Risse in RohrenNichts dazugelernt? Prüfbericht gibt Hinweise auf lasche Materialkontrollen bei Frankreichs AKW-Betreibern

Risse in Rohren / Nichts dazugelernt? Prüfbericht gibt Hinweise auf lasche Materialkontrollen bei Frankreichs AKW-Betreibern
Ganz schön lange Leitung: Auch im Kernkraftwerk Cattenom sind schadhafte Rohre gefunden worden Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Vorgeblich um Energiesicherheit und den Klimaschutz bemüht, hat Frankreich eigentlich große Pläne, seine Atomkraft-Infrastruktur weiter auszubauen. Gleichzeitig zeigt sich die strahlende Technik aber gerade eher von ihrer pannenträchtigen Seite – und die AKW-Betreibergesellschaft EDF hat aus einem besonders düsteren Kapitel des Atomlobbyismus offenbar wenig bis keine Lehren gezogen.

Reaktion aus Luxemburg

Um ein Statement zur neuesten Entwicklung gebeten, hat das Ministerium für Energie und Raumentwicklung am Dienstag mitgeteilt: „Die luxemburgische Regierung wird sich bei der ASN („Autorité de sûreté nucléaire“) schriftlich erkundigen, ob das AKW Cattenom Rohre aus der italienischen Fabrik bezogen hat und ob beim Produktionsprozess die von EDF geforderte Qualitätskontrolle respektiert wurde.“ 

Während die französische Regierung einerseits die Renaissance der Atomkraft betreiben will – unter anderem sind sechs neue Kraftwerke geplant  –, reihen sich auf der anderen Seite die Technik-Pannen in der Branche nur so aneinander. Im Jahr 2022 haben die französischen Meiler sogar so wenig Strom produziert wie seit 30 Jahren nicht – unter anderem, weil Risse in sicherheitsrelevanten Rohren entdeckt worden waren. Aus Vorsicht und für weitere Prüfungen standen Anfang Juni des vergangenen Jahres schließlich 29 der 56 Reaktoren still. An zwölf Reaktoren wurden die Materialveränderungen an den Rohren entdeckt, darunter auch im dritten Block von Cattenom. Später hatte der Betreiber „Électricité de France“ (EDF) angekündigt, auch die entsprechenden Leitungen der Blöcke eins und zwei auszutauschen. Generell wurden alle „CCS“-Reaktoren verdächtigt, den Fehler aufzuweisen.

Der Auftrag zur Herstellung der benötigten Ersatzteile wurde an eine italienische Firma vergeben – schon diese Tatsache hat die Zeitung Ouest-France kürzlich erstaunt kommentiert: Schließlich sei bisher nur bekannt gewesen, dass rund 100 Schweißer aus den USA und Kanada ihre rund 500 französischen Kollegen in den Reparatur-Werkstätten der EDF dabei unterstützen sollten, das hohe Soll zu schaffen. Doch nun stellt sich nicht nur heraus, dass der Rohrhersteller Tectubi mit Sitz im norditalienischen Podenzano zwischengeschaltet wurde – sondern dass sich dort offenbar wiederum Mängel aufgetan haben. Diese betreffen die Qualitätsprüfung, die durch eine Untersektion des AKW-Betreibers („EDF-DI“) sichergestellt werden soll.

Bei einer Inspektion vor Ort durch die französische Aufsichtsbehörde („Autorité de sûreté nucléaire“, ASN) habe diese festgestellt, dass die kontrollierten Kontrolleure von EDF offenbar nicht den nötigen Überblick haben, da diverse Protokolle nicht befolgt wurden.

Überprüfte Prüfer

Auch die Aktivisten von Greenpeace Luxemburg haben kürzlich per Pressemitteilung auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht – und dabei den Original-Bericht der ASN über die Vor-Ort-Prüfung verbreitet, in dem die Kraftwerksbetreiber EDF gar nicht gut wegkommen: Mitarbeiter der Atomaufsicht ASN und der Forschungs- und Sachverständigenorganisation „Institut de radioprotection et de sûreté nucléaire“ (IRSN) haben sich demzufolge am 18. Oktober 2022 in Italien zeigen lassen, „wie EDF seine Rolle als gesetzlicher Hersteller für die von der Problematik der Spannungsrisskorrosion betroffenen Teile wahrnimmt“, heißt es in dem Papier. Konkret ging es um die Prüfung, wie streng die komplexen Vorgaben zur Qualitätskontrolle befolgt werden.

An mehreren Stellen stellt der Bericht fest, dass der EDF die Theorie zwar klar gewesen sei, während es aber in der praktischen Umsetzung gehapert habe – gelinde gesagt: „Angesichts der Gesamtheit der Feststellungen, die stichprobenartig anhand mehrerer Überwachungsberichte getroffen wurden, weist die Ausübung der Überwachung durch EDF-DI Lücken auf“, heißt es. Mehrfach seien Protokolle und Normen nicht tief genug erfüllt worden oder Feststellungen und Wertungen der EDF-Prüfer waren nicht ausreichend nachvollziehbar.

Andere Beispiele: Die Aufsichtsbehörde kritisiert, dass nur eine Charge aus einem von zwei vorhandenen Aushärtungsöfen auf Einwandfreiheit kontrolliert wurde. Eingeforderte Dokumente seien, entgegen den Zusagen, teils nicht geliefert oder in falscher Version eingereicht worden.

Die letzte Bastion gegen den GAU

Das alles sind für Roger Spautz alarmierende Botschaften: „Da geht es ja nicht um Rohre, wie man sie mal eben im Baumarkt kauft, sondern die müssen sehr hohen Ansprüchen genügen“, sagt das Greenpeace-Mitglied im Gespräch mit dem Tageblatt und betont: „Hier geht es um das Notkühlsystem, das eingesetzt wird, wenn eine Kernschmelze droht!“

Spautz lobt zwar die aufsichtführende Prüfbehörde ASN, die das Problem ja immerhin erkannt habe. Doch das Ausmaß des Schlendrians, den EDF offensichtlich betreibt, erstaunt den langjährigen AKW-Kritiker. Und das umso mehr, da man in Sachen Materialtests doch eigentlich höchste Sensibilität erwarten können sollte, wie Spautz findet. Schließlich gab es 2016 den „Areva“-Skandal.

Damals wurde bekannt, dass die Schmiede Creusot Forge über Jahrzehnte nicht nur mangelhaftes Material für Atomkraftwerke geliefert hatte, sondern dass dies auch noch über manipulierte Unterlagen kaschiert wurde (das Tageblatt berichtete). Das betraf etwa 400 Bauteile, von denen rund 50 Prozent in Frankreich verbaut worden waren – und die andere Hälfte im Rest der Welt, etwa in deutschen Castor-Behältern für den radioaktiven Sondermüll aus den AKW.

„Kohlenstoffanomalie“

Die sogenannte „Kohlenstoffanomalie“, also ein zu großes Vorkommen von Kohlenstoff in einem geschmiedeten Werkstück, spielte damals eine herausgehobene Rolle – ausgerechnet bei Teilen wie dem Deckel des Reaktorbehälters. Dieser werde „anfällig für einen plötzlichen und folgenschweren Ausfall durch rasche Rissbildung und schnellen Bruch“, stellte Greenpeace in einem Reader zum Skandal klar.

Die ASN hat offenbar aus dem Debakel gelernt – und musste jetzt feststellen, dass dies bei der EDF offenbar anders aussieht. Im Bericht über die in Italien überprüften Prüfer stellt die Atomaufsicht jedenfalls fest: „Die Vertreter von EDF waren nicht in der Lage, einen Beweis dafür zu erbringen, dass der Kohlenstoffgehalt bei der Überwachung tatsächlich gemessen wurde.“

Frankreichs Senat stimmt für schnelleren Bau von Atomkraftwerken

Der französische Senat hat am Dienstag für einen beschleunigten Bau von Atomkraftwerken gestimmt. Mit 239 zu 16 Stimmen verabschiedete das Oberhaus des französischen Parlaments in erster Lesung einen entsprechenden Gesetzentwurf. Die Senatoren strichen dabei auch das offizielle Ziel Frankreichs, den Anteil des Atomstroms von derzeit 70 auf 50 Prozent bis 2035 zu reduzieren und legten fest, dass ein Dekret über die vorgesehene Schließung von zwölf Reaktoren zu überprüfen sei.

„Es geht darum, keine Zeit zu verlieren“, hatte Energieministerin Agnès Pannier-Runacher zum Auftakt der Debatte gesagt. Nach dem geplanten Gesetz kann bereits an Nebengebäude eines Reaktors gebaut werden, während die öffentliche Diskussion über das Bauvorhaben noch läuft. Für den Bau neuer Reaktoren sind künftig keine Genehmigungen der kommunalen Ebene mehr nötig, da der Staat über die Einhaltung der Standards wachen soll.

Dies bedeute nicht, dass die Sicherheit, der Schutz der Artenvielfalt oder die öffentliche Mitsprache eingeschränkt würden, sagte die Ministerin. Der frühere französische Präsident François Hollande hatte 2015 durchgesetzt, dass Frankreich den Anteil des Atomstroms auf 50 Prozent verringern sollte. Dafür sollten 14 Atomkraftwerke vom Netz genommen werden.

Tatsächlich wurden die beiden ältesten Atomreaktoren in Fessenheim abgeschaltet. Präsident Emmanuel Macron hatte jedoch vor einem Jahr die Strategie geändert und den Bau von bis zu 14 neuen Atomreaktoren angekündigt. Sie sollen dem bislang einzigen und noch immer im Bau befindlichen EPR-Reaktor in Flamanville ähneln, aber einen vereinfachten Bauplan haben.

Die neuen Reaktoren sollen jeweils paarweise am Standort bereits bestehender Atomkraftwerke gebaut werden. Die ersten beiden sollen in Penly entstehen, die folgenden beiden in Gravelines, jeweils an der Küste des Ärmelkanals. Das Gesetz geht im März in die Nationalversammlung, die den Text ihrerseits noch abändern kann. Jedoch rief der Text schon jetzt starke Reaktionen hervor. Der französische Zweig der Umweltorganisation Greenpeace nannte die von den Senatoren eingebrachten Änderungen „skandalös“. Später im Jahr steht außerdem noch ein Gesetz über die großen Linien der Energiepolitik an.
(AFP)

Grober J-P.
25. Januar 2023 - 20.54

Das kennt man, habe lange Zeit mit französischen Firmen zu tun gehabt. Nonchalance à la française, wie meinte Freund Charly aus Limoges, « pas de soucis mon ami, ça teint, ça tient. »

JJ
25. Januar 2023 - 8.55

Die Konsequenzen der Privatisierung. Was will ein Unternehmen ? Geld verdienen. Also lassen wir die kostspieligen Revisionen und Erneuerungen mal bei Seite und holen raus was drin ist. Es gibt halt Sparten die in Staatshand gehören,wie Bildung,Gesundheit,Sicherheit und eben Energie. So wurde in Tchernobyl gespart und in Fukushima,aus Kostengründen,an den Strand gebaut.Obwohl Tsunami ja ein geläufiges Wort in Japan ist. Vielleicht setzt sich Macron durch mit seiner "Verstaatlichung" der Energieproduktion. Aber ein Blick nach Deutschland ist auch ernüchternd wenn der Bund(unter Mutti) 16 Jahre lang zusieht wie Autobahnbrücken ( 800 ) marode werden. Allerdings:Mit AKW's darf man nicht spielen.