Von der Leyen muss kämpfen: Mehrheit im Europäischen Parlament ist noch nicht sicher

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Eine Mehrheit im Europaparlament ist der designierten EU-Kommissionspräsidentin immer noch nicht sicher – Grüne und Nationalisten könnten den Ausschlag geben.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Einen Schreibtisch in der EU-Kommission hat sie schon. Auch ein kleines, siebenköpfiges „Übergangsteam“ steht Ursula von der Leyen in Brüssel bereits zur Verfügung. Beides wird die designierte neue Chefin der EU-Kommission in den nächsten Tagen intensiv nutzen. Denn von der Leyen muss um ihre Mehrheit im Europaparlament kämpfen.

Mindestens 376 Stimmen braucht die Deutsche, um zur Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker gewählt zu werden. Doch eine Woche vor der Abstimmung, die am kommenden Dienstag in Straßburg stattfinden soll, sind ihr bestenfalls 290 Stimmen sicher. Der Großteil davon entfällt auf die Konservativen von der Europäischen Volkspartei (EVP).

Angeführt vom ehemaligen Spitzenkandidaten Manfred Weber, haben die 182 Abgeordneten der EVP schon in der vergangenen Woche die weiße Fahne gehisst. Nur einen Tag, nachdem der EU-Gipfel von der Leyen völlig überraschend nominiert hatte, schwenkten die Konservativen auf die Vertraute der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ein.

Kein Widerstand von Liberalen zu erwarten

Auch die Liberalen dürften kaum Widerstand leisten. Schließlich sind die 108 Abgeordneten der Fraktion „Renew Europe“ mit dem Deal zufrieden, der dem liberalen belgischen Premier Charles Michel den Job des Ratspräsidenten gesichert hat. Dass von der Leyen keine Spitzenkandidatin bei der Europawahl war, ist für die meisten Liberalen kein Problem.
Aber woher sollen die fehlenden 86 Stimmen kommen? Wie will die von Skandalen erschütterte Verteidigungsministerin jene Abgeordneten überzeugen, die das „Prinzip der Spitzenkandidaten“ hochhalten? Was ist mit den Osteuropäern, die beim Postenpoker im Europäischen Rat leer ausgegangen sind? Von der Leyen fällt eine Antwort schwer.
Genau genommen hat sie noch gar keine Antwort gegeben. Seit ihrem ersten Tweet („Hallo Europa! Hello Europe! Salut l’Europe!“) vor einer Woche sucht man vergeblich nach inhaltlichen Aussagen der künftigen EU-Präsidentin. Von der Leyen ist auf „Listening Tour“ – sie will hören, was den Abgeordneten am Herzen liegt und erst kurz vor der entscheidenden Abstimmung ihr Programm bekannt geben.

Auf politische Signale warten vor allem die Grünen und die Sozialdemokraten. Denn aus diesen Formationen kommt der größte Widerstand. „Wir sehen wirklich keine guten Gründe, warum wir für sie stimmen sollten“, sagte die grüne Fraktionschefin Ska Keller nach einem gut einstündigen Gespräch am Montag in Brüssel. Bisher habe von der Leyen keine Vorschläge gemacht.

Eisiges Schweigen herrscht bei den sozialdemokratischen Europaabgeordneten aus Deutschland. Sie werden von der Leyen erst am heutigen Mittwoch treffen – nach einer „Abkühlphase“, in der die Genossen den Ärger über das Scheitern ihres Spitzenkandidaten Frans Timmermans herunterschlucken wollen. „Die Europa-SPD wird diesem Vorschlag auf keinen Fall zustimmen“, hatte Jens Geier, Chef der SPD-Gruppe, gleich nach der Nominierung erklärt (siehe dazu auch das unten stehende Interview).
Die deutschen Genossen machen allerdings nur noch eine Minderheit bei den europäischen Sozialdemokraten aus. Den Ton geben die Spanier an – und die präsentieren sich weitaus konzilianter. „Wir fällen unser Urteil erst, nachdem wir die Person angehört haben“, sagte Iratxe Garcia Perez, die neue Fraktionschefin. Nach harter Ablehnung klingt das nicht: Die Sozialdemokraten taktieren.

Geheime Trümpfe in der Hinterhand

Vor allem spanische und italienische Genossen wollen von der Leyen ihre Stimme geben, denn sie können mit dem Ausgang des Personalpokers zufrieden sein: Der Spanier Josep Borrell wurde zum Außenbeauftragten ernannt, der Italiener David-Maria Sassoli führt das neue Europaparlament. Wenn auch die Sozialdemokraten aus Benelux und Osteuropa mitziehen, könnte es für von der Leyen reichen.

Sicher ist das jedoch nicht. Das Votum ist geheim, eine „Denkzettel“-Wahl nicht ausgeschlossen. Und so geht das Liebeswerben um die Abgeordneten weiter. Heute will von der Leyen erneut die Grünen treffen, diesmal in einer öffentlichen Anhörung. Es könnte das entscheidende Meeting in diesem denkwürdigen Wahlkampf werden.

Allerdings hat von der Leyen noch einige geheime Trümpfe in der Hinterhand. So könnte sie den Grünen einen Job in der EU-Kommission anbieten, wie dies Ratspräsident Donald Tusk bereits vorgeschlagen hat. Zudem kann sie auf Stimmen aus Polen, Ungarn und Italien hoffen.

Die meisten Abgeordneten aus diesen Ländern gehören zwar nicht den etablierten, EU-freundlichen Parteien an. Doch Regierungschefs wie Viktor Orban haben die Nominierung der konservativen Deutschen ausdrücklich befürwortet. Ob sie mit Stimmen aus dem rechten Lager gewählt werden will, steht auf einem anderen Blatt.

de Schmatt
22. Juli 2019 - 14.40

Hoffentlich ist dann wenigstens Schluss mit dieser lächerlichen Umarmungskultur!