nicht immer recht.“ Vor allem bei den Renten und im Logement will der CSV-Premier trotz Kritik am eingeschlagenen Weg festhalten: „Diese Debatte hatten wir in der Wahlkampagne. Diese Kritik war ja durchaus bekannt – die nun gewählten Parteien haben jedoch einen anderen Standpunkt vertreten“, meint Frieden im Tageblatt-Interview an Tag 76 seiner Amtszeit.

Kurz vor Ende der Schonfrist ist aber auch das Personalkarussell noch einmal ordentlich in Gang gekommen. Mit Nicolas Mackel (vorher Luxembourg for Finance) als Luxemburger Botschafter bei der EU und Jean-Paul Olinger (vorher bei der „Union des entreprises luxembourgeoises“) als neuen Chef der Steuerverwaltung steht nach zehn Jahren Machtabstinenz der Christsozialen aber nicht unbedingt der Aufbau eines CSV-Staates an erster Stelle. Stattdessen scheinen Luc Friedens Weggefährten aus der Wirtschafts- und Finanzwelt den Vorzug zu erhalten. Ein Schema, dem auch Arbeits- und Sportminister Georges Mischo (CSV) bei der Ernennung von Anne Heintz zur Regierungsberaterin gefolgt ist. Bei Anne Heintz handelt es sich ebenfalls um eine langjährige Weggefährtin von Georges Mischo, der sie schon als Escher Bürgermeister in sein Vertrautenumfeld holte.

 Karikatur: Carlo Schneider

Tatsächlich wurden die beiden Parteien mit den wirtschaftsliberalen Programmen am Wahltag am 8. Oktober am meisten gewählt und sind seit knappen 98 Tagen im Amt. Zum Regieren braucht es ein Programm und einen treuen Koalitionspartner. Die politische und inhaltliche Auseinandersetzung vor den Wahlen und das Abschließen eines Koalitionsvertrages nach den Wahlen legen die politische Grundausrichtung fest. Dass die Wahlen jedoch als einziger Kompass politischen Handelns herhalten, verkennt nicht nur die Schnelllebigkeit der politischen Debatte, sondern auch die Notwendigkeit derselben für die demokratische Verfasstheit des Staates. Besonders dann, wenn Sparmaßnahmen von Finanzminister Gilles Roth (CSV) angekündigt werden, die bisher weder im Wahlkampf noch im Regierungsprogramm Erwähnung finden.

Diskussionen um Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung und Unabhängigkeit der Justiz, Einschüchterungen gegenüber Künstlern und eine Politik, die nicht nur Auswirkungen auf die derzeitigen, sondern alle nachfolgenden Generationen hat, können spätestens nach 100 Tagen Schonfrist nicht mehr einfach mit einem Verweis auf das Koalitionsprogramm beiseite gewischt werden.

Abbes
25. Februar 2024 - 8.35

@ Jupp /
Dann hu se während 100 Deeg scho méi gemacht wéi hir Viergänger während 10 Joer. Ausser natirlech der Gambia hir Skandaler.

Jupp
23. Februar 2024 - 19.36

Also ausser énger deelweiser Upassung vun der Steiertabell, wou awer nach opsteet wéi déi mesure soll finanzéiert gin, hunn ech nach nët vill Konkretes vun der neier Regierung gesinn.

Jupp
23. Februar 2024 - 19.18

Also waat déi nei Regierung bis elo gemach huet as just Makulatur an Blabla. Vill Konkretes a Neies konnt ech leidet nach nët feststellen.

den trottinette josy
23. Februar 2024 - 16.35

Und der stets grinsende Kammerpräsident im Hintergrund klatscht lächelnd, wie auch sonst, Beifall.

den Tarzan
23. Februar 2024 - 16.22

Vorsicht: Gloden ist ein Musterschüler!

Frau Müller-Lüdenscheid
23. Februar 2024 - 15.32

Muss fräulein Smilla mal wieder voll und ganz zustimmen

Roland
23. Februar 2024 - 15.30

Endlich nach 10 Jahren Theater, Gelaber und Geldverschwendung hat Luxemburg wieder eine richtige Regierung die sich nicht scheut zuzupacken. Was heisst hier Welpenschutz den gab es nicht, es ging gleich richtig los.

Roland
23. Februar 2024 - 15.28

Endlich nach 10 Jahren Theater, Gelaber und Geldverschwendung hat Luxemburg wieder eine richtige Regierung die sich nicht scheut zuzupacken. Welpenschutz hin oder her jetzt geht's erst richtig los.

fraulein smilla
23. Februar 2024 - 14.56

Nach der naechsten ILRES Umfrage ,wird es mit Sicherheit sehr lange Gesichtefr geben und das nicht bei den Regierungsparteien . Die grosse Mehrheit steht naehmlich hinter dem Bettelverbot . Dass nach 10 Jahren Dolce Far Niente wieder eine Regierung im Amt ist ,welche die Probleme auch anpackt ,scheint fuer manche Schreiber ein Kulturschock zu sein und was Kuenstler angeht ,auch die geniesen keinen Welpenschutz .

Grober J-P.
23. Februar 2024 - 9.29

"Jean-Paul Olinger (vorher bei der „Union des entreprises luxembourgeoises“) als neuen Chef der Steuerverwaltung."
Das muss mir einer mal näher erklären!