CoronaWarum die Reproduktionszahl eine wichtige Marke ist

Corona / Warum die Reproduktionszahl eine wichtige Marke ist
Wenn die Nachverfolgung einer Infektion nicht mehr möglich ist, dann hilft soziale Distanzierung Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB

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Sowohl in der politischen wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion um das Coronavirus fällt immer wieder ein Begriff: Reproduktionszahl. Das Tageblatt hat sich mit Dr. Alexander Skupin von der Universität Luxemburg darüber unterhalten, was es mit dieser Zahl genau auf sich hat.

Politiker in ganz Europa schielen zurzeit auf eine Zahl, die zu einer Art Marke geworden ist, die es zu unterbieten gilt, bevor die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gelockert werden können: die Reproduktionszahl des Virus. Doch was genau heißt diese Zahl und warum ist sie so wichtig?

Einfach ausgedrückt sagt die Reproduktionszahl aus, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. Eine Reproduktionszahl von 2 bedeutet also, dass eine infizierte Person im Durchschnitt zwei andere Personen mit dem Virus infiziert.

Eigentlich gibt es sogar zwei Reproduktionszahlen, über die gesprochen wird: R0 und Rt. Dr. Alexander Skupin von der Fakultät für Biomedizin an der Universität Luxemburg erklärt den Unterschied so: „R0 ist die Reproduktionszahl am Anfang einer Epidemie. Sie sagt aus, wie schnell eine Epidemie sich ausbreitet. Rt wird im Verlauf der Epidemie gemessen. Der Unterschied besteht darin, dass es am Anfang der Epidemie keine Immunität gibt. Deshalb hat man eigentlich immer zunächst einen exponentiellen Verlauf. Später, je mehr die Epidemie voranschreitet, werden Menschen, die die Krankheit hatten, immun. Der Anteil der Leute, die die Krankheit bekommen können, ist kleiner. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung schätzt man dann mit Rt ab – auch die effektive Reproduktionszahl genannt.“

Skupin spricht von Schätzungen und nicht von haargenauen Zahlen. Wie sicher sind diese Schätzungen? „Das ist die Gretchenfrage. Es hängt davon ab, wie gut die Daten sind und für welchen Teil der Population man diese Abschätzung macht. Die Frage ist, wie viele andere Personen eine infizierte Person ansteckt. Das Resultat hängt sehr davon ab, welche Population ich betrachte. Als Covid-19 in Wuhan ausgebrochen ist, hat es einen Unterschied gemacht, ob man nur Wuhan als Stadt betrachtet hat oder ganz China.“

Wochenend-Effekt

Die Wissenschaftler können die Ausbreitung des Virus nicht direkt beobachten. Sie sind auf die gesammelten Daten angewiesen, sprich das Ergebnis der Tests, die durchgeführt werden. „Das Problem daran ist, dass man nur einen Datenpunkt pro Tag hat. Die Wissenschaftler versuchen, eine mathematische Gleichung zu finden, die am besten zu den gesammelten Datenpunkten passt, und aus ihr die Rate abzulesen mit der sich das Virus ausbreitet. Bei R0 wird von einem exponentiellen Wachstum ausgegangen. Später bei der Berechnung von Rt ist es dann ein etwas komplizierteres Modell.“

Die Berechnung ist selbst für die Experten nicht immer ganz simpel. In Luxemburg gibt es zum Beispiel einen „Wochenend-Effekt“. Das bedeutet, dass neue Infektionen vom Wochenende zum Teil erst montags in der offiziellen Statistik auftauchen. Das macht eine korrekte Berechnung der Reproduktionszahl schwieriger. Die Wissenschaftler müssen Wege finden, mit solchen Effekten umzugehen. „Deshalb gibt es auch nicht den einen Wert, sondern immer nur eine Abschätzung.“

Eine positive Nachricht gibt es für Luxemburg doch: „In der konservativen Schätzung haben wir in den letzten Tagen endlich den Wert um 1 erreicht“, sagt Skupin. Wenn wir eine kürzere Zeitspanne betrachten, liegen wir sogar unter 1.“

Um 1

Aber warum ist diese Zahl so wichtig? Sinkt die Reproduktionszahl unter 1, dann bedeutet das, dass eine kranke Person im Schnitt weniger als eine Person ansteckt. Die Zahl der Infektionen geht also zurück. Das erlaubt den Wissenschaftlern und den Behörden auch wieder, Infektionsketten zurückzuverfolgen, Kontaktpersonen ausfindig zu machen, zu testen und zu isolieren – man spricht vom „backtracing“. Liegt die Reproduktionsrate zu hoch, dann ist das meistens nicht möglich – die Lage ist zu unübersichtlich. Bei Corona war dies der Fall. Aus diesem Grund wurde eine andere Maßnahmen getroffen, um das Virus einzudämmen: soziale Distanzierung.

„Eine Zahl unter 1 bedeutet ein Abnehmen der Epidemie und wird irgendwann dazu führen, dass das Virus nicht mehr vorhanden ist“, so Skupin. Wenn die Zahl allerdings nur knapp unter 1 liegt, könne das unter Umständen sehr lange dauern, so der Experte.

Skupin unterstreicht aber, dass die Reproduktionsrate nicht der einzige Faktor ist, der bei der Machbarkeit dieses Zurückverfolgens der Infektionsketten eine Rolle spielt. Auch die Gesamtzahl der Infizierten muss mit eingeplant werden. „Es macht einen großen Unterschied, ob ich von 100 Fällen ausgehe, die jeweils eine andere Person anstecken können, oder von 1.000 Fällen.“

Drei Dimensionen

Wie schnell ein Virus sich ausbreitet, hängt laut Dr. Skupin von drei unterschiedlichen Dimensionen ab. Zum einen die biologische Dimension: Sie beschreibt, wie ein Virus funktioniert und was es im Körper tut. Daneben gibt es eine individuelle Dimension: Sie beschreibt, ob eine Person immun ist oder ob sie zum Beispiel zu einer Risikogruppe gehört. Zu guter Letzt gibt es eine „soziologische“ Dimension: Sie beschreibt, wie die Menschen interagieren.

Unter die „soziologische“ Dimension fallen auch Maßnahmen wie die soziale Distanzierung. „Da wir momentan keine anderen Möglichkeiten haben, das Virus einzudämmen, weil wir keine Impfung haben, Medikamente nicht sicher wirken und es zu viele Fälle sind, um sie einzeln zu betrachten, ist die einzige Möglichkeit, die wir im Moment haben, die sozialen Interaktionen zu beschränken, um die Ausbreitung des Virus zu unterdrücken.“

Wären keine Maßnahmen ergriffen worden, so Skupin, hätte die Gefahr bestanden, dass das Krankenhaussystem überlastet worden wäre. „Jetzt, wo die Epidemie abnimmt, können wir einerseits Rückverfolgungen machen, wir können besser abschätzen, was auf die Krankenhäuser zukommt und wir können bessere Vorhersagen machen, wann die Epidemie letztendlich stoppen wird.“

Wie schnell das Virus sich ausbreitet, unterscheidet sich von Land zu Land. „Dabei spielen soziologische Komponenten eine Rolle“, so Skupin. „Menschen in verschiedenen Gesellschaften reagieren verschieden.“ Maßnahmen greifen nicht überall gleich gut. In Korea und China etwa, so Skupin, halten die Menschen sich eher an das, was von oben herab vorgeschrieben wird. „Das Gesellschaftsverständnis ist ein anderes als im Westen.“

Ein anderer Einflussfaktor ist, wie getestet wird. „Gerade bei Covid-19 gibt es viele asymptomatische Fälle. In Ländern, in denen nur Menschen mit starken Symptomen getestet wurden, hat man natürlich andere Fallzahlen, als wenn man konsequent Leute durchtestet und dadurch auch die asymptomatischen Fälle bekommt.“

Eine weitere Rolle spielen „Hotspots“. „Selbst in Luxemburg sehen wir, dass es verschiedene Zentren gibt, in denen sich die Anzahl der Infektionen häuft.“ In großen Ländern wie Deutschland oder Frankreich kann es sein, dass, wenn ein Hotspot abklingt, an einer komplett anderen Stelle einer aufflammt. Betrachtet man das Land im Ganzen (statt der Départements oder der Bundesländer), verhält sich die Epidemie deshalb in großen Ländern „träger“ als in kleinen Ländern.

Eine Frage beschäftigt Wissenschaftler und Politiker gleichermaßen: „Inwieweit können wir es uns leisten, Sektoren oder einzelne Personengruppen wieder rauszulassen?“ Durch die Aufhebung der Maßnahmen – wenn die Menschen wieder mehr Kontakt haben – könnte Rt wieder steigen. „Dann ist Frage, inwiefern die Kapazitäten für Tests und Rückverfolgung ausreichen, damit es nicht zu einer zweiten Welle kommt“, so Skupin.

Caroline R.
26. April 2020 - 0.55

Aarbecht vu Los Alamos Wëssenschaftler proposéiert COVID-19 kënne wierklech schlecht erëm vill méi séier maachen wéi et besser gouf https://www.zdnet.com/article/work-of-los-alamos-scientists-suggests-covid-19-can-turn-really-bad-again-much-faster-than-it-got-better/?ftag=COS-05-10aaa0g&taid=5ea4b66ce1ba14000128063f&utm_campaign=trueAnthem%3A+Trending+Content&utm_medium=trueAnthem&utm_source=twitter

Pit Meier
25. April 2020 - 21.26

Die Reproduktionszahl wird nachträglich geschätzt, und zwar auf Basis der (unvollständigen) Daten der letzten zwei Wochen. Da kein Mensch eine Ahnung hat, wie hoch die Dunkelziffer der Infitzerten ist, da man keine Ahnung hat, warum manche Menschen Null Symptome aufweisen, u.s.w. kann man auch sagen: Die sogenannten Experten schauen in eine Glaskugel um R zu finden. Dass sie eine mathematische Funktion finden, sie R als Funktion von irgend etwas wie z.B. der Zeit darstellt, ist eine anmaßende Behauptung.