InterviewNeue CPL-Direktorin Joke Van der Stricht stellt das „neue Schrassig“ vor

Interview / Neue CPL-Direktorin Joke Van der Stricht stellt das „neue Schrassig“ vor
Das „Centre pénitentiaire de Luxembourg“ platzt mit 520 Insassen aus allen Nähten. Mit der Eröffnung des neuen Gefängnisses in Sanem wird die Gefängnisbevölkerung in Schrassig auf 250 reduziert.  Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Luxemburgs Justizvollzugsanstalt in Schrassig bekommt eine neue Chefin: In exakt einer Woche übernimmt Joke Van der Stricht die Leitung des „Centre pénitentiaire de Luxembourg“ (CPL). Mit dem Tageblatt hat die 32-jährige Kriminologin vor ihrem Amtsantritt über ihre Pläne, den Platzmangel in Schrassig, die daraus resultierenden Spannungen und die Perspektiven, die sich mit der Eröffnung des neuen Gefängnisses für Untersuchungshäftlinge in Sanem bieten werden, gesprochen.

Tageblatt: Frau Van der Stricht, mit Ihnen übernimmt in genau einer Woche eine diplomierte Kriminologin die Leitung der Strafvollzugsanstalt in Schrassig. Ein Gefängnis, dessen Möglichkeiten und Bedürfnisse Sie nach sieben Jahren wohl bestens kennen. Wie wollen Sie sich als Direktorin mit einbringen?

Joke Van der Stricht: In erster Linie möchte ich die Gefängnisreform von 2018 so gut es geht umsetzen. Mit der Eröffnung des neuen Gefängnisses in Sanem (Ende 2022, Anm. d. Red.) eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Schrassig. So werden etwa Ressourcen freigesetzt, die es uns ermöglichen, auf jeden Häftling individueller und persönlicher einzugehen.

In der Justizvollzugsanstalt Schrassig sitzen derzeit rund 520 Insassen. Sträflinge und Untersuchungshäftlinge, Frauen und Männer …

Da es zum jetzigen Zeitpunkt nur eine geschlossene Haftanstalt in Luxemburg gibt, sind die Insassen immer noch gemischt. Das birgt natürlich einige Schwierigkeiten. Dennoch haben wir die Lage relativ gut im Griff. Trotz verschiedener Herausforderungen ist es uns möglich, ordentlich mit den Häftlingen zu arbeiten. Natürlich fiebern wir der Eröffnung der Anstalt für Untersuchungshäftlinge in Sanem entgegen. Schrassig eröffnen sich dadurch ganz neue Perspektiven.

Mit der Eröffnung des neuen Gefängnisses in Sanem eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Schrassig

Joke Van der Stricht, CPL-Direktorin in spe

Als da wären?

Mit der Verlegung der Untersuchungshäftlinge fallen auf einen Schlag 50 Prozent der Insassen weg. Mit der Schaffung neuer Freiräume eröffnen sich folglich ganz neue Möglichkeiten. Natürlich machen wir uns schon seit einiger Zeit unsere Gedanken, wie dieses „neue Schrassig“ aussehen kann. Großer Handlungsbedarf besteht etwa bei unseren weiblichen Insassen. Die Ateliers grenzen direkt an den Wohnblock, die Frauen können sich kaum noch aus dem Weg gehen. Das führt natürlich zu Spannungen. Aber auch generell wollen wir versuchen, individueller auf die Häftlinge einzugehen. Dafür aber müssen wir uns die entsprechende Infrastruktur geben. Nur dann können wir die Gefängnisreform von 2018 auch optimal umsetzen. Zurzeit machen wir das Beste aus unseren Möglichkeiten, was uns auch ziemlich gut gelingt. Doch da ist noch Luft nach oben! Mit kleinen Änderungen können im Gefängnis große Fortschritte erzielt werden.

Wie soll dieses „neue Schrassig“ noch aussehen?

Es gibt einige Konzepte, die wir in die Restrukturierung der Haftanstalt mit einbauen möchten. Ich denke zum Beispiel an eine Abteilung für unsere „Primaires“ – Neuankömmlinge also, die zum ersten Mal im Gefängnis landen. Dabei handelt es sich oft um jüngere Leute, die bis dahin kaum oder gar nicht mit dem schwerkriminellen Milieu in Kontakt gekommen sind. Momentan sind alle Insassen gemischt, was insbesondere für junge Leute nicht von Vorteil ist. Außerdem benötigen wir eine Geriatrie. Die Verurteilten werden immer älter. Dieser Entwicklung aber hat sich unsere Infrastruktur noch nicht angepasst.

Außerdem führt Platzmangel nicht selten auch zu Spannungen, wie Sie bereits angemerkt haben …

Spannungen sind in einem Gefängnis nicht zu vermeiden. Dennoch versuchen unsere Wärter, nur Personen zusammenzulegen, die gut miteinander können. Menschen, von denen wir wissen, dass sie nicht miteinander auskommen, werden, wenn möglich, voneinander getrennt. Leider fehlen uns manchmal die nötigen Freiräume. Dennoch haben die Wärter die Lage relativ gut im Griff. Bei der geringsten Spannung suchen wir sofort nach einer Lösung. Auch generell versuchen wir, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Problemen weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Leider sind Auseinandersetzungen nicht komplett zu vermeiden. Gefängnisse sind nicht das einfachste Umfeld.

Mit der neuen Justizvollzugsanstalt „Uerschterhaff“ in Sanem eröffnen sich fürs Gefängnis in Schrassig ganz neue Perspektiven, sagt die künftige CPL-Direktorin Joke Van der Stricht
Mit der neuen Justizvollzugsanstalt „Uerschterhaff“ in Sanem eröffnen sich fürs Gefängnis in Schrassig ganz neue Perspektiven, sagt die künftige CPL-Direktorin Joke Van der Stricht Foto: Editpress/Tania Feller

Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Jugendliche in Schrassig landen. Vor einem Jahr musste etwa ein 17-Jähriger in die Haftanstalt für Erwachsene verlegt werden, weil die Anstalt in Dreiborn dem aggressiven Benehmen des jungen Mannes nicht gewachsen war …

Zurzeit sind keine Minderjährige in Schrassig untergebracht. Der junge Mann, den sie gerade angesprochen haben, ist inzwischen volljährig geworden.

Generell aber scheint der Luxemburger Strafvollzug jugendlichen Schwerkriminellen nicht gewachsen zu sein, oder?

Diese Frage kann ich nicht beantworten. Dazu müssen Sie sich ans Justizministerium wenden. 

Wechseln wir das Thema: Ist eine drogenfreie Haftanstalt eine Utopie?

Leider ja. Ein drogenfreier Block aber nicht! Dafür bedarf es strenger Maßnahmen. Eine solche Abteilung ist in unseren Planungen fürs „neue Schrassig“ vorgesehen. Ein drogenfreies Gefängnis ist unmöglich: Über den Besuch, die Lieferungen oder die Post gelangen immer wieder kleinste Mengen in die Haftanstalt. Auch wenn wir alles kontrollieren: Die Betroffenen werden immer erfinderischer.

Spielt in dieser Hinsicht etwa die Privatsphäre eine Rolle?

Nein, wir kontrollieren jeden Besucher, durchsuchen jedes Päckchen. Nur sind ganz kleine Quantitäten nicht immer sichtbar. Und die Schmuggler lassen sich immer wieder neue Verstecke einfallen. Manchmal sind sie uns einen kleinen Schritt voraus … Uns werden in naher Zukunft aber neue Mittel zur Verfügung stehen.

Ein drogenfreies Gefängnis ist unmöglich

Joke Van der Stricht, CPL-Direktorin in spe

Es gibt sicher noch weitere Themen, die sich auf dem Papier einfach anhören, in Wirklichkeit aber nicht anzuwenden sind.

Natürlich. Aber das gilt nicht nur für Gefängnisse! Auch in anderen Bereichen fällt es Außenstehenden schwer, die Praxis einzuschätzen. Eine Haftanstalt bietet tatsächlich hochkomplexe Bedingungen. Was in der Theorie einfach klingt, stößt sich an der Wirklichkeit im Alltag. Im Gefängnis gibt es etwa sicherheitstechnische oder räumlich relevante Einschränkungen, die der Umsetzung einer Idee im Wege stehen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Aus der Bevölkerung kommen immer wieder Forderungen nach mehr Freizeitaktivitäten für Häftlinge. Was ich absolut begrüße und auch hundertprozentig unterstütze. Insassen sollen sich kulturell oder sportlich betätigen können! Wir versuchen, diesen Bedürfnissen auch nachzukommen – auch wenn es in Covid-Zeiten etwas schwieriger geworden ist. Leider ist uns aufgefallen, dass wir oft viel Energie, Zeit und Aufwand in Projekte stecken, während sich die Begeisterung aufseiten der Insassen eher in Grenzen hält.

 Foto: Editpress/Hervé Montaigu

In einer aktuellen Mitteilung fordert die Interessenvertretung „Eran … eraus … an elo?“ mehr kulturelle Projekte, nun da die Justizministerin auch das Kulturressort innehat …

Aufseiten der Gefängnisdirektion ist auf jeden Fall Interesse vorhanden. Wir sind immer bereit, Konzerte zu organisieren, Theatervorstellungen, Musikprojekte, Poesie-Abende … Eine Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium ist absolut erwünscht. In Nach-Covid-Zeiten natürlich!

Und vonseiten der Häftlinge?

Sagen wir mal so: Wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Bei einer einfachen Ankündigung hält sich das Interesse der Insassen oft in Grenzen. Wenn sich der Projektleiter aber persönlich vorstellt oder Workshops anbietet … Wir versuchen auf jeden Fall immer Interesse zu wecken und den Häftlingen das Projekt so schmackhaft zu machen wie nur möglich.

Ein anderes Thema: Die Gefängnisreform von 2018 sieht private Zimmer für Familien- oder Partnerbesuche vor. Die Umsetzung kommt aber nur schleppend voran. Vorgesehen sind diese Zimmer bislang nur in Sanem. Wie sieht es in Schrassig aus?

Zurzeit gibt es in Schrassig keine private Zimmer für Familienbesuche. Die aber sind vorgesehen, wenn Sanem erst mal läuft und die Haftanstalt in Schrassig umstrukturiert wird. Dabei wollen wir uns an den „Unités de vie familiale“ aus Frankreich orientieren.

Wie kann man sich das vorstellen?

Das soll schon etwas größer werden als nur ein einfaches Zimmer. Mit einer kleinen Küche, vielleicht auch einem Balkon … Auf jeden Fall sollen die Räume kinderfreundlich eingerichtet werden, mit weniger Gittern, damit der Partner auch die Kinder mitbringen kann. Wenn wir uns schon dafür entscheiden, eine solche Einheit einzurichten, dann soll man es auch richtig machen. Leider haben wir dafür zurzeit aber nicht die nötigen Räume und Mittel.

Zur Resozialisierung gehört auch die Arbeit und eine ordentliche Ausbildung. Welche Möglichkeiten sehen Sie in Schrassig?

Mit dem Bildungsministerium laufen derzeit Gespräche über verschiedene Programme, die über die Erwachsenenbildung laufen und die Zertifizierung verschiedener Module vorsehen. Wichtig ist, dass wir Module anbieten, die auch den realen Anforderungen der Arbeitswelt entsprechen. Nur so können sich die Insassen optimal auf eine Weiterbildung nach der Haft vorbereiten.

Niemand arbeitet umsonst in Schrassig!

Joke Van der Stricht, CPL-Direktorin in spe

Momentan gibt es aber nicht genügend Arbeitsplätze im Gefängnis. Wird sich das in naher Zukunft ändern?

Nach der Umstrukturierung soll jeder arbeitsfähige Häftling auch die Möglichkeit erhalten, einer Arbeit nachgehen zu können. Wir denken gar über eine Ausweitung der Angebote nach, etwa mit Modulen aus dem Horeca-Bereich oder dem Mauerwerk.

Und wie steht es ums Gehalt? Ziel der Resozialisierung ist es schließlich, Häftlingen zu zeigen, dass sich ehrliche Arbeit bezahlt macht …

Niemand arbeitet umsonst in Schrassig! Wir arbeiten mit einer Art Stufensystem. Ein neuer Insasse beginnt auf der ersten Stufe und kann je nach Einsatz, Erfahrung und Leistung bis zur siebten Stufe befördert werden. Je mehr er sich einbringt, desto mehr verdient er. Wenn der Häftling ordentlich arbeitet, nicht fehlt und sich auch sonst viel einbringt, kann er sich nach zwei Jahren ein richtiges, wenn auch bescheidenes Gehalt erarbeiten.


Gefängnis, Strafrecht und forensische Psychologie

Die 1988 geborene Joke Van der Stricht hat einen Masterabschluss in Kriminologie von der „Université libre de Bruxelles“ (ULB). Spezialisiert hat sie sich in ihrem Studium auf Gefängnisse, Strafrecht und forensische Psychologie. Van der Stricht ist in Antwerpen geboren und in Luxemburg aufgewachsen, spricht daher auch perfekt Luxemburgisch.

Ihre Karriere im CPL von Schrassig begann die heute 32-Jährige im Januar 2013 als „Attachée“. Nach vier Jahren wurde sie zur stellvertretenden Direktorin ernannt. Zuletzt war sie für die Inhaftierung und Eingliederung verantwortlich. Joke Van der Stricht wurde am 18. Januar 2021 von Justizministerin Sam Tanson als Nachfolgerin von CPL-Direktor Michel Lucius vorgeschlagen und vom Ministerrat ernannt. Laut Regierung verfügt sie über „perfekte Kenntnisse der Gefängniswelt und der Justizvollzuganstalt“. Zudem sei sie maßgeblich an der Umsetzung der Gefängnisreform beteiligt gewesen.

Im „Centre pénitentiaire de Luxembourg“ werden seit 1984 Untersuchungshäftlinge und verurteilte Häftlinge untergebracht. Erstere sollen ab Ende 2022 in die neue Haftanstalt „Uerschterhaff“ in Sanem umziehen.

winston
25. Januar 2021 - 22.52

Say hello to the new Schrassig, same as the old Schrassig.