Dienstag11. November 2025

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LuxemburgJetzt diskutiert die Chamber: Rückblick auf 15 Monate Diskussionen rund um die Rentenreform

Luxemburg / Jetzt diskutiert die Chamber: Rückblick auf 15 Monate Diskussionen rund um die Rentenreform
Ministerin Martine Deprez will bis 2026 einen Gesetzentwurf für eine Rentenreform vorlegen – sollte diese für nötig befunden werden Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Luxemburger Rentendebatte kehrt nach über einem Jahr öffentlicher Diskussionen für einen Pitstop in der Chamber ein. Interessant dürfte vor allem eins werden: Was machen CSV und DP mit ihrer sehr langen Redezeit?

Als die Ministerin für soziale Sicherheit Martine Deprez am 7. Dezember 2023 aus der Kommissionssitzung für Gesundheit und soziale Sicherheit trat, wusste sie wahrscheinlich nicht, was für eine politische Lawine sie losgetreten hatte. Die frisch ernannte CSV-Ministerin hatte soeben den Abgeordneten den Koalitionsvertrag von CSV und DP vorgestellt. Ein Passus sollte den Oppositionsabgeordneten ins Auge stechen. „La possibilité d’une promotion accrue du deuxième et troisième pilier de prévoyance vieillesse sera analysée, notamment par une amélioration des allégements fiscaux“, hatten die Koalitionäre in ihrem 200-seitigen Regierungsabkommen festgeschrieben. Nach der Ausschusssitzung aber stand für die Oppositionsabgeordneten fest, dass das Luxemburger Rentensystem an sich infrage gestellt wurde. „Die Regierung will die erste Säule des Rentensystems an Wichtigkeit verlieren lassen“, sagte etwa der Linken-Politiker Marc Baum gegenüber dem Tageblatt.

Das Luxemburger Rentensystem

Die Altersvorsorge in Luxemburg ist auf drei Säulen aufgebaut. Wer arbeitet, zahlt Sozialversicherungsbeiträge in die nationale Rentenversicherungskasse ein („Caisse nationale d’assurance pension“, CNAP). Das ist die Pflichtversicherung, die als Umlageverfahren die erste Säule des Rentensystems bildet. Die beiden anderen Säulen bilden die betriebliche (zweite Säule) und die private Altersvorsorge (dritte Säule).

Dass Deprez in der Folge mehrfach beteuerte, dass die erste Säule des Luxemburger Rentensystems nicht infrage gestellt sei, vermochte die Diskussion nicht mehr einzufangen. Auch deswegen, weil weder der Absatz im Koalitionsvertrag noch die anschließenden Erklärungsversuche seitens der Ministerin die öffentliche Debatte in einem gewissen Rahmen halten konnten. Mit Premierminister Friedens Aussage im RTL-Neujahrsinterview, dass eine „grundsätzliche Debatte“ und ein „weißes Blatt Papier als Startpunkt“ herhalten müssten, wurde nur noch mehr Öl ins Feuer geschüttet.

Eine der entscheidenden Fragen – ob eine mögliche Rentenreform nur das private oder auch das öffentliche Rentensystem betrifft – wurde von Regierungsseite lange Zeit weder verneint noch bestätigt. Erst im Tageblatt-Interview im vergangenen November stellte Luc Frieden klar: „Wir reden eigentlich über das Ganze.“ Zu dem Zeitpunkt aber war die Rentendebatte bereits im vollen Gange, die offizielle Kampagne „schwätzmat.lu“ bereits einen Monat alt. Und zu allem Überfluss hatte CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz kurz vorher auf RTL gemeint, das öffentliche Rentensystem sei von einer möglichen Reform nicht betroffen. Die CGFP hatte in einem Interview mit dem Lëtzebuerger Land auch eingefordert, dass „jetzt mal nichts gemacht wird“.

Eine Institution, zwei Gutachten

Eine Position, die sich aus dem, oder eher den Gutachten des „Conseil économique et social“ (CES) ableiten lässt. Dieser wurde vom damaligen Premierminister Xavier Bettel (DP) im Jahr 2022 damit beauftragt, auf Basis der Berechnungen der „Inspection générale de la sécurité´sociale“ (IGSS) ein Gutachten zu erstellen, das als Basis für eine mögliche Rentendebatte dienen sollte. Die Vertreter von Salariat und Patronat im Wirtschafts- und Sozialrat konnten sich nach zwei Jahren Beratungszeit jedoch nicht auf eine gemeinsame Position einigen, sodass im Juli 2024 zwei Gutachten anstelle von einem publiziert werden mussten. Einigen konnte man sich im CES lediglich darauf, dass man sich in der Sache nicht einig war. „Eine gemeinsame Stellungnahme mit dem Arbeitgeberlager war nicht möglich, da grundlegende Unterschiede in der Interpretation der aktuellen (finanziellen) Situation des Rentensystems und vor allem im Hinblick auf den Projektionszeitraum, der für eine Analyse der finanziellen Situation des Systems relevant ist, bestehen. Infolgedessen gingen die Einschätzungen hinsichtlich der Dringlichkeit und darüber hinaus hinsichtlich der Hebel, die zur Sicherung der Nachhaltigkeit des Rentensystems eingesetzt werden müssen, weit auseinander“, steht etwa im Gutachten der Salariatsvertreter.

Dem Dissens liegen zwei gegensätzliche Interpretationen der IGSS-Berechnungen zugrunde. Diese rechnen vor, dass die monatlichen Rentenbeiträge ab 2027 nicht mehr ausreichen, um die Ausgaben zu decken. Was wiederum dazu führen würde, dass gesetzliche Maßnahmen aus der Rentenreform von 2012 greifen und – bei unveränderter Politik – die Rentenreserve angezapft werden müsste. Während die Arbeitgeberseite den Berechnungen und Projektionen der IGSS Vertrauen schenkt und für ein rasches Handeln plädiert, kritisiert die Arbeitnehmerseite, dass diese in der Vergangenheit schon zu pessimistisch gewesen und somit immer wieder falsch gelegen hatten. Ableitungen zur Absicherung und Nachhaltigkeit des Luxemburger Rentensystems dürfte man daraus nicht ziehen, so das Credo der Arbeitnehmer.

Dissens in alle Richtungen

Selbst bei einer Reform hätten Patronat und Salariat jedoch unterschiedliche Ansätze. So hat Luxemburg laut dem Unternehmerverband UEL in der Rentenproblematik vor allem ein Ausgabenproblem, wohingegen die Gewerkschaften meinen, das Rentensystem könne durch neue Einnahmen, etwa durch Beitragserhöhungen, stabilisiert werden. Die Gewerkschaften haben die Vorschläge seitens der UEL, Leistungen zu kürzen, heftig kritisiert. Dem Sozialneid wolle man keinen Raum geben, meinte etwa LCGB-Präsident Patrick Dury noch im Oktober. Während UEL die großen Renten kritisierte, haben OGBL und LCGB darauf verwiesen, dass es diese im privaten Rentensystem fast nicht gibt. Was wiederum der Debatte die Tür Richtung öffentliches Rentensystem öffnete.

Insgesamt schien es, als habe das womöglich geplante Chaos (dixit LSAP-Fraktionschefin Taina Bofferding) durchaus Erfolg dabei, die Gewerkschaften in einigen Punkten zu entzweien. So wehrte sich die CGFP gegen eine Diskussion über das öffentliche Pensionssystem und dagegen, dass eine Tripartite in der Rentenfrage einberufen werden solle, da die Gewerkschaften unmöglich Verschlechterungen im Rentensystem unterschreiben könnten. OGBL und LCGB haben hingegen gefordert, dass Entscheidungen in einem Tripartite-Modell getroffen werden sollen. Vergangenes Wochenende haben die drei Gewerkschaften jedoch wieder vereint die angesetzten Expertenrunden der „schwätz mat“-Kampagne kritisiert. Das, weil das Thema des gesetzlichen Renteneintrittalters diskutiert werden soll.

Politik liefert wenig Konkretes

Während die Sozialpartner ihre unterschiedlichen Ideen für eine mögliche Rentenreform öffentlichkeitswirksam darlegten, waren es vor allem die politischen Parteien, die sich größtenteils mit eigenen Ideen zurückhielten. Nur „déi Lénk“ haben bisher mit einem eigenen Positionspapier Vorschläge zur Reform des Rentensystems vorgelegt und einen Pensionsrechner ausgearbeitet. Die LSAP, „déi gréng“ und die Piraten haben in Gesprächen mit dem Tageblatt einzelne Maßnahmen vorgeschlagen, ein umfassendes Projekt haben aber auch die drei Oppositionsparteien bisher nicht vorgelegt. Und die ehemalige Rentenpartei ADR wollte sich bis dato gar nicht zum Thema Rentenreform äußern. Besonders die beiden Regierungsparteien CSV und DP gingen in der Frage aber bisher auf Tauchstation. Wohl auch deswegen, weil niemand innerhalb der beiden Regierungsparteien den Konsultationsgesprächen von Martine Deprez und den daraus resultierenden Schlüssen vorgreifen wollte.

Die fünf Jugendparteien CSJ, Jonk Demokraten, JSL, „déi jonk gréng“ und „déi jonk Lénk“ haben kurz vor der Chamberdebatte in einer gemeinsamen Pressekonferenz Forderungen an die Politik gerichtet. Dabei wurde unter anderem auf den Generationenvertrag verwiesen und eine Reform nicht nur beim „régime général“ in der Privatwirtschaft, sondern auch bei den „régimes spéciaux“ der Staatsbeamten, eine Harmonisierung der Systeme gefordert. Auch einigten sich die Jugendableger – inklusive der „Christlich Sozialen Jugend“ und der „Jonk Demokraten“ – darauf, dass keine Erhöhung des legalen Renteneintrittalters erfolgen darf.

Umso spannender ist es deswegen, was CSV, DP und die Regierung am Mittwoch in der Chamber preisgeben werden. In den vergangenen Monaten wurde nämlich selbst der politische Konsens, dass eine Reform eigentlich nötig sei, immer wieder infrage gestellt und im nächsten Atemzug dann wieder bekräftigt. Den drei Akteuren, die sich bisher einer klaren Positionierung verweigerten, stehen insgesamt sechs (!) Stunden Redezeit in der Debatte zur Verfügung. Zeit genug, Klarheit zu schaffen und eigene Vorschläge präsentieren zu können.


Das Tageblatt-Streitgespräch:
Arbeitnehmer vs. Arbeitgeber – Was bedeutet Rentengerechtigkeit in Luxemburg?