FaktencheckVerschwörungstheorien rund um den Pandemievertrag – auch in Luxemburg

Faktencheck / Verschwörungstheorien rund um den Pandemievertrag – auch in Luxemburg
Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hofft auf breite Unterstützung für den Pandemievertrag Foto: AFP/World Health Organisation/Christopher Black

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Die internationalen Verhandlungen über den geplanten Pandemievertrag befinden sich laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktuell in der neunten Runde. Er soll von den teilnehmenden 194 Mitgliedstaaten im Mai unterzeichnet werden. Bereits seit vielen Monaten kursieren absurde Verschwörungstheorien. Auch in Luxemburg. 

Ab 2020 verbreitete sie sich weltweit, legte das öffentliche Leben monatelang lahm, sorgte für massive Einbrüche in der Wirtschaft und laut der WHO für 20 Millionen Todesopfer. In der Corona-Pandemie zeigte sich, wie sich die massive Ungleichheit im Wohlstand zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern im globalen Ausnahmezustand auf eine gemeinschaftliche und solidarische Katastrophenbekämpfung auswirkt. Im Wettbewerb um Masken, Desinfektionsmittel oder Impfstoff konnten viele Länder nicht gegen die Industriestaaten ankommen. Auch wurden nationale Produktionskapazitäten für sich behalten und Hersteller mit Exportverboten belegt. Während in den USA und Europa bereits Millionen von Menschen geimpft waren, gab es im globalen Süden noch nicht einmal genug Impfstoff für das Gesundheitspersonal. Zudem bestand Uneinigkeit in Bezug auf die Bekämpfungsstrategien. Einige Staaten gingen ihren eigenen Weg, so wie beispielsweise Schweden.  

Um in Zukunft besser auf solche globalen Ereignisse vorbereitet zu sein, soll im Mai der sogenannte Pandemievertrag von 194 Mitgliedstaaten der WHO beschlossen werden. Das Ziel ist, die nächste Pandemie schneller, effektiver und gemeinschaftlicher zu bekämpfen.  

Was wird kritisiert?

Verschwörungstheorien über den Pandemievertrag halten sich dennoch hartnäckig. Die ADR forderte in ihrem Wahlprogramm 2023, der Pandemievertrag müsse „die nationale Souveränität der Staaten absolut respektieren“ – ohne zu sagen, wieso diese denn gefährdet sei. Die „Patiente-Vertriedung“ ging sogar so weit, zu erklären, „die Gefahren einer Weltherrschaft im Namen der Gesundheit“ müssten verhindert werden. Diese „Weltherrschaft“ drohe, weil die WHO angeblich durch Ausrufen einer Pandemie in die nationalen Machtbefugnisse der Staaten eingreifen und den Staaten Maßnahmen oktroyieren könne.

Die WHO könne zu leichtfertig Pandemien ausrufen, zudem stünde sie unter starkem Einfluss der Pharmakonzerne, so die luxemburgische „Patiente-Vertriedung“ im Mai 2023. Ähnliche Kritik wurde bereits im Kontext der sogenannten Schweinegrippe laut. Die WHO hatte bei deren Entdeckung 2009 vor einer globalen Pandemie gewarnt, weil sich die Warnungen der Epidemiologen vor einer neuen, gefährlichen Mutation des Grippe-Virus H1N1 zu bewahrheiten schienen. Dieser Virus war auch für die sogenannte Spanische Grippe verantwortlich, der ab 1918 weltweit 20 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Bei der Schweinegrippe entpuppte sich die Variante als deutlich harmloser. Dennoch kam es zu Vertragsabschlüssen zwischen Staaten und Pharmaunternehmen zur Herstellung von Impfstoff, allerdings schon vor der offiziellen Ausrufung der Pandemie. Dies kritisierten Verbände wie Transparency International, die vor Korruption zugunsten der Pharmaindustrie warnten. Hierauf nehmen viele Gegner des Pandemievertrags Bezug, wenn sie vor einer Manipulation der WHO durch die Pharmakonzerne warnen.  

Was ist der Pandemievertrag?

Der Pandemievertrag ist ein zwischenstaatliches Vorhaben, das von den 194 verhandelnden Staaten angestrebt wird. Laut Vertragsentwurf sollen die einzelnen Staaten durch eigenständige Verbesserung der nationalen Kapazitäten wie Labore, Krankenhäuser oder Lager für medizinisches Material wie Masken, Impfampullen oder Sauerstoff selbstständiger werden. Ein weiterer Punkt ist der Technologietransfer zur Herstellung von Impfstoffen. Das soll laut dem Vertragsentwurf zukünftig schneller gehen. Gegebenenfalls soll auch das Patentrecht zeitweise ausgesetzt werden, um eine möglichst schnelle Produktion auch in Schwellen- und Entwicklungsländern zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen Exportbeschränkungen von Vakzinen und medizinischen Gütern im Ernstfall verhindert werden. Die meisten Punkte wurden während Covid-19 bereits von vielen Staaten praktiziert oder gefordert. Auf Grundlage dieser Erfahrungen sollen nun gemeinsame Regeln verhandelt und in einem internationalen Vertrag offiziell festgehalten werden. 

Ist die staatliche Souveränität in Gefahr?    

Vertragspartner werden die Mitgliedstaaten. Diese nehmen freiwillig und aus eigenem Interesse daran teil. Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgt durch die diplomatischen Vertreter der jeweiligen Regierungen. Im Gegensatz zu der häufigen Darstellung in den Beiträgen der Vertragsgegner wird dadurch nicht die Exekutive – wie Polizei oder Gesundheitsbehörden – gebunden. Es wird lediglich der Legislative – den nationalen Parlamenten – ein Auftrag erteilt, die Vertragsregeln in nationales Recht zu transferieren.  

Die Mitgliedstaaten ratifizieren daraufhin den Vertrag in ihren nationalen Parlamenten – oder auch nicht. Staaten können aus dem Vorhaben ohne Konsequenzen aussteigen. Wenn sie die Regeln nicht befolgen, haben sie vonseiten der WHO oder anderer globaler Institutionen keine Sanktionen zu befürchten. Demgegenüber steht das Interesse der Staaten an gemeinschaftlichem Vorgehen gegen eine Bedrohung, die größer ist als ein einzelnes Land.

Da es sich gegenüber den Bürgern um ein Gesetz wie jedes andere handelt, unterliegen auch die Regeln des Pandemievertrags den Grundsätzen der Verfassung sowie den Menschenrechten. Die Vorstellung, durch die Vertragsunterzeichnung gäben Regierungen staatliche Selbstbestimmung ab, ist falsch. Der WHO-Vertrag ist nicht mehr als eine gemeinschaftliche Absichtserklärung der Regierungen, die gemeinsam ausgehandelten Regeln in ihr einzelstaatliches Recht zu übernehmen. 

Will die WHO die Meinungsfreiheit einschränken?   

Eine weitere Befürchtung der Verschwörungsgläubigen ist die drohende Einschränkung der Meinungsfreiheit durch einen Artikel des Vertragstextes zum kommunikativen Umgang mit einer Pandemie. Nach Artikel 18 des Vertragsentwurfs sollen die Staaten unter anderem „evidenzbasierte Informationen zu hindernden und stärkenden Faktoren der Pandemie“ fördern, um „Fehl- oder Falschinformationen“ zu verhindern. Zunächst geht es also um Transparenz, zu der sich die Staaten verpflichten. Die Meinungsfreiheit wird durch den Vertrag nicht eingeschränkt.

Wie sich in der Corona-Pandemie zeigte, bieten solche Krisen einen Nährboden für Fake News. Manche waren harmlos und schnell widerlegt, andere gesundheitsgefährdend. Damals erklärte die Journalismusprofessorin Katarina Bader das Phänomen durch den hohen Einfluss des Geschehens auf das individuelle Leben und dem Gefühl, dass herkömmliche Kanäle nicht genug Informationen böten.  

Dient die WHO den Interessen von Pharmakonzernen? 

Die WHO ist eine Organisation der Vereinten Nationen, ihre Geldgeber sind einerseits die Mitgliedstaaten. Daneben gibt es auch private Spender, wie beispielsweise die „Bill & Melinda Gates“-Stiftung oder auch die Impfallianz GAVI, in der neben Regierungen und NGOs auch Impfstoffhersteller vertreten sind. Diese finanzieren insbesondere die spezifischen Programme der WHO. Die Gelder sind zweckgebunden. Grundsätzlich könnten Konzerne ihre Unterstützung für Hilfsprogramme streichen und dadurch Druck ausüben, jedoch nicht ohne ihre eigene Glaubwürdigkeit zu verspielen. Abgesehen davon steht vieles, was im Pandemievertrag steht, den Interessen der Pharmakonzerne entgegen – zum Beispiel die Patentfreigabe.  

Selbst, wenn der Einfluss der Industrie tatsächlich zum vorschnellen Ausrufen einer Pandemie führte, wären die Staaten nicht direkt verpflichtet, Impfstoff zu bestellen oder sich andere Maßnahmen von der WHO diktieren lassen zu müssen. 

Vertragstext noch nicht final 

Zu all den Fehlinformationen kommt hinzu, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. Der endgültige Vertragstext wird vermutlich erst kurz vor der Deadline im Mai fertig sein. Etliche Aspekte, wie beispielsweise der Umfang der Kompetenzen der WHO im Ausrufen einer Pandemie oder auch die Regeln zur Patentfreigabe, sind noch lange nicht in trockenen Tüchern. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus warnte bereits im Januar, der Vertrag drohe zu scheitern.  

Die komplexe Organisation und Finanzierung internationaler Organisationen können intransparent und undemokratisch wirken. Im Fall des Pandemievertrages sind aber weder die staatliche Souveränität noch die Meinungsfreiheit in Gefahr. Im Übrigen behalten die Staaten die Entscheidungshoheit über Pandemiemaßnahmen und Impfstoffbeschaffungen. 

In der Corona-Pandemie gab es viel Unsicherheit und Planlosigkeit aufgrund ständig neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Laut dem Forscher Michael Butter lieferten Verschwörungstheorien einen Sündenbock. Wenn die Theorien das Vertrauen in die politischen Institutionen erschüttern, hätten populistische Politiker, die vorgeben, die Interessen des wahren Volkes zu vertreten, freie Bahn, so Butter im Januar 2022. Hier seien sie anschlussfähig an rechte Narrative. Das Aufkommen von Verschwörungstheorien sei mit dem Gefühl von Kontrollverlust und dem Bedürfnis nach Eindeutigkeit verbunden.

In diesem Fall richten sich die Verschwörungstheorien gegen eine „Weltregierung“ der WHO, die auf Weisung der globalen Pharmakonzerne handele, auch wenn diese vom Pandemievertrag gar nicht überzeugt sind. Dabei könnte der Pandemievertrag den Staaten dabei helfen, bei der nächsten Pandemie nicht ganz so überfordert zu wirken.