BewährungshilfeReuige Straftäter bekommen eine Chance

Bewährungshilfe / Reuige Straftäter bekommen eine Chance
Jeder bekommt eine zweite Chance! SCAS-Direktorin Marie-Claude Boulanger und die Bewährungshelfer Gianni Micucci (l.) und Jeff Pütz  (r.) Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Früher wurden Straftäter an den nächsten Baum geknüpft oder erschossen. Heute versucht man, ihnen zu helfen, damit sie auf den Pfad der Tugend zurückfinden. Bewährungshilfe nennt sich das. Verantwortlich dafür ist der SCAS („Service central d’assistance sociale“). Seine Hilfe bietet viele Möglichkeiten, einfach ist es trotzdem nicht. Eine Arbeit und eine Wohnung sind wichtige Elemente der Resozialisierung. Der gute Wille im Interesse der Allgemeinheit ist vorhanden. Oft scheitert es aber einfach nur an einer Adresse. Denn ohne Adresse gibt es kein Geld. Und ohne Geld besteht die Gefahr der Rückfälligkeit.

Wer wegen einer Straftat verurteilt wird und sein Handeln bereut, der darf auf Unterstützung zählen, um auf den Pfad der Tugend zurückzufinden – um sich bewähren zu können. Die Geschichte der Bewährungshilfe in Luxemburg geht auf das Jahr 1950 zurück. Damals wird der „Service de défense sociale“ gegründet. Er ist ursprünglich angedacht, um Menschen mit medizinischen und psychiatrischen Problemen zu helfen. 1977 übernimmt der SCAS den Dienst, der heute wesentlich breiter gefächert ist, so SCAS-Direktorin Marie-Claude Boulanger.

Recht auf Bewährungshilfe

„An erster Stelle steht der Gefangene, dem geholfen werden muss“, so die Bewährungshelfer Gianni Micucci und Jeff Pütz. Jeder zu einer Haftstrafe Verurteilte hat das Recht auf Bewährungshilfe. Diese Unterstützung ist für jeden gleich, wird aber individuell, je nach Bedürfnissen des Gefangenen, angepasst. Die Hilfe setzt eigentlich sofort nach der Verurteilung vor Gericht ein. Nach einem klärenden Gespräch wird ein Programm aufgestellt, das dann während der Haftstrafe in Schrassig beginnt.

Am Beginn jeder Resozialisierungsarbeit steht ein Reflexionsprozess, so Micucci und Pütz. Dazu zählt der Kontext, der zur Straftat geführt hat: der soziale Hintergrund, Freunde und Familie, der Lebenslauf mit Ausbildung und eventuellen Verhaltensauffälligkeiten. Wichtig ist, so die Bewährungshelfer, dass die Leute motiviert werden, mitzumachen. Es geht darum, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Der Prozess der Bewährungshilfe ist auf Monate und Jahre ausgelegt, je nach Länge der Strafe, die ein Mensch verbüßen muss.

Breitgefächertes Angebot

Dem Verurteilten werden verschiedene Möglichkeiten angeboten. Je nach Ausgangslage eine schulische oder berufliche Ausbildung. Der Betroffene soll das nötige Rüstzeug bekommen, um nach seiner Haftstrafe klarzukommen, oder wie Micucci und Pütz es formulieren: „Jeder soll bei der Entlassung aus dem Gefängnis besser dastehen als bei seiner Einlieferung.“ Dazu gehöre auch, dass Straftäter ihren Lebensrhythmus (wieder) besser organisieren und Regeln respektieren können, beispielsweise rechtzeitig aufstehen, um pünktlich zur Arbeit zu erscheinen.

Wenn der Gefangene sich einsichtig zeigt, darf er auf Vergünstigungen hoffen. Beispielsweise Freigang. In Schrassig tagsüber oder spätestens ab dem Aufenthalt im offenen Strafvollzug in Givenich auch das Wochenende über. Dazu ist zu bemerken, dass Givenich bereits eine Vergünstigung darstellt für jene Gefangene, die sich in Schrassig bewährt haben und ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis gestellt haben.

Erstes Ziel: Givenich

Ein erstes Ziel der Bewährungshilfe, so kann man die Leute vom SCAS verstehen, ist es also, den Gefangenen von Schrassig nach Givenich zu verlegen. Dort sind die Möglichkeiten der Bewährungshilfe nämlich größer als in Schrassig. Das gilt vor allem, wenn es um die Suche nach einer Arbeit geht. Zudem ist die Gelegenheit gegeben, tagsüber zu einem Arbeitsplatz auswärts zu fahren, was ein deutlicher Schritt zurück in ein normaleres Leben ist.

Die angebotene Hilfe hängt natürlich auch vom Alter und sozialem Umfeld ab. Ein zweites Ziel ist es, Haftverkürzung für den Gefangenen wegen guter Führung zu erreichen. Ist das der Fall, kann er oder sie während dieser Bewährungszeit auf weitere Unterstützung zählen.

Ein Hauptanliegen ist eine Arbeitsstelle, wobei jemand, der bereits vor der Straftat eine Arbeit hatte, weniger Schwierigkeiten haben dürfte, wieder eine zu finden. Für diejenigen, die keine hatten oder keine mehr finden, gibt es verschiedene Möglichkeiten: eine Arbeit bei der Défi-Job Asbl. selbst, eine Stelle in einem anderen Betrieb, bei der Défi-Job als Vermittler fungiert oder ein Job bei ProActif, Nei Aarbecht oder bei Co-labor.

Wer über eine Arbeit und eine Wohnung verfügt, hat eindeutig eine bessere Ausgangslage als einer, dem das eine oder das andere oder beides fehlt. Darüber sind sich die SCAS-Direktorin Boulanger und ihre Mitarbeiter im Klaren.

Probleme in der Bewährungshilfe

Es geht natürlich auch um den Schutz der Gesellschaft. Die eigentliche Arbeit dürfte aber darin bestehen, sicherzustellen, dass ein auf Bewährung entlassener Straftäter in eine stabilere Lebenssituation kommt. Arbeit und Wohnung sind Bedingungen, um wegen guter Führung frühzeitig entlassen zu werden. Es ist möglich, ein Zimmer zeitweise in einer bestehenden sozialen Einrichtung zu nutzen. Als Übergang. Je stärker der Gefangene während seiner Haftstrafe mitarbeitet, umso besser die Möglichkeiten. Bewährungshilfe ist keine einmalige Sache. Sie kann immer wieder nach einer Verurteilung mit Haftstrafe in Anspruch genommen werden.

Es wird zurzeit darüber diskutiert, wie Resozialisierung oder Bewährungshilfe noch effizienter gestaltet werden können. Da die Wohnungsthematik ein sehr großes Problem ist, geht es in diesen Diskussionen vorrangig um die Frage der Unterkunft. Sogenannte Transitionshäuser, mit denen besonders in den Niederlanden gearbeitet wird, wären eine Möglichkeit. In Luxemburg fehlen sie. Geredet wird dann aber auch darüber, die Aufnahme- und Aufenthaltsprozeduren in den bestehenden Strukturen zu verbessern. Eine bessere Planungssicherheit für den Entlassenen durch längere Aufenthaltszeiten, Zimmer für Notfälle bereithalten. Dafür sorgen, dass Entlassene nicht gezwungen sind, ihr ganzes Geld in einem sogenannten „Cafézimmer“ auszugeben und dann mittellos dastehen, was der stabilen Lebenssituation zuwiderläuft. „Wenn wir unstabile Situationen verhindern möchten, dann ist es in unser aller Interesse, solche Wohnstrukturen zu haben!“, betonen Micucci und Pütz.

Das Ziel ist es, dass andere, neue Strukturen geschaffen werden, damit nach einem vorübergehenden Aufenthalt in einem Notquartier ein weiterer Verbleib in einer Wohnung sichergestellt werden kann. Für den Bewährungshilfe-Dienst des SCAS arbeiten übrigens zehn Leute. Nicht viel, wenn man Qualitätsarbeit in Schrassig und Givenich sowie Bewährungshilfe leisten möchte.

Anmerkung

Die Wohnadresse ist ein zentrales Element, wenn es um gesellschaftliche Wiedereingliederung geht und wenn Rückfälle ausgeschlossen werden sollen. Ohne festen Wohnsitz gibt es keinen Anspruch auf Revis („Revenu d’inclusion sociale“), also ein Einkommen zur sozialen Eingliederung. Eigentlich ein Unding, denn ohne Geld keine Wohnung und ohne Wohnung kein Geld. Soll der Revis wirklich sozial wirken, muss die Frage nach der Wohnadresse überdacht und wohlwollend geklärt werden. Wohl können verschiedene Vereinigungen und Gemeinden eine Referenzadresse geben, aber nicht alle tun es.