EuropawahlenSpitzenkandidat Nicolas Schmit über die großen Wahlkampfthemen, den befürchteten Rechtsruck und seine Chancen

Europawahlen / Spitzenkandidat Nicolas Schmit über die großen Wahlkampfthemen, den befürchteten Rechtsruck und seine Chancen
Der luxemburgische EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit tritt bei den EU-Wahlen gegen die Amtsinhaberin und seine Chefin, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, an Foto: Editpress/Julien Garroy

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Im März wurde der luxemburgische EU-Sozialkommissar und LSAP-Politiker Nicolas Schmit zum Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahlen und somit für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gekürt. Wir sprachen mit ihm über seine Chancen bei dieser Wahl, die großen Themen des Wahlkampfes und den befürchteten Rechtsruck bei den Europawahlen.

Tageblatt: Wie schwierig ist es, einen Wahlkampf auf EU-Ebene zu führen?

Nicolas Schmit: Es ist nicht schwer, ich gehe dorthin, wo mich die Parteien fragen, wo eine Nachfrage besteht. Ich war in Paris, wo ich mit dem französischen Spitzenkandidaten der PS, Raphaël Glucksmann, aufgetreten bin. Ich war in Südfrankreich, in Porto, wo ein Meeting mit den portugiesischen Sozialisten stattfand. Ich werde in Süditalien mit (der Vorsitzenden der italienischen Sozialdemokraten, Anm. d. Red.) Elly Schlein auftreten, war zuvor in Bologna, Turin, Mailand und Florenz, wo mich der Bürgermeister eingeladen hat, der auch Kandidat ist. Ich gehe dahin, wo ich gefragt werde. Ich hatte mehr Nachfragen, als ich nachkommen konnte. Im Endeffekt habe ich an die 70 Versammlungen absolviert.

Kennt man Sie nun besser europaweit?

Es ist nicht einfach, denn die Leute kennen die EU-Kommissare nicht besonders gut. Außer vielleicht die Kommissionspräsidentin. Die Menschen sind mehr in ihrem nationalpolitischen Kontext verankert. Zu Beginn war es ganz schwer. Jetzt würde ich sagen, habe ich mir einen Namen gemacht, da ich eine Reihe von Fragen aufgeworfen habe und damit in den europäischen Medien präsent war. Natürlich ist die Bekanntheit nicht so, dass man durch die Straßen geht und die Leute sagen: Das ist Schmit. Wir wählen keinen Präsidenten von Europa, sonst würden wir einen ganz anderen Wahlkampf machen.

Sie sagten, der Wahlkampf wäre ein anderer gewesen, wenn der Kommissionspräsident direkt gewählt würde. Ist das eine bessere Idee als das System des Spitzenkandidaten?

Meine bevorzugte Lösung wäre es, neben der nationalen Liste eine transnationale Liste zu haben. Auf der ich dann die Nummer eins gewesen wäre. Die Leute hätten also zwei Listen, auf denen sie ihre Stimmen abgeben könnten: die nationale Liste und die transnationale, auf der im Prinzip ein Kandidat aus jedem Land vertreten wäre. Die allerdings als Ganzes gewählt worden wäre. Dann wäre ich als Spitzenkandidat auch ins Europaparlament gewählt worden. Es war allerdings nicht möglich, das umzusetzen. Der Vorschlag lag auf dem Tisch, ging aber nicht durch.

Konnten Sie als Sozialkommissar alle Vorhaben, die Sie sich vorgenommen hatten, in dieser Legislaturperiode umsetzen?

Ich bekam, wie jeder Kommissar, zu Beginn des Mandats eine Aufgabenbeschreibung. Die habe ich zu 100 Prozent erfüllt. Und ich glaube, darüber hinaus noch mehr. Wir hatten uns dazu verpflichtet, den Initiativen aus dem Parlament eine Folge zu geben. Das habe ich getan. Drei Dossiers konnten im Parlament nicht mehr abschließend behandelt werden. Da ist zum einen das Thema der Praktika, dann das Recht der Nichterreichbarkeit sowie die Reform der europäischen Betriebsräte. Dazu liegen Vorschläge vor. Es blieb allerdings keine Zeit mehr, diese abzuschließen.

In Luxemburg sagen die Leute laut Eurobarometer, dass der Kampf gegen die Armut und die soziale Ausgrenzung eine der Hauptprioritäten ist. Diese Politik müsste auf EU-Ebene wohl auch weitergeführt werden.

Wir haben bezüglich der Armut einige Vorschläge gemacht. Es sind zwar keine Richtlinien, doch wir haben Ziele vorgegeben, etwa 15 Millionen Menschen aus dem Armutsrisiko zu holen. Was ein relativ bescheidenes Ziel ist, denn wir wissen, dass 90 Millionen Menschen in der EU vom Armutsrisiko betroffen sind. Das sind 20 Prozent der Bevölkerung, davon 20 Millionen Kinder. Wir haben mit der Kindergarantie einen Vorschlag gegen Kinderarmut vorgelegt. Wie so oft kann die Kommission das nicht selbst umsetzen. Wir können nur auf die Mitgliedstaaten zählen, dass sie das tun. Es wurde allerdings eine Dynamik eingeleitet, bei der alle paar Monate geprüft wird, wie weit die Staaten sind, um das gesteckte Ziel, fünf Millionen Kinder aus dem Armutsrisiko zu holen, zu erreichen. Es gibt Länder mit budgetären Problemen, die bekommen etliche Millionen Euro aus dem Sozialfonds, um diese Kindergarantie umzusetzen.

Nicolas Schmit sieht trotz Rückstand in den Umfragen eine „realistische“ Chance, dass die europäischen Sozialisten wieder stärkste Kraft in Europa werden
Nicolas Schmit sieht trotz Rückstand in den Umfragen eine „realistische“ Chance, dass die europäischen Sozialisten wieder stärkste Kraft in Europa werden Foto: Editpress/Julien Garroy

Eines der parteiübergreifenden Leitthemen in dieser Wahl ist der Bürokratieabbau, der als eine der Ursachen für die schwächelnde Wirtschaft in der EU gilt. Haben mit dem Bürokratieabbau alle das Gleiche im Sinn?

Ich weiß, dass besonders die CSV und ihre Freunde der EVP aus dem Bürokratieabbau ein großes Thema machen. Wer aber war in den letzten 20 Jahren an der Kommissionsspitze? Es waren Konservative, die nun plötzlich feststellen, dass wir ein großes Problem mit der Überregulierung haben. Das Thema sollte in der Tat angegangen werden. Ohne jedoch wichtige Errungenschaften abzubauen, wie beispielsweise beim Arbeitsschutz, dem Gesundheitsschutz, dem Konsumentenschutz. Die Art und Weise, wie die Dinge reguliert werden, ist oft kompliziert. Es geht daher auch um eine Vereinfachung. Ich habe gesagt, wenn ich Kommissionspräsident werde, werde ich daraus eine Chefsache machen und mich selbst darum kümmern, gemeinsam mit den Kommissaren. Und nicht einen Freund damit beauftragen, das zu managen, wie es Frau von der Leyen tun wollte und ich mich mit anderen dagegen aussprach. Das ist eine Aufgabe für jeden Kommissar, der nachsehen soll, ob etwas in seinem Bereich vereinfacht oder vielleicht sogar ganz abgeschafft werden kann, ohne jedoch den Schutz der europäischen Bürger infrage zu stellen. Hinzu kommt, dass manches, was als europäische Überregulierung gilt, auf die nationale Regulierung zurückzuführen ist. Das bedeutet, dass die Staaten einer europäischen Regulierung noch eigene Regelungen beifügen. Das macht die Dinge noch komplizierter. Das müssten die Staaten selbst angehen, statt auf die Union und die Kommission zu zeigen. Ebenso im Bereich der Landwirtschaft: Wer war in den letzten Jahren dort verantwortlich? Das waren keine sozialistischen Kommissare, das waren alles konservative Kommissare. Und jetzt entdecken wir, dass es in der Landwirtschaft eine Überreglementierung gibt. Die Erkenntnis kommt etwas spät.

Zu den Kompetenzen der EU: Die Kritik ist oft, dass sich die EU um zu viel kümmert. Sollte sich die EU nur auf Kernthemen konzentrieren?

Das Problem ist, was sind Kernthemen? Die EU hatte keine Kompetenzen im Bereich Gesundheit, bis Covid kam. Da haben wir gesehen, dass Pandemien eine grenzüberschreitende Dimension haben. Ich bin da relativ offen und sage nicht, alles, was EU ist, muss auch EU bleiben. Wenn es klar ist, dass etwas anders geregelt werden kann, dann sollte man das tun. Jeder hat jedoch eine andere Lesart. Für mich ist es wichtig, dass die EU eine soziale Dimension behält. Für Business Europe ist es wichtig, dass die EU keine soziale Dimension hat. Das sei kein Thema für die EU und könne national geregelt werden. Die Frage ist, was soll auf welcher Ebene getan werden. Was auf lokaler Ebene geregelt werden kann, sollte man doch tun.

Der Spitzenkandidat aus Luxemburg bei einer Wahlkampfveranstaltung bei den französischen Sozialisten in Paris
Der Spitzenkandidat aus Luxemburg bei einer Wahlkampfveranstaltung bei den französischen Sozialisten in Paris Foto: AFP/Julien de Rosa

Der Green Deal stößt auf zunehmenden Widerstand in der EU. Wird den Menschen zu schnell zu viel an grüner Transition zugemutet?

Die Frage ist, gibt es eine Dringlichkeit für den Green Deal oder nicht? Wir sehen, was in Deutschland passiert. Das ist nicht zufällig, das ist erklärbar. Die Wissenschaftler erklären, warum die Überschwemmungen in Deutschland stattfinden. Das kommt daher, weil sich das Mittelmeer um zwei Grad erhitzt hat. Wir gehen bereits über einen Temperaturanstieg von 1,5 Grad hinaus. Das sind Katastrophen, von denen es noch mehr geben wird und die wir auch in Luxemburg erleben werden. Regulierungen allein lösen das Problem nicht, sie sind aber notwendig, da die Leute wissen müssen, in welche Richtung es geht. Die Anwendung der Regeln ist wichtig. Das aber geht nicht ohne massive Investitionen und Unterstützungen für die Menschen. Der Green Deal ist nicht kostenlos, weder in Europa noch global. Es handelt sich um eine totale Revolution, die uns diktiert wird von den Ungleichgewichten in der Natur. Zu glauben, wir könnten das mit ein paar Regeln und einigen Machtmechanismen regeln, ist eine große Illusion. Was ich kritisiere ist, dass man nicht von Beginn an die Menschen, Unternehmen und Gewerkschaften mit an Bord genommen hat. Um zu erklären, was die Herausforderungen sind und was es kostet. Wir brauchen eine ökologische Planung. Es kann keine Pause geben. Der Klimawandel, das sagen alle Wissenschaftler, beschleunigt sich. Die Art und Weise, wie wir die Dinge angehen, muss geändert werden, und das kostet Geld. Europa muss bereit sein, die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Was ist schlimmer? Eine Schuld, um den Wandel zu finanzieren, oder eine Schuld mit einem Klima, das die Basis unserer Wirtschaft, unserer natürlichen Stabilität infrage stellt. Das ist die eigentliche Frage. Was hinterlassen wir künftigen Generationen, wenn sie diese Klimaschuld ertragen müssen. Diese Klimaschuld wird für sie eine Katastrophe sein. Wir Sozialisten sind der Ansicht, dass es einen sozialen Ausgleich braucht. Wir dürfen natürlich unsere industrielle Basis nicht aufgeben. Der Wandel muss auch in der Industrie gelingen, mit neuen Technologien. Es gibt Schätzungen, dass wir 400 bis 600 Milliarden Euro jährlich für Investitionen benötigen. Das ist nicht nur öffentliches Geld, sondern auch privates Geld. Das ist aber machbar.

Sie haben sich von dem Migrationsabkommen zwischen der EU und Tunesien distanziert. Was würden Sie anders machen?

Ich habe das wegen der Form und dem Inhalt kritisiert. Die Entscheidung ist in einer Art und Weise getroffen worden, die nicht akzeptabel ist, ohne im Vorfeld eine strategische politische Diskussion im Kollegium geführt zu haben. Es wurde vielleicht mit ein paar Kommissaren darüber gesprochen, vielleicht auch mit Frau Meloni. Das ist auch eine Kritik von mir an der Führung von Frau von der Leyen. Ich würde das in Zukunft nicht mehr akzeptieren. Zum Inhalt: Wir delegieren das Problem mit Geld an die Tunesier und Ägypter. In Tunesien gibt es einen immensen Rassismus gegen Flüchtlinge, die aus der Subsahara-Gegend kommen und die daran gehindert werden, auf ein Boot zu gelangen. Wir gehen dort nicht gegen Schleuser vor, wie Frau von der Leyen sagt, sondern gegen Flüchtlinge. Denn die Tunesier schicken die Flüchtlinge zurück in die Wüste, die zum Teil zusammengeschlagen und beraubt werden. Einige verdursten in der Wüste. Das ist unverantwortlich. Wir haben keine Kontrolle darüber und Herr Saied (der tunesische Präsident, Anm. d. Red.) würde das auch nicht akzeptieren. Ich lehne das ab, auch da die Leute keine Möglichkeit erhalten, um einen Asylantrag zu stellen, denn das können sie nur in Europa tun. Niemand fragt in Tunesien Asyl an.

Im EU-Parlament haben viele, um ihre Zustimmung zum Migrationspaket zu rechtfertigen, gesagt, dies sei erst ein erster Schritt. Haben Sie eine Vorstellung davon, was noch getan werden kann, um mit dem Problem der irregulären Migration umzugehen?

Es hängt davon ab, wie das Paket umgesetzt wird. Wenn man es human tut, ist es zwar nicht ideal, aber immerhin human. Das Paket ist ein schwieriger Kompromiss, der versucht, Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen, die es allerdings auch nur bedingt gibt. Wir können niemanden zwingen, Menschen aufzunehmen. Es ist extrem bedauerlich, wenn einige keine Menschen aufnehmen wollen. Wichtig ist, dass die Länder ihre Prozeduren beschleunigen. Es kann nicht sein, dass man nach einem Asylantrag zwei Jahre auf eine Antwort wartet, bei einer Ablehnung zwar in Berufung gehen kann, dann aber nach drei Jahren gesagt bekommt, man müsse zurück. Das sind drei Jahre in einem Menschenleben, während denen man in einer Gesellschaft ein Outsider ist.

Werden die Prozeduren an den EU-Außengrenzen die Solidarität stärken?

Italien, Spanien und andere Länder haben diese Außengrenzen, an denen die Flüchtlinge ankommen. Daher kann man das eventuell akzeptieren. Doch da es so gemacht werden soll, müssen die Prozeduren beschleunigt und harmonisiert werden. Dann spielt auch die Solidarität eine Rolle. Da bin ich einverstanden mit Frau Meloni: Diese Länder können nicht die ganze Last tragen, das ist nicht akzeptabel.

Die Ukraine allein zu lassen, ist für Europa eine absolute Katastrophe

Wie lange werden die Europäer die Ukraine noch unterstützen bzw. unterstützen können?

Der Krieg wird gegen die Ukraine, aber auch gegen uns geführt. Es ist ganz klar: Wenn der Krieg schlecht für die Ukraine ausgeht, endet er auch schlecht für Europa. Es ist schwierig, vor allem, da wir nicht wissen, was am 5. November in den USA passiert. Die Europäer müssen sich Gedanken darüber machen, dass sie die Unterstützung für die Ukraine weitgehend selbst übernehmen müssen und dabei nicht schwächeln dürfen. Wir sind dazu momentan nicht ausgerüstet, was die derzeitige Situation an der Front erklärt. Daher ist es für die Europäer absolut notwendig, in die eigene Verteidigung und Verteidigungsindustrie zu investieren, um der Ukraine jene Möglichkeiten zu geben, die sie braucht, um sich zu verteidigen. Die Ukraine allein zu lassen, ist für Europa eine absolute Katastrophe.

Am 23. Mai fand eine große Debatte zwischen den Spitzenkandidaten in Brüssel statt (v.l.): Ursula von der Leyen (EVP), Nicolas Schmit (S&D), Terry Reintke (Grüne), Sandro Gozi (liberale Renew) Walter Baier (Linke)
Am 23. Mai fand eine große Debatte zwischen den Spitzenkandidaten in Brüssel statt (v.l.): Ursula von der Leyen (EVP), Nicolas Schmit (S&D), Terry Reintke (Grüne), Sandro Gozi (liberale Renew) Walter Baier (Linke) Foto: Kenzo Tribouillard/AFP

Es wird befürchtet, dass rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien bei den Europawahlen zulegen werden. Werden diese Parteien eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der künftigen Kommissionsspitze spielen?

Die Umfragen sagen uns, dass die Rechtsextremen in verschiedenen Ländern zulegen. In Frankreich ganz sicher, in Italien sind sie an der Macht. Die Spielereien und Öffnungen, die die EVP, einschließlich von der Leyen, gegenüber der extremen Rechten macht, sind einfach inakzeptabel. Wir haben als Sozialisten drei Erklärungen abgegeben und mit anderen Parteien – den Grünen, Liberalen und den Linken – eine Verpflichtung unterzeichnet, die besagen: keine Verständigung mit der extremen Rechten. Die Liberalen müssen nun sehen, wie sie in den Niederlanden, in Schweden, in Finnland ihre Situation bereinigen. Ich sehe nicht, wie man als Liberale mit Parteien koalieren kann, die absolut autoritär und rassistisch sind und die liberalen Werte nicht teilen. Das ist das Problem der Liberalen.

Meloni hat sich eigentlich nie klar vom Faschismus in Italien distanziert. Von der Leyen versucht dort Stimmen zu holen und geht ein ganz großes Risiko ein.

Das Spiel, zu sagen, es gebe die bösen Rechtsextremen und jene, die salonfähig sind, wie die EKR (Europäische Konservative und Reformer, Anm. d. Red.) und Frau Meloni, mit denen man reden könne, ist falsch. Frau Meloni ist nicht salonfähig, sie ist vielleicht schlau. Sie führt in Europa einen Diskurs, der, wenn sie in Brüssel ist, relativ moderat ist. Wenn sie aber in Italien oder bei ihren Freunden der extremen Rechten ist, dann redet sie wie alle anderen der extremen Rechten. Es gibt keine feine Rechtsextreme und böse Rechtsextreme, sie sind alle rechtsextrem und teilen weitgehend dieselben Ansichten. Deshalb habe ich von der Leyen während der Debatte gesagt, ihre Pseudo-Roten-Linien sind Blödsinn. Meloni behauptet, ich hätte gesagt, sie sei eine Diktatorin. Was ich nie gesagt habe. Ich habe bloß gesagt, dass ihre Vorstellung von Demokratie, und wie diese funktionieren soll, nicht zum Fundament der Europäischen Union zählt. Sie sagt, sie wolle Europa zurück zu seinen Wurzeln bringen, das bedeutet: zu einem Europa der Nationen. Das sind nicht die Wurzeln Europas. Wenn man aus einer faschistischen Kultur kommt, hat man eine ganz andere Kultur als jene, die grundlegend für Europa ist. Das ist nämlich eine Kultur, die eine Reaktion gegen den Faschismus ist, die ein Europa bauen will, das keinen Nationalismus und faschistischen Nationalismus mehr zulässt. Meloni hat sich eigentlich nie klar vom Faschismus in Italien distanziert. Von der Leyen versucht dort Stimmen zu holen und geht ein ganz großes Risiko ein. Sie kann nicht auf der einen und auf der anderen Seite Zustimmung erhalten.

Außer man sagt, es sei wieder an der Zeit, dass wieder ein Luxemburger Präsident der Kommission wird. Wir haben jetzt einmal ausgesetzt, das müsste eigentlich reichen.

Egal wie die Wahlen ausgehen: Bleibt Nicolas Schmit Europa oder Brüssel erhalten? In welcher Funktion?

Als Präsident! Überall wird gesagt, wir brauchen einen Wechsel an der Spitze der Kommission, von einem Konservativen zu einem Sozialdemokraten. Diese Frage stellt sich auch in Luxemburg. Entweder stimmen die Leute für eine Partei, die von der Leyen unterstützt, das ist die CSV. Oder sie wollen einen Wechsel an der Kommissionsspitze und dann gibt es nur eine Wahl, denn im Endeffekt können nur die Sozialisten die stärkste Partei in Europa werden. Die Liberalen können es nicht werden, die Grünen nicht und die Linken schon gar nicht. Die einzige Alternative, wenn man nicht von der Leyen will oder weitere fünf Jahre die Konservativen an der Kommissionsspitze haben will, ist es, die Sozialisten zu stärken. Es gibt in den Umfragen einen Abstand zwischen den Sozialisten und der EVP, der ist nicht gigantisch. Wenn in jedem Land ein Sitz von der EVP zu den Sozialisten wechselt, könnten die Sozialisten die stärkste Partei werden. Es ist also nicht unmöglich. Es ist nicht so, dass der Schmit träumt und in einer fiktiven Welt lebt. Ich bin realistisch, aber ich sage: Wenn die Leute einen Wechsel wollen, dann gibt es bei dieser Wahl nur eine Möglichkeit. Außer man sagt, es sei wieder an der Zeit, dass ein Luxemburger Präsident der Kommission wird. Wir haben jetzt einmal ausgesetzt, das müsste eigentlich reichen. Was ich nach der Wahl tun werde? Wir werden sehen. Mein Ziel ist es, Präsident zu werden. Das ist nicht total unrealistisch. Wenn es nicht so kommt, werden wir sehen.

Dieses Interview wurde gemeinsam mit den Zeitungen Le Quotidien und L’Essentiel am Montag am Sitz von Editpress SA geführt.