GeschichteHeute vor 350 Jahren war (wahrscheinlich) ein trauriger Tag für Esch

Geschichte / Heute vor 350 Jahren war (wahrscheinlich) ein trauriger Tag für Esch
Dass Esch eigentlich auf eine fast tausendjährige Stadtgeschichte zurückblicken kann, ist heute in Vergessenheit geraten. Auch, dass die Stadt während Jahrhunderten als freie Stadt galt und im Mittelalter eine beachtliche Stadtmauer hatte, ist aus der Erinnerung verschwunden.  Foto: Christian Muller

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Heute vor genau 350 Jahren war wohl ein sehr trauriger Tag für die Stadt Esch. Einem der anerkanntesten Lokalhistoriker zufolge wurde an dem Tag die Schleifung der Stadtmauer befohlen.

Es war keine schöne Zeit in Europa. Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) war gerade vorbei. Doch Kriege folgten auf Kriege. Es ging um die Vormachtstellung in Europa. Das Herzogtum Luxemburg gehörte zu Spanien. Im Rahmen eines Friedensvertrags musste es 1659 seinen südlichen Teil (mit Städten wie Thionville und Montmédy) an das aufstrebende Frankreich abtreten. Doch trotz Friedensvertrag gab es keine Ruhe und der Grenzverlauf blieb umstritten. Bald erklärte Frankreich den spanischen Niederlanden erneut den Krieg (1667-1668 und wieder 1672-1678). Im darauffolgenden Krieg eroberte Louis XIV. 1684 die begehrte Festung Luxemburg.

Im Grenzgebiet der beiden Großmächte lag die Stadt Esch. Seit etwa 1310 hatte sie eine Stadtmauer, um sich zu schützen. Die Mauer hatte einen Umfang von rund 1,2 Kilometern und vier mächtige viereckige Eingangstürme. Doch die Mauer sollte diese kriegerischen Zeiten nicht überstehen.

Das spanische Regime schleifte damals die festen Plätze, die es nicht mehr gegen die Franzosen halten konnte, schreibt Lokalhistoriker Joseph Flies in seinem Werk „Das andere Esch“. „Auf Anregung des Prinzen von Chimay befiehlt der Graf von Monterrey, am 1. August 1671 ,die kleine Stadt, genannt das Schlechte Esch, ohne irgendwelche Unkosten für seine Majestät, schleifen zu lassen‘“, so Flies. Etwas später, am 14. November 1671 habe der Graf erneut Druck gemacht und gedroht, die Mauer „durch die Mine sprengen zu lassen“. Der Prinz von Chimay war spanischer Gouverneur in Luxemburg. Der Graf von Monterrey war von 1670 bis 1675 Statthalter der Spanischen Niederlande.

Es war der Ausklang des 400 Jahre währenden Epos einer heldenhaften Stadt

Joseph Flies, Lokalhistoriker

Im Dezember und Januar seien die Türme und Mauern dann gefallen, ist in dem Buch weiterzulesen. Nur ein Turm, der sogenannte „rote Turm“, überlebte die Schleifung. „Es war der Ausklang des 400 Jahre währenden Epos einer heldenhaften Stadt“, schreibt Joseph Flies.

Leicht anders erzählt derweil Lokalhistoriker J.P. Theisen in seinem Buch „Beiträge zur Geschichte der Stadt Esch an der Alzette“ diese Geschichte. Ihm zufolge ist die Schleifung der Mauer erst einige Jahre später erfolgt. „Im Jahre 1677 ließ der Graf von Louvignies, interimistischer (Red.: spanischer) Gouverneur des Landes, die Mauern niederreißen und die Gräben ausfüllen.“ Auch er bedauert das Geschehen: „Nach 1677 erwähnt die Geschichte fast ein Jahrhundert lang unser Städtchen nicht mehr“, schreibt er.

Spanien oder Frankreich?

Eine komplett andere Geschichte der Ereignisse hat die Webseite der Stadt Esch zu bieten. Nur was das Jahr angeht, stimmt sie mit J.P. Theisen überein: 1677. Der Gemeinde zufolge waren es nicht die Spanier, sondern die Franzosen, die die Schleifung der Stadtmauer angeordnet haben. Der französische König Louis XIV. hatte um diese Zeit, 1675, mehrere Befestigungen in der Grenzregion, etwa das bereits zerfallene Schloss in Audun-le-Tiche, schleifen lassen.

Wer nun bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia auf Klärung hofft, wird ebenfalls enttäuscht werden. Schaut man sich den Eintrag über Esch an, dann heißt es zur Stadtgeschichte, Louis XIV. habe die Schleifung im Jahr 1677 in Auftrag gegeben. Schaut man sich jedoch die Seite über den Grafen von Monterrey an, dann steht dort, dieser sei es gewesen. Er sei 1671 in Luxemburg-Stadt gewesen, habe dort die Festung ausgebaut – und die in Esch abgerissen. Des Weiteren wird präzisiert, dass die Avenue Monterey in Luxemburg-Stadt nach ihm benannt ist.

Die vergessene Stadtgeschichte

Auch andere Veröffentlichungen schaffen keine Klarheit. Die meisten deuten jedoch auf das Jahr 1671 und somit auf Spanien und den Grafen von Monterrey hin. Auf der offiziellen Luxemburger Tourismus-Webseite steht beispielsweise: „Der im Jahr 1311 errichtete Festungsgürtel wurde 1671 niedergerissen.“ Auch im Prospekt des Escher Tourismus-Büros „Esch-sur-Alzette – promenade architecturale“ steht, dass die Mauer 1671 abgerissen wurde. Ein Auftraggeber wird in beiden Texten nicht erwähnt.

Der rote Turm auf dem Stadtwappen weist heute noch auf die ehemalige Stadtmauer hin
Der rote Turm auf dem Stadtwappen weist heute noch auf die ehemalige Stadtmauer hin

Doch wer auch immer es nun war, klar ist, dass es eine schwierige Zeit für den Ort war. Mit oder ohne Stadtmauer. Insgesamt wurde Esch zwischen 1328 und 1688 23-mal ausgeplündert und abgebrannt, ist bei Joseph Flies zu lesen. Jedes Mal ist die Stadt wieder auferstanden – zählte jedoch immer weniger Einwohner.

Der letzte Turm wurde 1826 abgerissen

Etwas ruhiger wurde es erst im darauffolgenden Jahrhundert. Doch mit der Französischen Revolution wurden Esch und das Berwart-Schloss im Oktober 1792 von rund 1.000 Mann geplündert. Das Escher Freiheitskreuz wurde zerschlagen. Am 21. Mai 1794 wurden Stadt und Schloss komplett niedergebrannt.

Auch die zweistöckige Holz-Ausstattung des 12 Meter hohen „roten Turms“ war dem Feuer zum Opfer gefallen. Während vieler Jahrzehnte war der Turm unter anderem als Gefängnis des Escher Gerichts genutzt worden. Seinen Namen hatte er wegen der roten Farbe seines Anstrichs erhalten. Nun war auch das letzte Überbleibsel der Festungsmauer nur noch eine Ruine. Im Jahr 1826 wurde der Turm abgerissen. Der damalige Bürgermeister hatte entschieden, dass die Steine für andere Gebäude verwendet werden sollten. 1830 wurde Esch dann das Stadtrecht aberkannt. Erst 1906, mit der boomenden Stahlindustrie, wurde Esch erneut zur Stadt.

An die ehemalige stolze Festungsmauer erinnert heute jedoch kaum noch etwas. Nur der rote Turm auf dem Wappen der Stadt Esch sowie einige Straßennamen wie rue des Remparts oder rue du Fossé. Auch beim Blick auf den Stadtplan ist, mit dem Verlauf einiger Straßen, der Grundriss der ehemaligen Mauer noch erkennbar.

Weiterführende Lektüre:

Die Festungsmauer der freien Stadt Esch

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Auf den Spuren der Quelle der Alzette

An der Struktur der Altstadt ist die ehemalige Stadtmauer noch gut zu erkennen. Die Punkte stehen für die vier Türme.
An der Struktur der Altstadt ist die ehemalige Stadtmauer noch gut zu erkennen. Die Punkte stehen für die vier Türme.
Gemaltes Bild der befestigten Stadt Esch im Jahr 1570
Gemaltes Bild der befestigten Stadt Esch im Jahr 1570