Donnerstag20. November 2025

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WirtschaftHunderte Jobs bei Amazon in Gefahr – Luxemburg droht ein Sozialplan von historischem Ausmaß

Wirtschaft / Hunderte Jobs bei Amazon in Gefahr – Luxemburg droht ein Sozialplan von historischem Ausmaß
Vor einem Gebäude von Amazon auf Kirchberg Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Nachdem der US-Internetkonzern Amazon Ende Oktober angekündigt hatte, weltweit tausende Jobs in der Verwaltung abbauen zu wollen, werden nun die Folgen für Luxemburg absehbar. Weit mehr als 400 Angestellte könnten betroffen sein. Damit riskiert der Fall zu einem der größten Sozialpläne der letzten Jahrzehnte zu werden. Für Premier Luc Frieden kommt die Nachricht zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Amazon zählt zu den größten Arbeitgebern des Landes.

Dass der Internetkonzern Amazon weltweit Jobs abbauen will, ist seit einigen Wochen bekannt. Dass auch Luxemburg davon betroffen sein wird, war ebenfalls kein Geheimnis. Am Mittwochmorgen sorgte nun jedoch eine von RTL veröffentlichte Zahl für einen Schock. Laut dem Bericht könnten bis zu 470 Arbeitsplätze verloren gehen. Das wäre mehr als jeder zehnte Angestellte bei der Unternehmensgruppe hierzulande. Bisher war man von einem Abbau von 100 Arbeitsplätzen ausgegangen.

Hintergrund ist, dass der Konzern, laut eigenen Angaben von Ende Oktober, weltweit 14.000 Jobs in der Verwaltung streichen will. Laut den Berichten versucht das Unternehmen, dem es finanziell eigentlich sehr gut geht, sich unter anderem wegen des Vormarschs der Künstlichen Intelligenz schlanker aufzustellen. Gleichzeitig unterstreicht Amazon, dass neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen geschaffen würden. Weltweit zählt der Konzern rund 1,5 Millionen Angestellte – 350.000 in der Verwaltung.

In Luxemburg ist Amazon seit mehr als 20 Jahren präsent: Als der Konzern 2003 begann, sich für das Großherzogtum zu interessieren, war die Zeit noch eine andere. Steuerliche Überlegungen spielten eine wesentliche Rolle. Interessant für den Konzern machten das Land damals zwei Regelungen: Einerseits diejenige, die es erlaubte, dass die mit geistigem Eigentum erwirtschaftete Einkünfte niedrig besteuert wurden, und andererseits der anzuwendende Mehrwertsteuersatz, der zu den niedrigsten in Europa zählte. Für Luxemburg war der Zuzug von Amazon wie eine Lizenz zum Gelddrucken.

Eine bemerkenswerte Entwicklung

Das ist jedoch längst Geschichte. Die beiden attraktiven Regelungen wurden zwischenzeitlich – auf Druck der größeren EU-Länder – abgeschafft. Doch während Gruppen wie Apple daraufhin Unternehmensbereiche von Luxemburg nach Irland verlegten, ist Amazon geblieben und gewachsen: Ende 2005 zählte der US-Konzern nur ein Dutzend Mitarbeiter. Bis 2012 waren es bereits 300.

Langsam, aber sicher arbeitete sich Amazon derweil im Ranking der größten privaten Arbeitgeber des Landes nach oben. Mit 2.760 Mitarbeitern hatte man es Anfang 2020 auf den zehnten Platz geschafft. 2022 kletterte der Internetkonzern mit 3.960 Mitarbeitern auf den fünften Platz und überholte den Stahlhersteller ArcelorMittal, der jahrzehntelang an der Spitze dieses Rankings gestanden hatte. Heute, 2025, gilt der Konzern mit seinen rund 4.250 Mitarbeitern als viertgrößter Arbeitgeber des Landes.

Dabei ist Luxemburg ein wohl eher ungewöhnlicher Standort für den Online-Marktplatz. Obwohl sich das Land gerne als Logistikzentrum sieht, betreibt Amazon von hier aus keinen Vertrieb und keine Lagerhallen. Die vielen Mitarbeiter sind hierzulande in „Europazentrale-Funktionen“ tätig. Dazu zählen sehr unterschiedliche Bereiche wie etwa Softwareentwicklung, Engineering, Account-Management, Data-Science, maschinelles Lernen, Produkt- und Programm-Management, Cloud-Entwicklung oder Lösungsarchitektur. Und es sind eben gerade diese Bereiche, die nun von einem Jobabbau betroffen sind.

Ob nun wirklich bis zu 470 Arbeitsplätze bei Amazon in Luxemburg in Gefahr sind, bleibt unklar. Das Unternehmen hat noch keine offizielle Mitteilung ausgegeben. Es hebt aber hervor, dass RTL – vor der Veröffentlichung des Berichts – nicht mit ihnen geredet habe. Klar ist nur, dass am Dienstag ein Treffen der Geschäftsführung mit der Personalvertretung stattgefunden hat. In diesen Gesprächen ging es darum, ein Startdatum für Verhandlungen für einen Sozialplan festzulegen. Den Personalvertretern wurde wohl eine Zahl genannt, die aber vertraulich bleiben wird, bis der diesbezüglich offizielle Brief, wie gesetzlich vorgesehen, beim Arbeitsamt Adem eingeht.

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Peinliches Timing für Luc Frieden

Auch bei der Gewerkschaft OGBL will man noch keine Zahl nennen. Gewerkschafterin Isabel Scott bestätigt jedoch, dass es bereits Gespräche gab. Der Inhalt bleibe aber so lange vertraulich, bis der offizielle Brief raus ist. „Ein sehr ungemütlicher Moment“, hebt sie hervor. „Wir warten. Wir sind in den Startlöchern.“ Sie ist aber überzeugt, dass jetzt alles schnell gehen wird. „Es wird wohl nicht lange dauern.“

Besonders für die Mitarbeiter ist es eine unangenehme Zeit. Bis zum Abschluss der Verhandlungen, die maximal 15 Tage dauern dürfen, weiß nämlich niemand, ob er betroffen ist oder nicht. Hinzu kommt, dass während der Verhandlungen versucht werden wird, die Zahl der anfangs angekündigten Jobverluste zu verringern, etwa durch Umschulungen, interne Versetzungen oder Frühpensionierungen. Im Rahmen von Verhandlungen kann sich die Zahl also verringern.

Für Premierminister Luc Frieden ist es ein peinliches Timing. Erst vergangene Woche war er auf einer Dienstreise in den USA, also nach der Ankündigung des Jobabbaus. Hier traf er sich unter anderem mit Vertretern der Geschäftsführung des Internetkonzerns. „Amazon ist ein wichtiger Partner für Luxemburg – einer unserer größten Arbeitgeber, ein Eckpfeiler unserer Wirtschaft und eine treibende Kraft für Innovationen“, hob er zum Abschluss seiner Reise auf mehreren sozialen Netzwerken hervor.

Die Abgeordnete Sam Tanson von „déi gréng“ veranlasste dies am Mittwoch, eine „question parlementaire urgente“ einzureichen. Sie will wissen, ob der Premierminister, der im Parlament eine positive Bilanz der Reise gezogen hat, Bescheid über die hohe Zahl des Jobabbaus wusste, und was er dagegen unternehmen will. Auf ähnliche Fragen, die das Tageblatt ihm am Mittwochvormittag gestellt hat, hat Frieden bis Redaktionsschluss keine Antwort gegeben.

Bleibt noch zu erwähnen, dass es nicht das erste Mal ist, dass Amazon in Luxemburg Jobs abbaut. Auch im Jahr 2023 gab es bereits eine weltweite Welle von Entlassungen, von der schlussendlich auch Angestellte in Luxemburg betroffen waren. Damals gab es jedoch noch keine gewerkschaftsgebundene Personalvertretung in der Unternehmensgruppe, und dementsprechend auch nur wenig Informationen. Das hat sich dann bei den Sozialwahlen 2024 geändert.

Standort nicht in Frage gestellt

An Luxemburg als Standort für den Europasitz des Konzerns wolle man aber weiterhin festhalten, war von Unternehmensseite zu erfahren. Die Beziehungen mit der Regierung seien gut. Abbauen wolle man nur Menschen mit Qualifikationen, die man nicht mehr benötige – gleichzeitig wolle man aber auch neues Personal einstellen, etwa Spezialisten für KI.

Sollte sich die von RTL genannte Zahl jedoch bestätigen, dann würde dem Land ein selten großer Sozialplan bevorstehen. Bei den meisten Sozialplänen handelt es sich um 50 bis 200 Personen, wie in den letzten Jahren beispielsweise bei ING, JP Morgan, RTL oder SES. Um ähnlich große Pläne für Massenentlassungen zu sehen, muss man bis 2020/21 zurückblicken. Damals hatte ArcelorMittal angekündigt, 578 Arbeitsplätze, etwa 15 Prozent der gesamten Belegschaft in Luxemburg, abbauen zu wollen. Durch das Tripartite-Abkommen „LUX 2025“ konnte ein klassischer Sozialplan mit harten Entlassungen jedoch vermieden werden.

Insgesamt zeigen sich im vorliegenden Fall die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA. Während in den USA Jobkürzungen oft schneller und radikaler umgesetzt werden, sorgt das luxemburgische Arbeitsrecht für mehr Schutz und Verhandlungsmöglichkeiten. „Es ist gut, dass es hier eine starke Arbeitsgesetzgebung gibt“, sagt ein Mitarbeiter.