EnergiekriseSind die Tripartite-Maßnahmen ökonomisch sinnvoll? Einordnung eines Experten

Energiekrise / Sind die Tripartite-Maßnahmen ökonomisch sinnvoll? Einordnung eines Experten
Regierung, Patronat und Gewerkschaften konnten sich bei der Herbst-Tripartite nach insgesamt 30 Diskussionsstunden auf einen Maßnahmenkatalog einigen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Hurra, das Tripartite-Abkommen ist da – aber was ist eigentlich ökonomisch davon zu halten? Wir haben mit einem Experten der Universität Luxemburg darüber gesprochen, welche Maßnahmen in einer solchen Krisensituation sinnvoll sein können und wie Luxemburg sich mit den aktuellen Beschlüssen dabei schlägt.

Eine Milliarde Euro schwer ist das Paket, das die Verhandlungspartner der Tripartite letztlich doch noch zusammengebracht haben. Darin stecken eine ganze Reihe an Maßnahmen, die Privathaushalten und auch Unternehmen im Großherzogtum dabei helfen sollen, besser durch die Energiekrise zu kommen. Unter anderem sollen die Energieprämie und die Teuerungszulage verlängert und Preiserhöhungen beim Gas auf maximal 15 Prozent gedeckelt werden. Der Strompreis soll komplett eingefroren werden. Das Tageblatt hat einen Experten gefragt, was aus ökonomischer Sicht von dem neuen Tripartite-Paket zu halten ist.

Professor Nils Löhndorf
Professor Nils Löhndorf Foto: Uni.lu/Sophie Margue

Nils Löhndorf ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Luxemburger Universität und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Themen wie Energiemärkten und Energiebeschaffung. Er sagt: „Grundsätzlich ist das Bekämpfen von Inflation eine Form der Geldpolitik und weniger Aufgabe der Regierung. Geldpolitik ist die Aufgabe der Zentralbanken, also der EZB.“ Dennoch könnten Staaten die Auswirkungen steigender Preise mit einigen Maßnahmen begegnen. Zu unterscheiden seien dabei einkommensorientierte und preisorientierte Maßnahmen. Ein aktuelles Beispiel: Hilfen wie die Teuerungszulage oder die Energieprämie seien einkommensorientierte Maßnahmen, der Preisdeckel bei Strom und Gas seien preisorientierte Maßnahmen.

In Luxemburg habe man sich also für eine Mischung aus preisorientierten und einkommensorientierten Instrumenten entschieden. Welche Auswirkungen dieses Paket über längere Zeit nach sich ziehe, sei nicht so leicht vorauszusehen, sagt Löhndorf. Grundsätzlich lasse sich sagen, dass die meisten Ökonomen hinsichtlich der beiden erwähnten Arten von Maßnahmen die einkommensorientierten vorziehen oder für effizienter halten. Bereits im Tageblatt-Interview vor rund einer Woche hatte der Uni-Professor Maßnahmen wie den Preisdeckel als Marktverzerrung benannt.

Eingriff ins Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage

Die Begründung: Bei Instrumenten wie dem Deckeln von Energiepreisen greife man in das normalerweise sich einpendelnde Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Markt ein. Das heißt: Der Preis für Gas ist deshalb derzeit so hoch, weil es durch die Krisensituation plötzlich weniger davon gibt – und das Gut dadurch wertvoller wird. Greife man nun in dieses, sich normalerweise selbst regulierende Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ein, könne das teils unvorhersehbare Folgen haben. So exportiere Spanien beispielsweise Elektrizität nach Frankreich, weil die spanische Regierung den Gaspreis für die Produzenten gedeckelt hat.

Löhndorf nennt ein weiteres Beispiel: „Wenn ich bei mir zu Hause merke: ‚Oh, das Gas ist viel teurer geworden‘, dann führt das natürlich dazu, dass ich mein Verhalten ändere, und versuche, meinen Verbrauch herunterzuschrauben.“ Das wiederum führt dazu, dass nicht mehr so viel Gas verbraucht werde, was eine niedrigere Nachfrage und somit auch einen niedrigeren Gaspreis zur Folge hätte. Ein möglicher Effekt, den ein Preisdeckel haben könnte, sei jedoch der, dass die Menschen bei nahezu gleichbleibenden Preisen einen geringeren Anreiz haben, Energie zu sparen. Das Problem dabei? „Maßnahmen, um sich auf die neue Realität einzustellen, wie zum Beispiel Investitionen in Energieeffizienz, bleiben aus. Außerdem weiß niemand, wie lange die Preise so hoch bleiben werden“, so Löhndorf. Über eine kürzere Zeit, wie zum Beispiel bei den Beihilfen im Rahmen der zeitlich eingegrenzten Lockdowns während der Corona-Pandemie, sei die Dauer absehbarer als bei dem aktuellen Krieg, sagt der Experte. „Aber wer bezahlt das, wenn die Preise im nächsten und übernächsten Jahr oder sogar noch länger nicht nennenswert sinken?“

Laut Löhndorf bedeute das jedoch nicht, dass das Paket, das die Tripartite-Partner ausgehandelt haben, ein schlechtes sei. Schließlich bestehe es nicht ausschließlich aus preisdeckelnden Maßnahmen, sondern auch aus einkommensbasierten Maßnahmen wie die Verlängerung der Teuerungszulage und der Energieprämie. Diese seien unter anderem deswegen sinnvoll, weil sie die derzeitigen Auswirkungen der Krise sozialverträglich abfedern sollen. Zudem könne man im Voraus nicht wissen, welche Wirkung die Maßnahmen letztendlich zeigen werden. „Ich kenne die politischen Finessen hinter den Verhandlungen zu wenig, um darüber urteilen zu können“, sagt Löhndorf. Man werde nun sehen, welchen Effekt das beschlossene Paket haben wird – auch langfristig.

Zur Erinnerung: der Maßnahmenkatalog der Herbst-Tripartite

– Umfasst eine Milliarde Euro aus dem Staatsbudget.
– Durch inflationsdrückende Maßnahmen soll nur eine Indextranche im kommenden Jahr fallen. Diese soll regulär ausgezahlt werden, die verschobene Tranche aus dem Sommer 2022 soll wie geplant im April ausbezahlt werden.
– Falls trotz Maßnahmen im Jahr 2023 zwei Indextranchen fallen, wird die Tripartite wieder einberufen werden.
– Teuerungszulage und Energieprämie werden für das Jahr 2023 verlängert.
– Die Mehrwertsteuer wird flächendeckend um ein Prozent bis Ende 2023 herabgesetzt.
– Gaspreise werden um maximal 15 Prozent erhöht.
– Strompreise werden gedeckelt.
– Heizöl wird mit 15 Cent pro Liter subventioniert, Subvention wird auf kommendes Jahr verlängert.
– Deckelung der Preise bei Alters- und Pflegeheimen.
– 150 Millionen Euro Hilfen für kleinere und mittlere Unternehmen.
– Steuerbonifikationen bei Investitionen in Energietransition und Digitalisierung.

Zur Person

Nils Löhndorf ist seit 2018 Professor für Supply Chain Management und Lehrstuhlinhaber für digitale Beschaffung an der Universität Luxemburg. Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim promovierte er 2011 an der Universität Wien zum Thema stochastische Optimierung und erhielt 2017 die Lehrbefugnis für Betriebswirtschaftslehre von der Wirtschaftsuniversität Wien. In seiner Forschung beschäftigt sich Löhndorf mit der Modellierung und Optimierung von Energiebeschaffung und Energiehandel.


Weitere Hintergründe zu dem Thema:

– Beantragt, abgelehnt oder ausbezahlt: Das ist der aktuelle Stand bei den Energiebeihilfen für Bürger
– Luxemburger Experte über Gaspreis und Sparplan: „Wir können froh sein, dass wir die Energiemärkte haben“
– Habemus Tripartite-Abkommen: Sozialpartner einigen sich kurz vor Mitternacht