NATOStichwort zwei Prozent: Die Glaubwürdigkeit der Armee steht auf dem Spiel

NATO / Stichwort zwei Prozent: Die Glaubwürdigkeit der Armee steht auf dem Spiel
Ein glaubwürdiger, verlässlicher Partner will die Luxemburger Armee unter General Steve Thull auf internationaler Ebene sein Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Luxemburger Armee befindet sich im Wandel. Unter dem Einfluss geopolitischer Entwicklungen und internationaler Verpflichtungen versuchen die Verteidigungsbehörden den Herausforderungen gerecht zu werden. Was nicht immer einfach ist, wie ein Besuch in der Militärkaserne nun zeigt.

Pressetermin auf dem Herrenberg: Der Stabschef hat die Medienvertreter nach Diekirch geladen, um über die künftigen Herausforderungen der Luxemburger Armee zu reden und bei dieser Gelegenheit auch mal die aktuellen Infrastrukturen zu präsentieren. Auf dem Weg zur Offiziersmesse kommt der Medientross an einer kargen Tankstelle vorbei, an der die letzten Jahrzehnte ganz offensichtliche Spuren hinterlassen haben.

Die schmucklosen Zapfsäulen stehen an einer Art Kreuzung, dahinter ein graues, karges Häuschen: „Das Ganze hat etwas von Checkpoint Charlie“, meint ein Kollege augenzwinkernd, während auch einzelne Offiziere sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können. Die benachbarten Überreste einer niedergerissenen Militärstruktur komplettieren das Bild – wie in Anlehnung an die Trümmer der Berliner Mauer, die kurz nach dem Fall die Straßen der deutschen Metropole säumten.

Der Zustand der Kaserne in Diekirch spiegelt auf anschauliche Weise die Extreme wider, zwischen denen die Armee zurzeit gefangen ist. Über den betagten Bürogebäuden und Wohnbauten im unteren Drittel des Militärareals thronen überdimensionierte Satellitenschüsseln, funktionelle Appartements und ein modernes Industriegebäude auf einer Anhöhe, in dem die Werkstätten und Ateliers eine neue Bleibe gefunden haben.

Es ist das Bild einer Armee im Wandel. Einer Armee, die den Verteidigungsherausforderungen Rechnung zu tragen gedenkt, dabei jedoch an Grenzen stößt, die nicht nur struktureller Natur sind. Der Besuch in der Kaserne zeigt, wo das Luxemburger Militär hinsteuert und welche Anstrengungen dafür unternommen werden. Deutlich wird aber auch, dass die Politik nicht einfach nur blind ins Verteidigungsetat investieren kann, um ein nominelles Ziel zu erfüllen, das die NATO ihren Mitgliedsstaaten 2014 auferlegt hat.

Der Fuhrpark der Luxemburger Armee soll zum Teil komplett erneuert werden. Gepanzerte taktische Fahrzeuge werden durch CLRV ersetzt.
Der Fuhrpark der Luxemburger Armee soll zum Teil komplett erneuert werden. Gepanzerte taktische Fahrzeuge werden durch CLRV ersetzt. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Realistisch und intelligent investieren

Stichwort zwei Prozent des PIB. So viel sollte jedes Land in seinen Verteidigungshaushalt investieren, um die NATO-Zielsetzung zu erfüllen. Luxemburg bringt in diesem Jahr rund 0,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts auf und ist damit Schlusslicht unter 30 Nationen. Bis 2024 will Verteidigungsminister François Bausch die Ausgaben auf „realistische“ 0,72 Prozent erhöhen – womit die NATO-Marke immer noch weit verfehlt wird.

Im Vergleich mit den anderen Mitgliedsstaaten könnte man dies dem Großherzogtum wohl als Schwachpunkt auslegen, wie General Steve Thull auch eingesteht. Dennoch müsse man diese Zahlen relativieren und auf die Luxemburger Umstände anwenden. Die Überlegung sei vielmehr folgende: „Wie können wir intelligent Investitionen tätigen, die zur Stärkung des Militärbündnisses beitragen, die von uns gestemmt werden können und im Luxemburger Kontext auch Sinn ergeben“, so der Generalstabschef.

Das magische Wort sei „diversification capacitaire“ – der sinnvolle Ausbau (zum Teil) bestehender Kapazitäten. Dies sei etwa der Fall für die Aufklärungseinheiten der Luxemburger Armee, deren Aufgabenbereich und Fähigkeiten künftig noch ausgebaut werden sollen. Zwei dieser Kompanien soll Luxemburg im Verteidigungsfall stellen können. Beide sollen künftig auf den gleichen Typ Fahrzeug zurückgreifen können. Aus diesem Grund wurde die Anschaffung 80 sogenannter CLRV (Command, Liaison, Reconnaissance Vehicles) beschlossen.

Für rund 370 Millionen Euro werden diese gepanzerten Transporter nicht nur mit modernen Verteidigungsanlagen ausgestattet, sondern auch mit einem interoperablen Kommunikationssystem. Was bei den zwei Fahrzeugtypen, die zuletzt bei der Luxemburger Armee zum Einsatz kamen, nicht der Fall ist. „Scorpionisierung“ nenne man diese Herangehensweise, so der General. Genannt nach dem französischen Scorpion-Programm, auf das auch die belgische Armee zurückgreift und den Betreibern erlaubt, vom kleinsten Fahrzeug bis hin zum größten Transporter miteinander kommunizieren zu können.

Ein großer Vorteil beim Aufbau der belgisch-luxemburgischen Aufklärungsbrigade, die bis 2028 ins Leben gerufen werden soll. Beide Korps sollen mit jeweils 400 Militärs in der binationalen Brigade vertreten sein. Alle weiteren Details sollen in den kommenden Monaten ausgearbeitet werden. Gleichzeitig reiht sich auch die bereits bestehende Zusammenarbeit auf Ebene der belgisch-luxemburgischen Transporterflotte in die Bemühungen der Verteidigungsbehörden, nachhaltig und sinnvolle Investitionen zu tätigen.

Mit der Anschaffung einer A400M allein sei es nämlich nicht getan, wie General Steve Thull unterstreicht. Dieses Transportflugzeug müsse schließlich auch gewartet und gestartet werden. „Dafür hätten wir eigentlich einen ganzen zweiten Flughafen aufbauen müssen. Für ein einziges Flugzeug aber ergibt das keinen Sinn“, so der Generalstabschef. Mit der Integration der Luxemburger Maschine in eine binationale Flotte, die auf multinationaler Ebene genutzt werden kann, habe das Großherzogtum den Einsatz quasi maximiert.

Mit der neuen Integrator-Drohne können die Luxemburger Einheiten Aufklärung für ganze Brigaden betreiben
Mit der neuen Integrator-Drohne können die Luxemburger Einheiten Aufklärung für ganze Brigaden betreiben Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

1,7 Milliarden Euro im Jahr

Von der Anschaffung diverser Drohnen und dem militärischen Satellitenprogramm profitieren indessen nicht nur die Aufklärungseinheiten der Luxemburger Armee. Waren die Drohnenprogramme bislang nur für Missionen im direkten Umfeld kleinerer Einheiten ausgerichtet, können die Luxemburger Spezialeinheiten künftig mit den vier neuen Integrator-Drohnen auch Aufklärungsmissionen für Brigaden auf multinationaler Ebene absolvieren.

Blinde Investitionen, nur um die Zwei-Prozent-Marke zu erreichen, sind auch für Steve Thull keine Option: „Als Armee würden wir damit unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Luxemburg versucht vielmehr genau jenen Anforderungen nachzukommen, die konkret gebraucht werden und auch Sinn ergeben“, so der General. Schließlich müssten die Anschaffungen nicht nur vertretbar, sondern auch tragbar sein. „Wenn wir die Kapazitäten erhöhen, brauchen wir auch Infrastrukturen und Personal. Es ist aber unmöglich, das Korps über Nacht zu verdoppeln“, gibt der Armeechef zu bedenken.

Tatsächlich belaufen sich die aktuellen Verteidigungsausgaben auf etwas weniger als eine halbe Milliarde Euro. Dem NATO-Ziel zufolge müssten es unter aktuellen Bedingungen jährlich eher 1,7 Milliarden Euro sein – was quasi den großen Anschaffungen der letzten Jahre entspricht. In anderen Worten: Die Armee müsste sich dann jedes Jahr eine A400M, 80 gepanzerte Fahrzeuge und etliche Satelliten zulegen.

„Sinnvoll“ und „realistisch“ wäre dies nicht. Zumindest nicht im Luxemburger Kontext, wie der General betont. Die Luxemburger Armee stehe auch so bereits vor großen Herausforderungen: „Die Armee wird sich in den nächsten Jahren richtig verändern“, so Thull. Die NATO-Marke könne man vielleicht nicht einhalten. „Dafür aber ist die Luxemburger Armee in den Feldern, in denen sie aktiv ist, ein glaubwürdiger Partner, auf den absolut Verlass ist.“

Luxemburg hat 100 dieser Panzerabwehrwaffen des Typs NLAW in die Ukraine geschickt
Luxemburg hat 100 dieser Panzerabwehrwaffen des Typs NLAW in die Ukraine geschickt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

NLAW für Luxemburg und die Ukraine

Auch Luxemburg hat militärische Mittel in die Ukraine geschickt. „Für ein kleines Land waren die Bemühungen recht beträchtlich“, wie eine Quelle aus dem Umfeld der Défense dem Tageblatt verrät. Man habe alles liefern können, was vom Großherzogtum verlangt worden sei. Darunter 100 Panzerabwehrwaffen des Typs NLAW (Next Generation Light Anti-Tank-Weapon), die auf dem regulären Markt rund 40.000 Euro das Stück kosten. Diese wurden u.a. angeschafft, um den zwei Aufklärungskompanien der Luxemburger Armee mehr Verteidigungsmöglichkeiten einzuräumen. Sollten diese nämlich bei ihren Aufklärungsmissionen auf feindliche Panzer treffen, wären sie denen schutzlos ausgeliefert. Denn: Panzer haben mitunter eine Reichweite von bis zu fünf Kilometern. Gleichzeitig wurden auch mehrere Allradfahrzeuge vom Typ Jeep Wrangler in die Ukraine geschickt sowie Militärzelte, Helme, schusssichere Westen und Munition. 

Filet de Boeuf
31. März 2022 - 13.09

Mehr in Militär investieren und weniger in Wohnungsbau und Klimawandel. Und wann kriegen wir endlich eine Formel1-Strecke?