Seit einem Jahr fehlt von Nicolas Holzem scheinbar jede Spur. Der Luxemburger war Mitte Juni 2019 mit seinem Motorrad in Südamerika unterwegs. Mit Gitarre und leichtem Gepäck. Am 30. Juli 2019 ist die Luxemburger Polizei über sein Verschwinden in Kenntnis gesetzt worden. Seine Schwester Sophie Holzem, die in Luxemburg lebt und arbeitet, hat offiziell eine Vermisstenanzeige erstattet, kurz zuvor hat sie das Luxemburger Außenministerium informiert. Bis heute aber ist ihr Bruder auf der Internetseite der Polizei nicht als vermisst aufgelistet.
Die Nachfrage des Tageblatt beantwortete die Pressestelle der Polizei vergangene Woche wie folgt: „Wer ‘offiziell‘ als vermisst gilt, entscheidet die Staatsanwaltschaft. Sie legt fest, wann wir eine Öffentlichkeitsfahndung machen sollen.“ Bei der Pressestelle der Justiz heißt es: „Die Ermittlungen laufen noch. Der Untersuchungsrichter ist noch auf Antworten aus dem Ausland angewiesen, das heißt, er hat noch nicht für alle CRI (internationale Rechtshilfeersuchen) Rückmeldungen erhalten. Deshalb kann die Luxemburger Justiz zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht sagen, wann mit dem Abschluss der Ermittlungen zu rechnen ist. Die Spuren, denen bisher nachgegangen wurde, haben keine Hinweise zum Verbleib des Vermissten geliefert.“
Viele Fragezeichen
So weit also die zum jetzigen Zeitpunkt offiziellen Erklärungen. Mehr scheint nicht drin zu sein, wohl weil die Ermittlungen noch andauern und das Untersuchungsgeheimnis gilt. Bei den Nachforschungen dürften unseren Informationen zufolge aber ein Laptop und ein Tablet eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.
Beide hat Sophie Holzem am 25. August 2019 aus Krakau aus der Wohnung ihres Bruders mitgebracht. Sie hat sie der Polizei in Luxemburg zur Verfügung gestellt, genau wie Nummer eines Bankkontos bei der BNP Paribas in Polen. Zu diesem Konto gehört auch eine Kreditkarte. Die Familie von Nicolas setzte große Hoffnung auf die Auswertung der Karte. Angaben darüber, wo sie überall oder zuletzt benutzt wurde, fehlen unseren Informationen zufolge bis heute. Auch zur Auswertung der zwei Geräte gibt es keine dem Tageblatt vorliegende offizielle Stellungnahme. Was Nicolas’ Kreditkarte bei einer Luxemburger Bank anbelangt, so sei die, heißt es, ein letztes Mal am 22. Mai in Lima (Peru) benutzt worden. Geld sei aber keines abgebucht worden, weil das Limit erschöpft gewesen sei.
Dass Nicolas Holzem nicht als offiziell vermisst angesehen wird, dürfte daran liegen, dass er offensichtlich in Südamerika verschwunden ist, sich also mit großer Wahrscheinlichkeit weder in Luxemburg noch in Europa aufhält. Es könnte aber auch daran liegen, dass der 45-jährige Luxemburger als erwachsener Mensch eigentlich tun und lassen kann, was er will. Wenn er also entschieden haben sollte, zu verschwinden, alle Brücken zu seinem früheren Leben zu kappen, dann ist ihm das rechtlich nicht anzukreiden. Jeder hat das Recht, abzutauchen. Dass das für die Familie schwer zu akzeptieren ist, kann man nachvollziehen, besonders, wenn es sich laut Aussagen verschiedener Familienmitglieder um ein inniges Verhältnis gehandelt hat.
Für Nicolas’ Schwestern Catherine und Sophie handelt es sich deshalb eindeutig um eine „Disparition inquiétante“ – oder in anderen Worten: um ein nicht normales Verschwinden ihres Bruders.
Beunruhigendes Verschwinden
Es gibt durchaus einige Argumente, die für diese Hypothese sprechen: „Nicolas ist keiner, der gerne telefoniert oder sich täglich meldet“, sagte vor rund einem Jahr seine Schwester Catherine. Sie lebt in Neuseeland. Beunruhigend sei aber, dass er sich gar nicht mehr melde: „Er hat regelmäßig über seine Reisen berichtet“, sagte sie.
Dann ist da eine polnische Freundin von Nicolas. Sie meldete sich am 20. Juli bei der Familie, weil er seit über einem Monat nicht mehr erreichbar war. Nicolas hat auch eine 20-jährige Tochter, die in Kanada studiert und die er vor seiner Südamerika-Reise besucht hat. „Die beiden hatten ein sehr gutes Verhältnis“, erzählte Sophie Holzem vergangenes Jahr im Tageblatt-Gespräch.
Beunruhigend ist das Verschwinden auch deshalb, weil Nicolas eigentlich nur bis Anfang August in Südamerika bleiben und dann nach Europa zurückkehren wollte, wie er seiner ältesten Schwester Catherine am 11. Juli in einer E-Mail mitteilte. So bleibt das Verschwinden von Nicolas Holzen ein Geheimnis. Viele Fragen. Kaum Antworten.
Letzte Spur Bolivien
Heute vor einem Jahr, am 15. Juni 2019, hat der Luxemburger Cusco in Peru mit seinem Motorrad, einer weißen Suzuki DR650, in Richtung Bolivien verlassen. Das ist auch der Tag, an dem er wahrscheinlich seine letzte E-Mail verschickt hat, und zwar an einen Freund aus Universitätszeiten. Am Grenzübergang Puerto Acosta am Titicacasee soll er den bolivianischen Behörden zufolge am 16. Juni bei der Einreise registriert worden sein. Einen Eintrag, dass er das Land später wieder verlassen hat, gibt es nicht. Auch sonst fehlt jede Spur, die auf seinen Aufenthaltsort hinweisen könnte.
Besonders Catherine Holzem hat sich bei der Suche nach ihrem Bruder persönlich sehr engagiert. Weil das Luxemburger Außenministerium in ihren Augen nicht die nötige Hilfe leistet und auch die belgische Botschaft in Lima, als Vertretung Luxemburgs, nicht mehr Initiative zeigt, hat sie sich auf den Weg gemacht. Zweimal ist sie von Neuseeland aus nach Südamerika gereist. Er könnte einen Unfall gehabt haben, im Koma liegen und sich deswegen nicht melden, meinte sie. Bei unserem ersten Gespräch war sie besorgt, aber voller Hoffnung.
Vor Ort in Bolivien meldete sie ihren Bruder als vermisst, sie veröffentlichte Suchanzeigen in Tageszeitungen und in spezialisierten Motorradzeitschriften, sie gab Interviews. Drei Wochen lang ging sie per Taxi und per pedes jeder Spur nach und verteilte Flugzettel an strategischen Punkten, an Tankstellen oder im Touristenort Coroico zum Beispiel. Nichts! Auch bei ihrer zweiten Reise verliefen alle Hinweise im Sand.
In den letzten Tagen waren weder Catherine noch Sophie für ein Gespräch zu erreichen. Auch eine Freundin der beiden konnte nicht helfen, einen Kontakt herzustellen. Funkstille.

De Maart

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