Robert Goebbels nimmt kein Blatt vor den Mund – weder mit seiner Meinung noch mit seinem Humor. „Ich habe dem Ort Schengen sozusagen zu Weltruhm verholfen“, sagt er lachend bei unserem Gespräch. Er wirkt gut gelaunt, informiert – und kämpferisch wie eh und je: „Der Vertrag von Schengen ist heute bedroht, aber er wird mit Sicherheit überleben.“

Für ihn ist Schengen ein Prüfstein europäischer Reife, mit Höhen und Tiefen. Oder, wie er es schon 2014 in einer Wahlkampfrede sagte: „Jede Krise Europas ist auch eine Chance. Aber nur, wenn man den Mut zur Reform und zur Wahrheit hat.“ In diesem Sinne ist die Erosion Schengens für ihn ein Alarmsignal – und ein Auftrag – vor allem an die heutigen Politiker.
Kurzer Sprung zurück
Von den fünf Unterzeichnern des Schengener Abkommens, 1985, leben heute noch drei. Zwei von ihnen – die Französin Catherine Lalumière (90) und der Niederländer Wim van Eekelen (94) – stehen alters- oder gesundheitsbedingt nicht mehr für Gespräche zur Verfügung. Nur Robert Goebbels (81) ist noch aktiv – unter anderem als Autor im Tageblatt-Forum – und damit ein gefragter Zeitzeuge, wenn es um die Ursprünge des Abkommens geht.

Oft heißt es heute, der Vertrag von Schengen habe damals kaum jemanden interessiert. Die Politik habe nicht wirklich daran geglaubt – weshalb man lieber Staatssekretäre statt Regierungschefs zum Unterschreiben schickte. „Es stimmt“, sagt Robert Goebbels, „der erste Schengen-Vertrag hat keine Massen bewegt. Die Journalisten waren desinteressiert, und auch die Regierungschefs sowie Außenminister hielten sich fern. Es gab da einen SPD-Mann aus dem Saarland, der unbedingt die Grenzen verschwinden lassen wollte. Aber insgesamt hatten wir nicht das Gefühl, die Welt aus den Angeln zu heben. Ich habe damals gesagt, dass das, was wir da unterschreiben, als Vertrag von Schengen in die Geschichte eingehen wird. Viele haben gelacht – aber ich habe recht behalten.“
Die damalige Zurückhaltung, so Goebbels, könnte auch mit der Form des Abkommens zu tun gehabt haben: „Der Vertrag von Schengen I hat die Grenzen ja nicht abgeschafft. Er sollte lediglich deren Abschaffung erleichtern – mehr war es zu dem Zeitpunkt nicht.“

Und der Ort – Schengen? Etwa ein Zufall? – „Mitnichten“, sagt Goebbels. Luxemburg habe den Vorsitz in der Schengen-Arbeitsgruppe gehabt, also sei klar gewesen, dass in Luxemburg unterzeichnet würde. „Dann kam jemand auf die Idee, einen originelleren und symbolträchtigeren Ort als die Hauptstadt zu suchen. Das Dreiländereck an der Mosel schien ideal – nur fehlte ein passendes Gebäude. Und so landeten wir auf dem Schiff Marie-Astrid.“ Der Rest ist Geschichte.
Die Menschen wollten mehr
Für die Dynamik, die Schengen auslöste, seien nicht in erster Linie Politiker verantwortlich gewesen, sondern die Menschen selbst, sagt Robert Goebbels. „Die Bevölkerungen wollten mehr. Sie wollten, dass weiterverhandelt wird, dass es nicht bei einer bloßen Absichtserklärung bleibt.“ Und so kam es. „Das erklärt, warum der Vertrag Schengen II – übrigens ebenfalls an Bord der Marie-Astrid unterzeichnet – zu einem regelrechten Happening wurde. Beim Durchführungsprotokoll ging es konkret zur Sache: um die Abschaffung der Binnengrenzen, eine gemeinsame Visapolitik, die Kooperation der Staaten, vor allem der Polizeibehörden. Es ging um das SIS, das Schengen-Informationssystem – ein so großer Erfolg, dass selbst Großbritannien, obwohl nie Teil des Schengen-Raums, beim Datenaustausch mitmachte.“
Der zweite Schengen-Vertrag, an dessen Ausarbeitung Goebbels maßgeblich beteiligt war, zog die Blicke Europas – ja, der Welt – auf sich. „Die Hoffnungen waren groß“, erinnert er sich, „aber auch die Bedenken: Rechte warnten schon damals vor wachsender Kriminalität, während Linke befürchteten, Europa werde zur Festung. Doch was niemand vorausgesehen hatte, war die Dynamik in der Bevölkerung – eine Bewegung für Reisefreiheit, für andere Freiheiten. Und sie war nicht mehr aufzuhalten.“
Erfolg der zwei Geschwindigkeiten
Die Idee hinter Schengen – wie später auch beim Euro – wurde zur Erfolgsformel. Was einst als Utopie galt, wurde Symbol für Freiheit und europäische Einigung. Beide Projekte stehen für den Mut zur Avantgarde, für das Europa der zwei Geschwindigkeiten: „Jeder darf, keiner muss. Fortschritt entsteht, wenn einige Staaten vorangehen und andere folgen“, sagt Goebbels bis heute. „Das ist notwendig, um voranzukommen – das hat sich nicht nur bei Schengen gezeigt, sondern auch auf kleinerer Ebene und ist auch in Zukunft wichtig, etwa beim Militär oder bei der Finanzpolitik.“
Und heute? Schengen sei tot, sagen manche. Robert Goebbels gehört nicht dazu. „Tot ist Schengen nicht“, sagt er, „aber in Gefahr. Zehn der 29 Schengen-Staaten haben wieder sporadische Grenzkontrollen eingeführt. „Das schafft Einschränkungen – reale, aber auch mentale. Es nährt die Angst vor dem Fremden, und mit dieser Angst wird Politik gemacht.“
Temporäre Grenzschließungen und Kontrollen hält Goebbels für einen Rückschritt – nicht aber für das Ende von Schengen. „Reisen, studieren, arbeiten – das funktioniert im Schengen-Raum auch heute besser als je zuvor.“ Und er glaubt: Die Menschen werden sich wehren. „Weil es nervt! Weil diese Kontrollen mit dem Argument der Sicherheit begründet werden, das in Wahrheit eine Illusion ist. Die Leute merken, dass das nichts bringt, dass es nicht abschreckt. Deutschland kann nicht alle Grenzen kontrollieren – außer, es baut eine Mauer.“
Nationalisten das Wasser abgraben
Einen Flächenbrand sieht Goebbels nicht unmittelbar kommen. Aber er warnt die klassischen Parteien davor, sich von Rechtspopulisten treiben zu lassen. „Wer ihre Parolen übernimmt und mit Symbolpolitik wie Grenzkontrollen falsche Sicherheit vorgaukelt, läuft ins Leere – politisch und moralisch.“

Große Hoffnung setzt er auch in den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, wo die Regierung Mut zeigen und gegen Deutschland klagen müsse. Robert Goebbels ist überzeugt davon, dass Artikel 3.2 aus dem EU-Grundvertrag eindeutig sei: „Der freie Personenverkehr im Binnenmarkt ist ein Grundpfeiler – nicht verhandelbar.“
Robert Goebbels hat die europäische Integration oft mit einer Baustelle verglichen – einer, auf der ständig gearbeitet werden müsse, damit sie nicht zur Ruine wird und von Nationalisten eingerissen werden kann. Nun, Schengen ist bis heute eine solche Baustelle. Die Frage liegt nahe: Was ist in den vergangenen 40 Jahren schiefgelaufen – oder was hätte anders laufen müssen?
„Ein politischer Prozess ist immer ein Prozess im Wandel“, sagt Goebbels. „Er lebt vom Gestalten – aber auch vom Widerstand. Und genau damit muss man umzugehen wissen.“ Ein solcher Prozess sei selten perfekt. Kompromisse seien unvermeidlich, Idealvorstellungen schwer durchsetzbar. „Ich weiß gar nicht, ob wirklich etwas schiefgelaufen ist“, sagt er. „Aber es kamen neue Herausforderungen hinzu – allen voran eine Migrationswelle, die kaum noch zu kontrollieren war. Eine Menschenmenge geriet in Bewegung, die sich nicht einfach stoppen lässt.“
Frontex anders aufbauen
Ein Fehler, wenn man so will, sei gewesen, dass Frontex, die europäische Grenz- und Küstenwache, nicht rechtzeitig und ausreichend gestärkt wurde, um die Grenzen im Mittelmeerraum zu schützen. „Da braucht es dringend mehr gemeinsame Investitionen in den Schutz der Außengrenzen.“ Gleichzeitig aber, betont Goebbels, brauche Europa Migration. „Wir können nicht jedem ein Zuhause geben – aber wir brauchen Arbeitskräfte in vielen Bereichen. Deshalb müssen wir Perspektiven schaffen und legale Einwanderung ermöglichen. Daran müssen wir arbeiten!“
Für ihn ist das nicht nur eine arbeitsmarktpolitische Frage, sondern auch eine demokratische: „Wer Migration nicht regelt, überlässt das Feld den Nationalisten.“ In der Deregulierung der Wirtschaft sieht Goebbels eine weitere Gefahr: „Wenn wirtschaftliche auf politische Unsicherheit trifft, geraten demokratische Systeme ins Wanken.“
Für Robert Goebbels ist Schengen ein nahezu unerschütterliches Symbol europäischer Dynamik – auch wenn die Grundstimmung heute weniger optimistisch ist. „Vielleicht haben wir die Europäische Union zu schnell erweitert, statt sie erst zu vertiefen. Schengen mag kein Paradies sein, aber die Hölle, als die es manche gern darstellen, ist es keinesfalls. Europa ist besser, als viele glauben. Trotz aller Herausforderungen bleibt der Schengen-Raum ein Ort, an dem grundlegende Freiheiten garantiert sind – Freiheiten, die außerhalb dieses Raumes kaum irgendwo auf der Welt so selbstverständlich sind. Das ist und bleibt das Herzstück von Schengen: ein Symbol für das Europa der Bürger. Und genau deshalb wird es weiter bestehen – und Menschen werden sich gegen jene wehren, die diese Errungenschaften infrage stellen.“
Fazit eines pragmatischen Politikers
Für Robert Goebbels scheint eine Wiedereinführung der Binnengrenzen in Europa unmöglich – nicht zuletzt, weil die offenen Grenzen ein wichtiger wirtschaftlicher Motor sind. Das Schengener Abkommen sei weit mehr als ein Vertrag: Es sei ein Meilenstein der europäischen Geschichte und eine ganz konkrete Chance, das Leben der Menschen zu verbessern. „Hoffnungsvoll stimmt mich, dass sich in den letzten Wochen viele Menschen neu bewusst geworden sind, was Freizügigkeit im Schengen-Raum wirklich bedeutet.“

Aber: In einer immer komplexer werdenden Welt müsse die Europäische Union gestärkt werden. „Wir müssen zusammenstehen, wenn wir unsere Werte von Freiheit und Gleichheit verteidigen wollen. Wer Europa will, muss an Europa arbeiten.“ Wer offene Grenzen wolle, müsse an Vertrauen, Solidarität und funktionierende Institutionen glauben und diese aktiv gestalten. In seiner Zeit als Europaabgeordneter pflegte er zu sagen: „Mehr Europa für weniger Geld gibt es nicht.“ Zu diesem Satz steht er bis heute, gerade jetzt, in einer Zeit voller Krisen, die Spannungen offenlegen und Schengen sowie die EU auf eine harte Probe stellen.
In Schengen, im Dreiländereck, entlang der Mosel-Esplanade und an der Straße, die seinen Namen trägt, wird am 14. Juni gefeiert. Robert Goebbels wird als Ehrengast dabei sein – aber nicht als Redner. Einen Kommentar dazu spart er sich. Und was hätte er gesagt, wenn er gesprochen hätte? „Das, was wir jetzt in unserem Gespräch beredet haben.“
Was geschah vor 40 Jahren?
Vor 40 Jahren, am 14. Juni 1985, unterzeichneten fünf europäische Länder – Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg – im luxemburgischen Grenzort Schengen ein Abkommen, das Geschichte schrieb. Ziel war es, die Grenzkontrollen zwischen den Teilnehmerstaaten schrittweise abzubauen und den freien Personenverkehr zu ermöglichen – ein Meilenstein für europäische Integration und Reisefreiheit. Der „Vertrag von Schengen“ war zunächst symbolisch, doch mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen 1990 und der praktischen Umsetzung 1995 wurde er Realität. Heute umfasst der Schengen-Raum 29 Länder. Trotz Herausforderungen, wie den jüngsten Grenzkontrollen auf deutscher Seite, bleibt Schengen ein zentrales Symbol für ein Europa ohne innere Grenzen. Die kleine Moselgemeinde Schengen wurde so zum Synonym für eine große Idee.

Innenminister an der Mosel
Zwei Tage vor dem offiziellen Jubiläum des Schengener Abkommens laden Luxemburgs Innenminister Léon Gloden und sein polnischer Amtskollege Tomasz Siemoniak am Donnerstagabend zu einem offiziellen Abendessen an Bord der M.S. Princesse Marie-Astrid ein. Die Schifffahrt von Grevenmacher nach Schengen findet im Rahmen des EU-Rats für Justiz und Inneres statt. Gegen 21 Uhr ist in Schengen ein Pressebriefing geplant, u.a. mit EU-Kommissar Magnus Brunner und Exekutiv-Vizepräsidentin Henna Virkkunen.
Drei Fragen an Gilles Estgen*
Schaden die aktuellen Grenzkontrollen dem Tourismus an der Mosel?
Natürlich schaden die Grenzkontrollen dem Tourismus. Von Januar bis März 2025 sind die Besucherzahlen aus Deutschland um 6% gegenüber 2024 zurückgegangen, dies im Gegensatz zu einer Steigerung der Zahlen bei den anderen Nachbarländern. Besonders der Tagestourismus leidet extrem, da wiegt ein unnötig längerer Stau an der Grenze bei der Heimreise natürlich noch schwerer.
Was bedeutet die Heimkehr der historischen „Marie-Astrid“ für die Mosel?
Schengen, die Wiege Europas, da gehört die „Marie-Astrid“ als historischer Ort des Schengener Abkommens einfach dazu. Die meistgestellte Frage der Touristen in Schengen war bis jetzt: Wo ist denn das Schiff? Diese Frage hat jetzt eine sehr gute Antwort gefunden.
Was sind die Auswirkungen auf den Tourismus?
Neben dem Önotourismus sehe ich im Gedenktourismus ein großes Potenzial für Schengen und für unsere Region. Die Neugestaltung des Museums sowie die Wiederkehr der historischen „Marie-Astrid“ werden, zusammen mit dem „Wäinhaus“ in Ehnen, das historische und kulturelle Angebot in der Region deutlich verbessern, was sich sicher in den Besucherzahlen widerspiegeln wird.
* Gilles Estgen ist Präsident des regionalen Tourismusverbands „Visit Moselle“. Er begrüßt den 40. Jahrestag des Abkommens, macht sich aber Gedanken um dessen Zukunft.
Wichtigste Etappen der Schengen-Abkommen
14. Juni 1985:
Unterzeichnung des Schengener Abkommens
19. Juni 1990:
Unterzeichnung des Schengener Durchführungsübereinkommens. Es regelt die konkreten Maßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen zur praktischen Umsetzung des Abkommens.
26. März 1995:
Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens: Die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen entfallen erstmals in sieben Staaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande sowie Spanien und Portugal).
1997/1999
Vertrag von Amsterdam: Die Schengen-Regeln werden in das EU-Recht integriert. Schengen wird damit ein zentraler Bestandteil der EU-Politik für Grenzkontrollen und Personenfreizügigkeit.
Seitdem: Erweiterung auf heute 29 Länder (inkl. vier Nicht-EU-Staaten – Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein).

Et ass schon en imposanten dichtegen a wichtegen Mann ëmmer? gewiescht dee Robert Goebbels och bekannt als Jenni a Menni.
Sie reden, Herr GOEBBELS, von Wahrheit und von Wegen. Trotz einer empirisch einwandfrei nachweisbaren Wahrheit, … ja, was soll ich sagen um die Feierlaune nicht zu verderben? Auch nach zwanzigminütigem Überlegen fällt mir kein kreatives Feierlauneargument ein. Ich gebe mal "Geist der Wahrheit" in die Suchmaschine ein. Erstes Resultat: arthur-schopenhauer-studienkreis.de: Erste Sätze: Es liegt wohl viel Optimismus in der Überzeugung Arthur SCHOPENHAUERs, daß die Kraft der Wahrheit im Kampf gegen den Irrtum sich durchsetzen und auf Dauer den Sieg erringen wird. Hierbei hat auf dem Wege zur Wahrheit die Anschauung besondere Bedeutung. So schrieb SCHOPENHAUER im ersten Bandes seines Hauptwerks "Die Welt als Wille und Vorstellung": "So lange wir uns rein anschauend verhalten, ist Alles klar, fest und gewiß. Da giebt es weder Fragen, noch Zweifeln, noch Irren: man will nicht weiter, kann nicht weiter, hat Ruhe im Anschauen, Befriedigung in der Gegenwart. Die Anschauung ist sich selber genug; daher was rein aus ihr entsprungen und ihr treu geblieben ist, wie das ächte Kunstwerk, niemals falsch seyn, noch durch irgend eine Zeit widerlegt werden kann: denn es giebt keine Meinung, sondern die Sache selbst. Aber mit der abstrakten Erkenntniß, mit der Vernunft, ist im Theoretischen der Zweifel und der Irrthum, im Praktischen die Sorge und die Reue eingetreten. (…) MfG, Robert Hottua
Hoffentlech nach 40 Joer Schengen soss sinn ons Kanner am .......!