10.000 Kilometer Unruhe Islamisten, unfähige Regierungen und Militärputsche lassen die Sahel-Zone nicht zur Ruhe kommen

10.000 Kilometer Unruhe  / Islamisten, unfähige Regierungen und Militärputsche lassen die Sahel-Zone nicht zur Ruhe kommen
Freundschaft geht anders: Nach dem Putsch in Burkina Faso tragen viele Menschen ihren Hass auf Frankreich und die Europäische Union offen zur Schau Foto: AFP/Olympia de Maismont

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Der verstorbene ghanaische Präsident Jerry Rawlings, der selbst 1981 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war, sagte einmal: „Wenn das Volk von seinen Eliten zerschlagen wird, ist es die Aufgabe der Armee, dem Volk seine Freiheit zurückzugeben.“ Die Formel findet in Westafrika und auch sonst in der Sahel-Zone offenbar immer mehr Anhänger. Vom Senegal bis nach Somalia und damit vom äußersten Westen der Sahel-Zone bis zu ihrem östlichen Rand kommen Staaten und Menschen kaum zur Ruhe. Als jüngstes Beispiel dient Burkina Faso, wo das Militär am Montag in einem Putsch die Macht an sich gerissen hat. Ein Überblick.

 Grafik: Tageblatt/Yannick Schumacher

Senegal ist wie Burkina Faso, Mali und Niger ein Partnerland der luxemburgischen Kooperationspolitik und sozusagen letzter sicherer Hafen in der Sahel-Zone. Im Gegensatz zu den anderen genannten Ländern verfügt Senegal über eine funktionstüchtige und vergleichsweise schlagkräftige Armee. Die regierende Koalition in Senegal erlitt allerdings bei den Kommunalwahlen am Sonntag in der Hauptstadt Dakar und anderen Großstädten eine schwere Niederlage. Für den Präsidenten Macky Sall, der seit 2012 an der Macht ist und enge Beziehungen nach Europa und insbesondere zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich unterhält, ist die Niederlage umso bedenklicher, da die Wahlergebnisse ein Test waren für die bald bevorstehenden nationalen Wahlen. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind dann für 2024 vorgesehen.

Die regierende Koalition in Senegal erlitt bei den Kommunalwahlen am Sonntag eine schwere Niederlage
Die regierende Koalition in Senegal erlitt bei den Kommunalwahlen am Sonntag eine schwere Niederlage Foto: AFP/Seyllou

Im März 2021 hatten Unruhen die Macht erschüttert und die Opposition neu belebt. Macky Sall wurde mit dem Versprechen gewählt, sein armes Land auf den Weg des Aufschwungs zu bringen. Seine Kritiker werfen ihm vor, den Reichen und dem Ausland, darunter dem Partner Frankreich, zu dienen, seine Macht autoritär auszuüben und die Justiz zu manipulieren. Macky Sall soll nun einen Premierminister ernennen, ein Amt, das er nach seiner Wiederwahl 2019 überraschend hatte abschaffen lassen und dessen Wiedereinsetzung er nun angekündigt hat.

Burkina Faso zählt wie Niger und Mali zu den ärmsten Staaten der Welt, leidet seit Jahren ebenfalls unter den Angriffen islamistischer Kämpfer auf Zivilisten und Sicherheitskräfte. Nach dem Putsch am Montag reiht sich Burkina Faso in die Reihe jener Staaten der Region ein, die von einer Militärjunta regiert werden. Das gleiche Schicksal hatte im vergangenen Jahr in Westafrika Guinea ereilt. Die Menschen in Burkina Faso hatten die Unfähigkeit ihrer Regierung, gegen die Islamisten vorzugehen, nun offenbar so satt, dass sie den Militärputsch vom Montag größtenteils begrüßen.

Paul-Henri Sandaogo Damiba gilt seit dem Putsch als der „neue starke Mann“ in Burkina Faso
Paul-Henri Sandaogo Damiba gilt seit dem Putsch als der „neue starke Mann“ in Burkina Faso Foto: AFP/Olympia de Maismont

Die Putschisten in Burkina Faso erklärten am Montag, dass sie angesichts der „sich ständig verschlechternden Sicherheitslage, die die Grundfesten unserer Nation bedroht“ und der „offensichtlichen Unfähigkeit der Machthaber“, diese zu bewältigen, zur Tat geschritten seien. Ein burkinischer Journalist in der Hauptstadt Ouagadougou sagte gegenüber dem Tageblatt, der Staatsstreich sei „vorhersehbar“ gewesen. Die einzige Unbekannte in den vergangenen Wochen sei der Zeitpunkt gewesen, wann es dazu kommen würde. Demnach sei die Stimmung in Ouagadougou am Dienstag friedlich gewesen, die meisten Menschen schienen den Putsch zu begrüßen. Am Dienstag auf Twitter veröffentlichte Videos zeigten Demonstranten dabei, wie sie in den Straßen Ouagadougous Frankreich und der Europäischen Union den Tod wünschten und auf Plakaten die „burkinisch-russische Freundschaft“ feierten und die weiß-blau-rote russische Fahne schwenkten. Einem Bericht des US-amerikanischen Onlinemagazins Daily Beast zufolge hat Paul-Henri Sandaogo Damiba, der „neue starke Mann“ des Landes, vor dem Putsch zweimal versucht, den nun abgesetzten Präsidenten Roch Kaboré davon zu überzeugen, die russische Söldner-Firma Wagner zu engagieren, um gegen die Islamisten vorzugehen. Dieser habe aus Rücksicht auf seine westlichen Verbündeten darauf verzichtet. 

In Mali hat die Armee seit August 2020 zweimal geputscht, um die Macht an sich zu reißen. Die ursprünglich angekündigten Wahlen verschob sie. Mali befindet sich seit dem Ausbruch von Unabhängigkeitsaufständen und Dschihadisten im Jahr 2012 in einer tiefen Sicherheits- und politischen Krise. In dem westafrikanischen Krisenland sind besonders viele europäische Soldaten im Einsatz. Auch die Luxemburger Armee beteiligt sich dort an einer europäischen Ausbildungsmission. Vor allem die französischen Streitkräfte sind mit 3.500 Soldaten in dem Land stark präsent – stoßen aber, zusammen mit den UN-Friedenstruppen, zunehmend auf Widerstand. Eine Sorge des Westens ist, dass Russland von Mali aus in der Region stärker Fuß fasst, indem Kämpfer von Moskaus geheimer Söldner-Armee Wagner das Militär in seinem Kampf gegen Dschihadisten unterstützen. Die russische Führung bestreitet immer wieder, irgendetwas mit den Wagner-Soldaten zu tun zu haben, und sagt, bei Wagner handele es sich lediglich um eine Privatfirma. Von den Wagner-Söldnern erfuhr die Welt erstmals im Ukraine-Konflikt im Jahr 2014. In den Folgejahren kämpften die Söldner in Syrien, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik. Berichte gibt es auch von Einsätzen in Venezuela sowie im Sudan, in Mosambik und weiteren afrikanischen Ländern. Vergangenen Dezember hat die Europäische Union Sanktionen gegen die Wagner-Gruppe verhängt. Die Aufständischen in Mali, die mit der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) und Al-Kaida in Verbindung stehen, haben mit ihren Angriffen in den vergangenen Jahren Tausende Zivilisten getötet, Millionen Menschen sind auf der Flucht.

Malis Hauptstadt Bamako galt lange als verhältnismäßig sicher, inzwischen ist das nur mehr bedingt der Fall
Malis Hauptstadt Bamako galt lange als verhältnismäßig sicher, inzwischen ist das nur mehr bedingt der Fall Foto: AFP/Sia Kambou

In drei weiteren westafrikanischen Ländern – Mauretanien, Guinea-Bissau und Guinea – sind Militärs oder ehemalige Militärs an der Macht, die mit Waffengewalt oder an den Wahlurnen an die Macht gekommen sind. Ein anonymer UN-Beamter, der in der Sahelzone arbeitet, urteilte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP trocken: „Es scheint, dass sich für die Veteranen der westafrikanischen Politik, deren öffentliche Politik nicht umgesetzt und deren Versprechungen nicht eingehalten wurden, ein neues Kapitel öffnet. Aber, so fragt er sich, „wird das Militär es besser machen können?“

Niger ist ein Partner der Europäischen Union in ihrem Streben nach einer gemeinsamen Migrationspolitik, indem von hier aus Flüchtlinge auf legalem Weg über das sogenannte Resettlement-Programm in die Staaten der EU gelangen können, was Kritikern dieser Politik als eine Auslagerung der EU-Außengrenze bezeichnen. Im Frühling 2021 wäre es, wenige Tage vor der Amtsübernahme des neuen Staatspräsidenten Mohamed Bazoum, fast zu einem Militärstreich gekommen. Der Putsch konnte in letzter Minute abgewendet werden und so bleibt Niger einer der wenigen Staaten der Region mit einer zivilen Regierung.

Europas ausgelagerte Außengrenzen: Algerische Gendarmen schicken Migranten zurück in die Wüste nach Niger – und damit möglicherweise in den Tod
Europas ausgelagerte Außengrenzen: Algerische Gendarmen schicken Migranten zurück in die Wüste nach Niger – und damit möglicherweise in den Tod Foto: AP/Archiv/Ju Dennis

Seit der Amtsübernahme von Bazoum hat sich die politische Lage in Niger zwar beruhigt, Europas Staaten raten ihren Bürgern aber weiter zu erhöhter Vorsicht bei Reisen in das Land. Das Risiko, Opfer von Gewaltkriminalität oder Entführungen zu werden, bleibt bestehen, auch in der Hauptstadt Niamey. Niger leidet, wie seine Nachbarn, seit Jahren unter Terrorattacken radikalislamistischer Gruppierungen, denen jährlich Hunderte Menschen zum Opfer fallen.

Im Tschad löste am vergangenen 20. April, einen Tag nach dem Tod von Präsident Idriss Déby Itno, ein militärischer Übergangsrat unter dem Vorsitz des Sohnes des verstorbenen Präsidenten Mahamat Idriss Déby, der bis dahin Chef der mächtigen Präsidentengarde war, die Regierung und die Nationalversammlung auf. Er versprach neue Institutionen nach „freien und demokratischen“ Wahlen in eineinhalb Jahren, eine Frist, die einmal verlängert werden kann.

Mehrere tausend Tschader versammelten sich am Samstag in einem Stadion in der Hauptstadt N’Djamena zur Unterstützung der Militärjunta
Mehrere tausend Tschader versammelten sich am Samstag in einem Stadion in der Hauptstadt N’Djamena zur Unterstützung der Militärjunta Foto: AFP/Dijmet Wiche

Am 15. Februar 2022 soll ein „inklusiver nationaler Dialog“ beginnen, der sich vor allem deshalb verzögert, weil die zahllosen Rebellengruppen, die regelmäßig Angriffe auf die Machthaber verüben, nur zögerlich eine einheitliche Position für Gespräche mit der Junta einnehmen. Mehrere tausend Tschader versammelten sich am Samstag in einem Stadion in der Hauptstadt N’Djamena zur Unterstützung der Militärjunta, die neun Monate nach dem Tod von Präsident Idriss Déby den Schritt zur Aufnahme eines „nationalen Dialogs“ mit der Opposition und der Rebellion beschleunigen will.

Äthiopien führt seit November 2020 Krieg gegen die Region Tigray und wird dabei von seinem stalinistisch regierten Nachbarn und Erzfeind Eritrea unterstützt. Millionen Menschen wurden seitdem vertrieben. Die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen warnen vor einer katastrophalen Hungersnot, weil die Regierung des äthiopischen Präsidenten Abiy Ahmed keine Hilfsgüter in die Konfliktregion hineinlässt.

2019 erhielt Äthiopiens Präsident Abiy Ahmed den Friedensnobelpreis – inzwischen sehen viele ihn als Kriegstreiber 
2019 erhielt Äthiopiens Präsident Abiy Ahmed den Friedensnobelpreis – inzwischen sehen viele ihn als Kriegstreiber  Foto: AFP/Håkon Mosvold Larsen

Abiy Ahmed war 2019 wegen seiner Aussöhnungspolitik mit Eritrea der Friedensnobelpreis verliehen worden. Inzwischen sieht man ihn vor allem noch in Tarnanzügen und Äthiopien hat seine Armee längst für den Konflikt mit Kampfdrohnen aus dem Iran und China aufgerüstet. Zuletzt schienen sich die Konfliktparteien angenähert zu haben. Vor wenigen Tagen aber hat der Vizearmeechef gedroht, die Tigray-Streitkräfte zu „eliminieren“.

Im Sudan hatte der oberste General Abdel Fattah al-Burhan im Oktober vergangenen Jahres den Ausnahmezustand verhängt und die Regierung abgesetzt, die nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Omar al-Baschir im April 2019 den Übergang zu demokratischen Wahlen hatte leiten sollen.

Im Sudan kommt es regelmäßig zu Massenprotesten, die das Militär genauso regelmäßig blutig niederschlägt
Im Sudan kommt es regelmäßig zu Massenprotesten, die das Militär genauso regelmäßig blutig niederschlägt Foto: AFP

General al-Burhan hatte erklärt, die Machtübernahme durch das Militär sei kein „Putsch“, sondern ziele darauf ab, die Ausrichtung der Übergangsherrschaft zu „korrigieren“. Wirklich abnehmen tut ihm das im Sudan niemand. Vielmehr kommt es seitdem regelmäßig zu Massenprotesten, gegen die das Militär oft gewaltsam vorgeht. Seit Beginn der Demonstrationen kamen Dutzende Menschen ums Leben.

Somalia kann wohl getrost als Mutter aller Failed States in der Sahel-Zone bezeichnet werden. Das Land am Horn von Afrika steckt seit 1988 in einem blutigen Bürgerkrieg fest. Eine Zentralregierung, die diesen Namen verdient hätte, gibt es seit 1991 nicht mehr.

Mogadischu, die Hauptstadt Somalias, ist seit Jahren vom Terror gezeichnet
Mogadischu, die Hauptstadt Somalias, ist seit Jahren vom Terror gezeichnet Foto: AFP

Die Hauptstadt Mogadischu ist weiter umkämpft und es kommt immer wieder zu Terroranschlägen. Aus Somalia in See stechende Piraten machen seit Jahren den Golf von Aden und Teile des Indischen Ozeans unsicher. Luxemburg finanziert zwei Flugzeuge zur Luftraumüberwachung der Europäischen Union in der Region.