Wie Pommes und MayoWarum erzählen Luxemburger gerne Belgierwitze?

Wie Pommes und Mayo / Warum erzählen Luxemburger gerne Belgierwitze?
Belgien und Luxemburg – eine Liebesgeschichte? Illustration: Kim Kieffer

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Zur Luxemburger Staatsvisite in Belgien wirft das Tageblatt einen prüfenden Blick auf die älteste Ehe Europas – denn anders kann man das Verhältnis zwischen den zwei kleinen Ländern kaum bezeichnen. Eine Würdigung.

Wieso nimmt ein Belgier eine Autotür mit in die Wüste? Diese und ähnliche Fragen findet man seit Jahrzehnten im Repertoire der RTL-Déckkäpp und aller Möchtegern-Komiker-Onkel bei wirklich jedem Luxemburger Familientreffen. Jedes unserer Nachbarländer hat im großherzogtümlichen Stereotypenkosmos seinen ganz speziellen Platz: Der „Preiss“ ist … na ja, ihr wisst schon, der „Wackes“ ist faul und der „Belsch“ nicht das schärfste Messer in der Schublade. Wenn der innere Fred Keup im Straßenverkehr mal wieder die Oberhand gewinnt, kriegt jede Nation ihr Fett weg. Aber die Belgier sind ohne Zweifel unser liebstes Ziel für Spott und Hohn. Doch was sind die Gründe? Oder machen wir einen Witz draus: Wieso erzählen Luxemburger gerne Belgier-Witze?

Vielleicht weil sich neckt, was sich liebt? Denn eigentlich sind die Belgier doch nur verlorene Luxemburger – zum Teil wenigstens. Denn 1839 kam die „Province de Luxembourg“ mit Athus, Arlon und Bastogne, die bis dahin zu Luxemburg gehörte, zum neu gegründeten Königreich Belgien. Mehrere tausend Luxemburger wurden über Nacht zu Belgiern – also machen wir uns heute eigentlich über uns selbst lustig? Sind Belgierwitze die luxemburgische Form der Selbstironie, geboren aus der Zerrissenheit unserer Nation, aus dem Phantomschmerz unseres Verlustes?

Das würde zumindest erklären, weshalb es pro Jahr fast ein Viertel aller Luxemburger nach Belgien in den Urlaub zieht. Weshalb mehr Luxemburger in Belgien leben als Belgier in Luxemburg. Weshalb Brüssel die beliebteste Stadt der Luxemburger Studenten im Ausland ist und Knokke-Heist sowas wie die Belle Etoile für reiche Rentner – all summer long.

Überhaupt, ist man eigentlich ein richtiger Luxemburger, wenn man noch nie in Blankenberge oder Ostende goldgelbe Pommes mit einer leeren Miesmuschelschale in einen Berg glänzender Mayonnaise getaucht hat? Noch nie auf der Brocante in Arlon das Geschäft seines Lebens gemacht hat. („Ja Schatz, wir brauchen diesen Louis-Seize-Stuhl unbedingt für unseren Salon und es ist mir egal, dass wir keinen Salon haben!“) Noch nie mit einem Haufen gelangweilter Teenager von einem ebenso gelangweilten Lehrer durch die Grottes de Han gejagt wurde? Kann es Luxemburg ohne Belgien überhaupt geben?

Lange Zeit war das nicht der Fall, denn immerhin entstand die UEBL, die „Union économique belgo-luxembourgeoise“, die 1922 gegründet wurde, hauptsächlich deshalb, weil die Belgier sich bereit erklärten, uns mit durchzufüttern. Seit 1928 teilen wir uns eine Währung und heute pendeln mehr als 50.000 Belgier täglich nach Luxemburg, um hier zu arbeiten und zu unserem Reichtum beizutragen. Belgien ist unser wichtigster Handelspartner, die Luxemburger Diplomaten und Offiziere werden in Gent bzw. Brüssel ausgebildet.

Unser einstiger Großherzog Jean hat eine Belgierin geheiratet, sein Enkel hat es ihm gleichgetan und mit Prinzessin Stéphanie wieder eine belgische Thronanwärterin nach Luxemburg gebracht. Mit keinem Land der EU sind wir enger verbunden und verzahnt – auch wenn die CFL und die SNCB es immer noch nicht fertiggebracht haben, dass wir mit dem Zug ohne größere Probleme von Luxemburg nach Brüssel fahren können. Fast könnte man glauben, bei der Eisenbahn sind die alle nur am Pennen. (Kleiner Scherz am Rande).

Natürlich, mögen nun manche sagen, gäbe es Belgien nicht, müssten wir nur nach Steinfort fahren, um am Strand zu liegen. Und während das im ersten Moment praktisch klingt, sollten wir uns fragen: Wie zum Teufel will Serge Tonnar „Aarsch“ auf „Stengefort“ reimen? Und viel wichtiger noch: Wer will denn bitte nach Steinfort? Steinfort existiert doch nur, damit wir durchfahren können, um zum IKEA zu kommen. Der steht nämlich in Arlon – sozusagen als Rache der Belgier für die Jahrzehnte der Witze auf ihre Kosten, nachdem die Luxemburger sich in der Affäre geradezu belgisch angestellt haben. Man munkelt, direkt neben dem IKEA würde gerade Platz geschaffen für ein Data-Center von Google und eine Joghurtfabrik von Fage.

In diesem Sinne: Warum nimmt ein Belgier eine Autotür mit in die Wüste? Damit er das Fenster herunterlassen kann, wenn es heiß wird. Oder aber, damit wir Luxemburger einen Grund haben, Witze zu erzählen.