Alain spannt den BogenKonzert und Album: Pavel Haas und Gilles Grethen Quartetts spielen außergewöhnlich gut

Alain spannt den Bogen / Konzert und Album: Pavel Haas und Gilles Grethen Quartetts spielen außergewöhnlich gut
Am vergangenen Montag in der Philharmonie: das Pavel Haas Quartet in Aktion Foto: Sébastien Grébille 

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Einmal Streichquartett, einmal Jazz-Quartett – zweimal außergewöhnlich gut: Wenn Musik so gut gespielt wird wie vom Pavel Haas Quartet und vom Gilles Grethen Quartet, dann ist es doch wirklich egal, ob es sich dabei um Klassik oder Jazz handelt. Musik lebt, und das tut sie hier dank hervorragender Komponisten, aber auch dank hervorragender Musiker.

Seit ich vor Jahren das Pavel Haas Quartet zum ersten Mal anlässlich eines Quartettfestivals in Eisenach auf Schloss Esterhazy erlebt habe, gehört dieses Quartett zu meinen absoluten Lieblingsensembles. Es sind vor allem dieser erdige, dunkle Ton gepaart mit der ungeheuren Virtuosität und dem vollendeten Stilgefühl seiner Musiker, welche die Interpretationen des Pavel Haas Quartet so besonders machen.

Musikalische Reise mit Kapralova und Martinu

Das Programm, das die Musiker am vergangenen Montag im Kammermusiksaal der Philharmonie spielten, hatte es in sich. Vor allem die erste Hälfte mit den eher unbekannten Quartetten von Vitezslava Kapralova und Bohuslav Martinu führte uns auf eine spannende Musikreise. Bohuslav Martinus Musik wird in unseren Breiten leider noch immer unterschätzt und wenig gespielt. Dabei besitzen Ausdruckskraft und Musik das gleich hohe Niveau wie die Werke eines Leos Janacek oder Béla Bartók. Von Martinus sieben Streichquartetten ist das fünfte das längste und wohl auch das ausdrucksstärkste. Martinu-Biograf Harry Halbreich schreibt dazu: „Unter gewissen Umständen können sich auch die größten Schöpfer der Musik selbst übertreffen. Bei Martinu ereignete sich dies gleich zweimal während des qualvollen Jahres 1938. Eine schwere persönliche Krise traf mit der dramatischen politischen Situation zusammen. Dieses schwierige, kompromisslose Werk unter Hochspannung ist zweifellos das Meisterwerk seines Autors und das größte tschechische Streichquartett des 20. Jahrhunderts neben Janaceks Quartett Intime Briefe.“ 1938 geschrieben, spiegelt die Musik Martinus bedrückende Stimmung hinsichtlich der nahenden Invasion der Tschechoslowakei durch die Nazis wider.

Dies alles machen die vier Musiker des Pavel Haas Quartet in jedem Moment deutlich und nachvollziehbar. Die Musik wird quasi zu einem Organismus, dessen Fasern man in jedem Instrument nachspüren kann. Das Pavel Haas Quartet erweckt Martinus Musik zum Leben und verleiht ihr einen sehr natürlichen, wenn auch gewollt hektischen Atem. Die Angst ist überall spürbar. Und trotzdem besitzt Martinus 5. Streichquartett in dieser Interpretation eine schier aufbäumende Kraft, die das Quartett tatsächlich zu einem der größten und besten Streichquartette des 20. Jahrhunderts werden lässt.

Eingeleitet wurde das Konzert aber mit dem einzigen Streichquartett der jungen und mit 25 Jahren an Tuberkulose verstorbenen tschechischen Komponistin Vitezslava Kaprialova (1915-1940), das sie im Alter von zwanzig Jahren geschrieben hatte. Kaprialova war eine hochbegabte Schülerin Martinus gewesen, mit dem sie auch ein Liebesverhältnis hatte. Dieses hörenswerte Quartett ist ein sehr reifes, wohl ausbalanciertes und ausdrucksstarkes Werk einer überaus talentierten Komponistin, die eine große Zukunft vor sich gehabt hätte. Auch hier erlebte das Publikum eine elektrisierende und zugleich sehr feinsinnig ausgesponnene Interpretation des Pavel Haas Quartet, das hier wie auch bei Martinu und dem folgenden Streichquartett von Claude Debussy von einer einzigartigen Mischung aus Innenspannung, Virtuosität und Dialogbereitschaft lebte.

Nach der Pause wurde auch das einzige Streichquartett von Claude Debussy zu einem Erlebnis. Die markante Interpretation der Musiker, ihr Sinn für dramatische Abläufe, musikalische Stringenz und lebendige Interaktionen taten Debussys Musik gut. Der dunkle Klang des Pavel Haas Quartet vermied allzu pastellartige Farben, so dass man Debussys Meisterwerk an diesem Abend in einer wohltuend packenden, direkten und kantigen Interpretation erleben konnte. Mit der virtuosen Alla Tarantella aus Fünf Stücke für Streichquartett (1923) von Erwin Schulhof als Zugabe bedankte sich das Pavel Haas Quartet beim ebenso aufmerksamen wie begeisterten Luxemburger Publikum.

Coolness ist Trumpf

Neuerscheinung im März: „State Of Mind – Live“ vom Gilles Grethen Quartet
Neuerscheinung im März: „State Of Mind – Live“ vom Gilles Grethen Quartet Foto: Gilles Grethen Quartet

Aufmerksamkeit verdient dieser Tage aber auch das Jazz-Album „State Of Mind – Live“ vom Gilles Grethen Quartet. Im Gegensatz zum Pavel-Haas-Streichquartett handelt es sich hier um ein Jazz-Quartett mit Gilles Grethen, Gitarre, Vincent Pinn, Trompete und Flügelhorn, Gabriele Basilico, Bass und Michel Meis, Drums. Ein Jahr nach seinem ersten Album „Time Suite“ geht Grethen nun einen Schritt weiter und kombiniert jazzige Coolness mit dem warmen Klang eines Streichensembles, das hier quasi wie ein fünftes Instrument klingt.

Dank des Dirigenten Benjamin Schäfer bilden die elf Streichinstrumente einen wirklichen Klangblock und behalten trotzdem ihre Durchhörbarkeit. Vor allem bleibt hervorzuheben, dass sich die Streicher wunderbar in diese Jazz-Welt einfügen und nicht nur als softe Begleitung eingesetzt werden. Darüber hinaus klingt das dann auch sehr spontan und verströmt einen echt jazzigen Charakter, der sich ideal mit dem Top-Spiel des Gilles Grethen Quartet vermischt. Auch klingen die vier Musiker des Quartetts auf diesem Album einerseits sehr individuell, improvisationsfreudig und funktionieren trotzdem als Team.

Dank der Entscheidung, dieses Album live aufzunehmen, wirkt die Musik spontaner, jazziger und man spürt förmlich, wie die Musiker interagieren. Zwei Stücke, nämlich „State Of Mind“ und „Forgetful“, gibt es in zwei verschiedenen Fassungen, eine meist kürzere in der Gilles-Grethen-Quartet-Version und eine längere mit dem Streichensemble. Und mit rund 75 Minuten Spielzeit ist diese klanglich hervorragende CD dann auch sehr gut gefüllt. Das Konzert wurde am 2.12.2022 im ARCA Bartringen und am 12.3.2023 bei Nancy Web TV aufgenommen.