Friddens- a Solidaritéitsplattform„Krieg braucht doch kein Mensch“: Friedensaktivist Raymond Becker über den Ukraine-Krieg

Friddens- a Solidaritéitsplattform / „Krieg braucht doch kein Mensch“: Friedensaktivist Raymond Becker über den Ukraine-Krieg
Raymond Becker ist überzeugt, dass man mit Protesten etwas erreichen kann Foto: Julien Garroy/Editpress

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Seit mehr als 40 Jahren engagiert sich Raymond Becker gegen Aufrüstung, atomare Waffen und Krieg. Der Angriff Russlands auf die Ukraine schockiert den Friedensaktivisten. Doch er ist überzeugt: Mit Protesten kann man etwas erreichen.

Tageblatt: Wo hat Sie die Nachricht erreicht, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist? Was schoss Ihnen durch den Kopf?

Raymond Becker: Ich war einfach schockiert. Wütend. Emotional. 

Hätten Sie gedacht, dass je wieder Krieg auf dem europäischen Kontinent ausbricht?

Ich muss gestehen, ich hatte mir die Situation, in der wir uns heute befinden, noch vor drei Wochen nie vorstellen können. Dass man die Muskeln spielen lässt, daran war man gewöhnt. Dass wichtige Verträge wie der Open-Skies-Vertrag aufgekündigt wurden, tat einem schon weh. Doch dass Russland so offen einen Krieg beginnt, war schlicht unvorstellbar. Ich habe immer daran geglaubt, dass wenn auch nur ein Fünkchen politischer Wille da ist, wir es hinkriegen, den Konflikt über die Diplomatie zu lösen und Schlimmeres zu vermeiden. Es ist für mich eine riesige Enttäuschung, dass auf diesem Kontinent Europa, der zwei Weltkriege mit Millionen Opfern erlebt hat, wieder Krieg ausgebrochen ist. 

Am Samstag soll nun eine Protestaktion stattfinden. Sind Sie da auch mit dabei?

Ja. Der Protest wird unter dem Motto „Stoppt den Krieg“ stattfinden. Organisiert wird er von der „Friddens- a Solidaritéitsplattform“, gemeinsam mit der ASTI, „Justice et paix“, dem „Mouvement écologique“ und dem OGBL. Wir verurteilen die völkerrechtswidrige russische Invasion in der Ukraine. Denn dieser Krieg kann durch nichts gerechtfertigt werden. Krieg ist immer ein Verbrechen gegen die Menschheit. 

Alle Kriegshandlungen müssen sofort gestoppt werden, die atomare Eskalation verhindert werden. Wir verlangen den Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine und natürlich humanitäre Hilfe für die gebeutelte ukrainische Bevölkerung. Die EU-Grenzen müssen für ukrainische Flüchtlinge offen bleiben. Friedensverhandlungen unter Beteiligung aller und unter Koordination der Vereinten Nationen sollen stattfinden. 

Damit der Konflikt eine friedliche Lösung erfährt, gibt es keinen anderen Weg als die Diplomatie. Das ist das Allerwichtigste. Heute, während Krieg herrscht, ist nicht der Zeitpunkt, um zu diskutieren, wer woran Schuld hat und wieso die Situation so eskaliert ist. Wenn wir alle wieder an einem Tisch sitzen, können wir aufarbeiten, was passiert ist. Dabei müssen wir auch in die Zukunft sehen. Die Frage, die wir lösen müssen: Wie können wir eine neue europäische Sicherheitsarchitektur schaffen? Bereits Olof Palme sagte zu Lebzeiten: Frieden kann es nie gegeneinander geben. Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa muss man mehr Macht geben und es muss eine eurasische Sicherheitspolitik erarbeitet werden. 

Der normale Bürger hat natürlich keinen direkten Draht zu Putin, um ein Ende des Krieges zu fordern. Die aktuelle Situation kann so bei einigen das Gefühl auslösen, völlig machtlos zu sein. Bringt es überhaupt etwas, hier auf die Straße zu gehen und zu protestieren?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wenn die Zivilgesellschaft sich wirklich mobilisiert und sich gegen den Krieg engagiert, etwas erreicht werden kann. Je größer der Druck wird, desto eher müssen Politiker handeln. Ein einfaches Beispiel: der Vietnam-Krieg. Er wurde auch wegen der heftigen Proteste in den USA und weltweit beendet. Natürlich waren nicht nur die Proteste ausschlaggebend. Aber sie haben dazu beigetragen. Wir haben damals etwas bewegt. Und können das auch heute wieder tun. Auch eine andere Bewegung bestätigt die Macht der Zivilgesellschaft: die „Fridays for Future“-Proteste. Heute diskutiert man ganz anders über Klimapolitik – weil die Aktivisten gegen den Klimawandel sich so laut Gehör verschafft haben. 

Deswegen sind wir als „Friddens- a Solidaritéitsplattform“ dabei, Kontakte mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft aus der Ukraine und aus Russland aufzubauen. Denn Putin-Russland ist nicht ganz Russland! Das müssen wir betonen. Es gibt auch dort viele Menschen, die radikal gegen jedweden Krieg sind. Und sich jetzt unter größter Gefahr mobilisieren. 

Vor zwei Jahren hielt ein Demonstrant bei einer Protestaktion der „Friddens- a Solidaritéitsplattform“ ein Schild mit der Aufschrift „Krieg gehört ins Museum“ hoch. Das sehen Sie auch so? 

Archäologen haben im Nordsudan Spuren dafür gefunden, dass Menschen schon vor mehr als 13.000 Jahren Krieg gegeneinander geführt haben. Wohl Kämpfe um irgendwelche Ressourcen. Haben wir denn bis heute nichts dazugelernt? Können wir Sicherheit denn nur garantieren, wenn wir immer mehr aufrüsten? Wir müssen es doch endlich einmal hinkriegen, uns zusammenzusetzen und Konflikte friedlich zu lösen. Schluss mit Testosteron-gesteuerten, machtgeilen Politikern mit imperialistischen Träumen. Krieg braucht doch kein Mensch. Wir haben ganz andere Probleme zu lösen: Das Fenster, um dem Klimawandel entgegenzusteuern, schließt sich. Das macht mich unheimlich wütend. 

Als ich vor 40 Jahren begonnen habe, mich für den Frieden zu engagieren, gab es noch so etwas wie zwei klare Parteien: Gut und Böse. Zwei Systeme, zwei Ideologien: das eine der Kommunismus, das andere unsere Konsumgesellschaft. Doch ganz ehrlich: Die drei Blöcke spielen doch heute alle fast das gleiche Spiel. Es gibt kaum einen ideologischen Unterschied mehr. Die Zeit des Kalten Krieges ist längst vorbei. Und einem anderen Land oder seiner Bevölkerung durch Gewalt irgendetwas aufzudrängen, das gehört auf die Müllhalde der Geschichte. 

Glauben Sie, dass die harten Sanktionen, die die EU und ihre Alliierten gegen Russland verhängt haben, etwas bringen? 

Ich bin kein Wirtschaftsspezialist. Aber wir haben ja schon in der Pandemie gesehen, wie vernetzt die Welt von heute ist. Das war vor 40 Jahren noch ganz anders. Deshalb glaube ich, als Laie, dass wenn man an den richtigen Schrauben dreht, schon Druck auf Russland aufgebaut werden kann. Die Sanktionen sind zu spüren. Bereits jetzt droht das Finanzsystem in Russland zusammenzubrechen. Es kann gut sein, dass man Russland so dazu zwingt, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen. 

Wie groß ist die atomare Bedrohung in Ihren Augen?

In meiner Naivität habe ich noch geglaubt, als sich die Präsidenten Putin und Biden im Januar 2021 noch auf die Rettung des letzten großen Abrüstungsvertrags geeinigt haben, dass wir ein wenig sicherer sind. Das ist nun anders. Vor allem, weil ein Atomkrieg heute ganz anders aussehen würde als noch vor ein paar Jahrzehnten. Damals war die Maxime noch: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweites. Doch die Atomwaffen – vor allem in Russland und den USA – sind seit damals modernisiert worden, können heute viel zielgerichteter verwendet werden. Als Europäer sind wir bei einem Konflikt auf ganz heißem Terrain. 

Sie haben es kurz angesprochen: Wegen des Krieges flüchten gerade Hunderttausende Ukrainer in die EU. Müssen wir befürchten, dass Anti-Flüchtling-Ressentiments wieder wach werden?

Davon gehe ich nicht aus. Schließlich ist dieser Krieg kaum 2.000 Kilometer von uns weg. Er ist direkt vor unserer Tür. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hilfsbereitschaft auf einmal kippt. Wir sind verpflichtet, zu helfen.

Wie können Luxemburger denn helfen?

Erstens, Farbe bekennen und klar sagen: Ich will eine andere Welt. Ohne Krieg. Ohne Aufrüstung. Ohne Leid. Zweitens, sich in Nichtregierungsorganisationen engagieren und aktiv mitarbeiten, dass sich die Welt ändert. Drittens, ganz direkt die unterstützen, die vor Ort helfen. Das Rote Kreuz zum Beispiel. 

Nationale Demonstration „Stoppt den Krieg“

Wo? 
Place Clairefontaine in Luxemburg-Stadt

Wann? 
15 Uhr am Samstagnachmittag

Zur Person

Raymond Becker ist Mitbegründer der „Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg“ im Jahr 2018. Bereits vorher war er politisch aktiv. 1982-1997 war er LSAP-Schöffe in der Gemeinde Roeser. 2009 trat er bei den Sozialisten aus und wurde Mitglied bei „déi gréng“. 2011 wurde er in den Gemeinderat von Echternach gewählt und engagierte sich bis 2017. Etwa zur gleichen Zeit war er Präsident des Echternacher Tourist Office. Der heute 69-Jährige lebt in Echternach. Er ist in vielen lokalen Vereinen aktiv.