Kindliche EntwicklungSmartphones mindern nicht die soziale Kompetenz

Kindliche Entwicklung / Smartphones mindern nicht die soziale Kompetenz
Eine neue US-Studie bestätigt das, was viele Eltern, Pädagogen und Wissenschaftler bisher nicht für möglich hielten: Die soziale Kompetenz von Kindern der Smartphone-Generation ist nicht geringer als die ihrer Vorgänger. Foto: dpa/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

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In Zeiten der Corona-Krise greifen immer mehr Kinder und Jugendliche zu elektronischen Medien. Smartphones, Streaming-Dienste und soziale Medien sind die Renner. Eine US-amerikanische Studie zeigte nun, dass das Nutzen der Medien nicht die soziale Kompetenz der Heranwachsenden beeinträchtigt, so unsere Korrespondentin Elke Bunge.

Eltern sind in der Regel nicht gerade begeistert, wenn die Augen ihrer Sprösslinge stundenlang auf den Bildschirmen diverser Smartphones, Tablets oder Laptops haften. Die Sorge, zu viel Zeit vor dem Monitor zu verbringen, relativiert sich zu Zeiten von Corona, denn reale Kontakte sind derzeit kaum möglich. Mit Freunden und Verwandten kommunizieren wir jetzt über den Bildschirm.

Kein Problem, so eine aktuelle Studie des Psychosozialen Instituts der Ohio University. Das Ergebnis der jüngst im „American Journal of Sociology“ veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit zeigt: Die soziale Kompetenz von Kindern der Smartphone-Generation ist nicht geringer als die ihrer Vorgänger. Eine Tatsache, die in diesen Zeiten beruhigt und die selbst den Hauptautor der Studie, den Soziologieprofessor Douglas Downey, überraschte.

Diskurs mit dem Sohn

Vater und Sohn Downey besuchten gemeinsam eine Pizzeria. Irgendwann riss dem Professor der Geduldsfaden, nachdem Sohn Nick seine Augen nicht mehr vom Bildschirm seines Smartphones lösen wollte. „Weißt du, welche schrecklichen Folgen das Hinstarren aufs Telefon für dein soziales Miteinander haben wird?“, fragte Downey. Die lakonische Antwort: woher er das wissen wolle.

In der Tat, so der Professor, gab es bislang keine signifikanten Aussagen darüber, welche Auswirkungen die Nutzung von Kommunikationselektronik und sozialen Medien für soziale Beziehungen haben. Gemeinsam mit einem Team um seinen Professorenkollegen Benjamin Gibbs von der Brigham Young University in Utah untersuchten die Soziologen aus Ohio Daten zur sozialen Kompetenz von Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren. Dabei handelte es sich bei der ersten Gruppe um Kinder, die vor dem all umgreifenden Einzug des Internets Vorschule und die ersten Schuljahre durchliefen. Die zweite Gruppe indes wuchs bereits mit Tablets, Smartphones und Facebook auf.

Groß angelegte Studien ausgewertet

Für ihre aktuelle Studie werteten die Forscher aus Ohio und Utah groß angelegte Studien aus den vergangenen zwei Dekaden aus. In der ersten Gruppe, die 1998 in den Kindergarten kam – sechs Jahre bevor sich Facebook als soziales Medium präsentierte –, war das Verhalten von 19.150 Kindern, in der zweiten, die 2010 – zur Zeit des ersten iPads – startete, 16.450 Kinder untersucht worden. Die Datensätze dieser Studien, die vom sozialen Verhalten seit den frühen Kindheitstagen berichten, sind im Nationalen Zentrum für Bildungsstatistik der USA gespeichert. Es handelt sich dabei um Analysen, die jeweils sechs Jahre durchgeführt wurden. Vom Vorschulalter bis zum Abschluss der fünften Klasse wurden die Kinder jährlich einmal untersucht. Dazu befragten Experten sowohl Eltern als auch Lehrer zum sozialen Verhalten der jungen Probanden.

Downey und Gibbs beschränkten sich bei ihren aktuellen Untersuchungen auf die Befragung der Pädagogen. Ihre Begründung: Die Sicht der Eltern auf ihre eigenen Sprösslinge unterschieden sich nicht deutlich genug von den jeweils untersuchten Jahrgängen. Um objektive Resultate zu erzielen, schienen die Aussagen der Lehrer effektiver.

„Moralische Panik“ ist nicht angebracht

Um die Jahrtausendwende hatte nach den Untersuchungen nur etwa die Hälfte der Sechs- bis Elfjährigen Zugang zu einem Computer. 2010 waren dies bereits über 80 Prozent der Kinder. Während in der ersten Gruppe nur jedes zehnte Kind Seiten des Internets nutzte, stieg dieser Anteil in der zweiten Gruppe bereits auf über 55 Prozent.

Die Soziologen interessierten sich nun für die Frage, welchen Einfluss die Nutzung von Kommunikationselektronik auf das Bilden und Unterhalten von Freundschaften, auf den Umgang mit anderen Menschen und die für sie empfundene Empathie sowie auf die Reaktion von Gruppenzwang hat. Es zeigte sich, dass in beiden Vergleichsgruppen keine signifikanten Unterschiede zu finden waren. Kinder der „Elektronik-Generation“ waren ebenso in der Lage, von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, wie jene aus der „analogen Zeit“.

Die Kinder müssen heutzutage nur lernen, ebenso über Facebook, Twitter oder per E-Mail zu kommunizieren wie ein Gespräch mit einem Gegenüber zu führen, so der Soziologieprofessor Douglas Downey.
„Moralische Panik“ sei unangebracht, dies habe sich bereits bei der Einführung des Telefons, des Automobils sowie von Radio und Fernsehen gezeigt.

Telekommunikation wertvoll in Corona-Zeiten

Für Eltern gerade heute ein wichtiges Signal: Ihre Kinder „verdummen“ nicht durch die neue Technologie. Gerade in Zeiten wie der aktuellen Corona-Krise wird die Kommunikation mit Freunden und Verwandten, aber auch mit Lehrern und Schulen wichtiger Bestandteil des Lebens. Eine aktuelle Forsa-Studie – von einer deutschen Krankenkasse in Auftrag gegeben – zeigte, dass Kinder aktuell deutlich mehr Zeit vor Bildschirmen und an Mobiltelefonen verbringen. Etwa 75 Prozent der Jugendlichen (bis 18 Jahre) nutzten mehr Computer, Laptops und Tablets, mehr als die Hälfte wandte sich verstärkt Smartphones zu. Ein Viertel der Teenager nutzte Lernplattformen.

Eltern, die sonst gern mahnen, ihre Kinder sollten „doch mal die Finger von der Tastatur“ nehmen, zeigten sich zufrieden. Viele von ihnen arbeiten zurzeit im Home-Office und sind froh, wenn ihre Kinder sich allein beschäftigen. Einen interessanten Nebeneffekt zeigt die Forsa-Studie auch noch: Im Moment haben Kinder und Jugendliche vermehrt den Wunsch, sich an der frischen Luft zu bewegen – Verbote können auch reizvoll sein.