Montag3. November 2025

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LuxemburgWas Glücksspiel so gefährlich macht – und wie man Gambler schützen kann

Luxemburg / Was Glücksspiel so gefährlich macht – und wie man Gambler schützen kann
Glücksspiel: Die Gefahr einer Spielsucht Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die Spielsucht ist ein weltweites Phänomen, so wie die Glücksspielbranche unaufhörlich wächst. Das Problem hat mit dem Aufkommen des Online-Glücksspiels zugenommen. Umso dringlicher ist der Schutz der Spieler, auch in Luxemburg. Ein Experte gibt seine Einschätzung.

Glücksspiel ist keine gewöhnliche Freizeitbeschäftigung, sondern kann ein gesundheitsschädliches, süchtiges Verhalten sein. Die damit verbundenen Schäden beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit und das Wohlbefinden des Einzelnen, sondern auch sein Vermögen und seine Beziehungen, seine Familie und sein Gemeinwesen und vertiefen gesundheitliche und gesellschaftliche Ungleichheiten. Zu diesem Schluss kam eine „Public Health“-Kommission aus Experten der Bereiche Glücksspielforschung und öffentlicher Gesundheit, die ihre Ergebnisse in The Lancet, dem renommierten britischen Fachmagazin für Gesundheit, im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte. Die Kommission forderte Regierungen und politische Entscheidungsträger auf, die Branche besser zu regulieren und das Glücksspiel als ein Problem der öffentlichen Gesundheit zu behandeln, wie Alkohol und Tabak.

Nach den Worten des Bremer Psychologen und Glücksspielforschers Tobias Hayer ist es die teuerste Suchterkrankung. Besonders gefährlich sind Sportwetten, so Hayer: „Dafür müssen Sie nur Ihr Handy zücken und haben mitunter binnen Sekunden das Ergebnis.“ Das Suchtpotenzial sei gerade bei Live-Wetten hoch. Die Gefahr hat sich drastisch verschärft, seit jeder, der ein Smartphone besitze, damit einen Zugang zu einem Casino in seiner Tasche hat. Laut Experten sind fast 450 Millionen Menschen von den negativen Auswirkungen des Glücksspiels betroffen, 80 Millionen leiden unter einer sogenannten Glücksspielstörung. In Deutschland sollen laut „Glücksspielatlas“ mindestens 1,3 Millionen Menschen davon betroffen sein. In Luxemburg soll es laut Schätzungen etwa 4.500 Spielsüchtige geben.* Besonders gefährdet seinen Personen sozioökonomisch Benachteiligte, ebenso Kinder und Jugendliche. 

Hoffnung auf neues Gesetz

In Luxemburg soll ein neues Gesetz den legalen Rahmen verbessern, „sodass das illegale Glücksspiel in Gaststätten und ähnlichen Betrieben besser verhindert und strafrechtlich verfolgt werden kann“, so die Stellungnahme des Justizministeriums auf Anfrage des Tageblatt. An dem entsprechenden Gesetzentwurf werde gearbeitet. Das geplante Gesetz basiere auf dem aktuell geltenden Glücksspielgesetz vom 20. April 1977 und soll dieses an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen. Dabei stellt sich die Frage, ob es nicht besser (gewesen) wäre, erfahrene Fachleute vom Terrain verstärkt in den Entstehungsprozess des Entwurfs einzubinden.

Die Vereinigung „Anonym Glécksspiller“ besitzt bereits mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Anlaufstelle für Spielsüchtige und hat ihr Beratungs- und Hilfsangebot auf digitale Medien ausgeweitet. Eine Folge war die Gründung des „Zenter fir exzessiivt Verhalten a Verhaltenssucht“ (ZEV) vor drei Jahren. Dessen Handlungsbereich reicht von der Computerspiel- und Handysucht bis hin zu Kauf-, Sex-, Porno-, Arbeits- und Fitnesssucht. Der Direktionsbeauftragte Andreas König weist darauf hin, dass laut Studien „ein substanzieller Teil der Umsätze im Bereich Glücksspiel von Problemspielern generiert wurde“. Je nach Spielform seien etwa 30 bis 50 Prozent der Umsätze auf sie zurückzuführen.

Die Automatenspieler und Sportwettende sind besonders gefährdet

Andreas König, ZEV-Direktionsbeauftragter

„Der Anteil an Online- und Sportwetten hat auch bei unserer Klientel zugenommen und mittlerweile denselben Anteil wie die terrestrischen Spielformen“, weiß König. Als Risikofaktor gerade bei Sportwetten nennt er etwa die Mitgliedschaft bei einem Sportverein: „Das Kompetitive und die vermeintliche Kenntnis spielen eine große Rolle. Bei manchen entsteht der Glaube, man könne sein Wissen leicht zu Geld machen.“ Er stellt den Versuch fest, durch massive Werbung im Sportbereich die selbstverständliche Zugehörigkeit von Sportwetten zum Sport zu etablieren. „Das halte ich für hochriskant“, sagt der Psychologe und Psychotherapeut.

Unter den Betroffenen liegt nach Königs Worten der Männeranteil bei 80 Prozent. Der typische Klient sei Mitte 40 gewesen, mittlerweile kämen zunehmend junge Männer ab Mitte 20. Spielsüchtige seien in allen Schichten und Bildungsniveaus zu finden. Allerdings seien Personen mit geringerem Einkommen unter den Spielern an den Video-Lotterie-Terminals (VLT), auch einfach Slots genannt, besonders stark vertreten, stellt König fest. „Die Automatenspieler und Sportwettende sind besonders gefährdet. Das sind die Spielformen mit dem größten Anteil von Problemspielern unter den Spielenden.“ Derweil sei der Anteil klassischer Casino-Besucher kaum noch relevant. „Früher waren das mal zehn bis 20 Prozent“, sagt der ZEV-Leiter. „Das war, bevor das Land mit Automaten zugepflastert wurde.“

Komplexes Lügengebäude

Bis ein Betroffener Hilfe aufsuche, dauere es meist lange. Oft habe er sich ein Netzwerk von Leuten aufgebaut, bei denen er sich etwas leihen kann. „Sie erzählen verschiedene Storys zu Begründung. Das wird mit der Zeit dann zu einem komplexen Lügengebäude, das anstrengend zu managen ist“, erklärt König. „Bis die Perspektivlosigkeit und Verzweiflung zu groß sind und womöglich schon ein fünf- bis sechsstelliger Betrag verspielt, der Schmuck von der Schwiegermutter verkauft wurde oder gar der Job verloren ging.“

König betont: „Es gibt ganz unterschiedliche Karrieren. Manche geraten sehr schnell in den Sog eines Teufelskreises ungünstiger Emotionen und irrationaler Überzeugungen.“ Er erzählt von einem Klienten, der innerhalb von drei Monaten eine Viertelmillion Euro vom Arbeitgeber veruntreut hat. Andere entwickeln über viele Monate und manchmal Jahre sukzessive ein Suchtverhalten und schaffen es, irgendwie über die Runden zu kommen, bis sie sich dann immer höher verschulden. Gemeinsam haben sie in der Abwärtsspirale das sogenannte Chasing-Phänomen mit der Idee, ihr verlorenes Geld wiederzugewinnen. Dies tritt ab einer bestimmten Phase fast immer auf und meint den zum Scheitern verurteilte Versuch, Verluste wieder durch Gewinne auszugleichen.

Andreas König, Direktionsbeauftragter des ZEV
Andreas König, Direktionsbeauftragter des ZEV Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre

Auch Eltern, die nach etwas süchtig waren, sind nach Königs Worten ein Risikofaktor. Hier können sowohl soziale als auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. Weitere Faktoren sind eine hohe Impulsivität, gering ausgeprägte Selbstkontrolle, das „Sensation Seeking“ sowie eine psychische Vorerkrankung. Narzissten sind relativ häufig vertreten. „Man kann sich eine Weile wegbeamen“, sagt König. Eine Faustregel besagt nach seinen Worten: „Je niedriger das Alter, in dem man mit Glücksspiel begonnen hat, desto höher ist das Risiko, eine Glücksspielsucht zu entwickeln.“ Diese gehe oft mit stoffgebundenen Abhängigkeiten einher, die größte von Nikotin, gefolgt von Alkohol, was die Kontrollfähigkeit reduziert. In anderen Ländern wie etwa Deutschland gilt eine strikte Trennung von Spielen und Alkoholkonsum. Dort dürfen Spielhallen keinen Alkohol ausschenken oder es gelten Abstandsregeln zwischen den Lokalen. Nicht so in Luxemburg.

Was die Problematik des illegalen Glücksspiels angeht, sagt König: „Für das Risiko der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Spielsucht ist es unterm Strich letztlich irrelevant, ob an legalen oder illegalen Automaten gespielt wird.“ Auch sei die Schamgrenze bei der Spielsucht besonders hoch. König stellt fest: „Das Umfeld reagiert oft mit völligem Unverständnis für eine Suchtform, bei der man sich gar keine Substanz zuführt, und unterstellt einem eine Charakter- und Willensschwäche.“ Weil für einen Spielsüchtigen alles andere nicht mehr freudebehaftet ist, gelte es in der Therapie, wieder Alternativen aufzubauen. „Wer 30 Jahre spielsüchtig war, den müssen wir wieder dazu bringen, morgens in aller Ruhe den Kaffee zu riechen und das Brötchen zu schmecken.“ Und das Leben zu genießen, ohne Sucht – und ohne das Spiel.

Eine bessere Strategie, nicht nur das illegale Glücksspiel zu bekämpfen, sondern die Menschen besser davor zu schützen, spielsüchtig zu werden, würde vor allem heißen, den Markt zu regulieren. Brancheninsidern schwebt zum Beispiel vor, dass man sich ausweisen und registrieren muss, wenn man spielt. Personen könnten sich dann in Spielhallen sperren lassen, wie es etwa bereits in Casinos möglich ist. Und Minderjährigen wäre das Zocken an Automaten nicht mehr möglich.

*Nach Prävalenzstudien in Belgien, Deutschland und Frankreich sind 0,4 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung glücksspielsüchtig, 0,3 bis 1,9 Prozent sogenannte Problemspieler.