Kaleidoskop-TheaterHerrlich absurd – Die Inszenierung „Glückliche Tage“ wird dem Esprit von Samuel Beckett gerecht

Kaleidoskop-Theater / Herrlich absurd – Die Inszenierung „Glückliche Tage“ wird dem Esprit von Samuel Beckett gerecht
Winnie (Jean-Paul Maes) hat zu tief in den schwarzen Sack gegriffen. Heraus befördert sie einen Revolver, der bei ihr eine Welle heftiger Emotionen auslöst. Foto: Bohumil Kostohryz

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Das Kaleidoskop-Theater hat das berühmte Stück „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett am Wochenende zuletzt inszeniert. Den Grundgedanken des Absurden Theaters trug die gelungene Darbietung Rechnung.

„Glückliche Tage“ (im Original: „Happy Days“) ist wohl neben „Warten auf Godot“ und „Endspiel“ das meistgespielte Stück des Literatur-Nobelpreisträgers Samuel Beckett. Der Ire hat sich zeitlebens dem Absurden Theater, einer im 20. Jahrhundert entstandenen dramatischen Strömung, verschrieben. Dessen Kernbotschaft lautet: Dem Leben haftet kein Sinn an, es gibt nichts Metaphysisches, das die zufällige Alltagswelt überragt und sie in einen größeren Kontext einordnet. Kein Gott, kein lenkendes Universum, keine höhere Gewalt, die dem Menschen zwar vielleicht ein schwieriges Schicksal auferlegt, ihn im Tausch aber von der Verantwortung entbindet, einer nicht-intentionalen und kontingenten Wirklichkeit auf eigene Faust eine Bedeutung abringen zu müssen.

Durch eine derart entkernte Welt, in der nichts so sein muss, wie es ist, bewegt sich der Mensch wie ein Schlafwandler. Orientierungslos und von nicht hinterfragten, ebenso arbiträren Impulsen geleitet, fristet der Mensch ein verkümmertes Dasein ohne Telos, ohne Zielrichtung und finalen Zweck. Eben das verhandelt Beckett in „Glückliche Tage“ – natürlich mit einem feinen Sinn für Humor und einem Gespür für das Raffiniert-Groteske. Den Klassiker brachte am vergangenen Wochenende das Kaleidoskop-Theater auf die Bühne, ganz in geistiger Übereinstimmung mit der grandiosen Textgrundlage.

Kein Plot, dafür aber viele Worte

Das Drama kommt mit nur zwei Figuren aus. Damit ist die Mindestanzahl an Gesprächsteilnehmern für einen Dialog erreicht, obschon wahrlich nicht viel dialogisiert wird in „Glückliche Tage“. Getragen wird das Stück von dem Ehepaar Winnie und Willie, wobei die ältere Dame Winnie fast die ganze Redezeit für sich beansprucht. Ganz nach den aristotelischen Prinzipien ereignet sich die Handlung an einem einzigen Tag und an einem einzigen Ort. Darüber, ob die dritte Einheit, nämlich die der Handlung, berücksichtigt wird, lässt sich vermutlich streiten – denn eigentlich verzichtet „Glückliche Tage“ auf einen sichtbaren, auf einen Endpunkt zulaufenden Plot.


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Bis auf wenige Einsätze von Willie erschöpft sich das Tun auf der Bühne darin, dass Winnie darüber spricht, wie wunderbar dieser Tag doch sei. Sie versucht, ihrem Ehemann mit verschiedenen Fragen und Kommentaren eine Reaktion zu entlocken und die quälende Monotonie der Stunden mit zerstreuten Beobachtungen, müßiger Plauderei und Schwärmereien sowie einigen mageren Erinnerungen zu verscheuchen. Dabei wird sie immer wieder heimgesucht von Gefühlsepisoden, in denen der Schutzwall aus manischer Erregung und Regression ins Oberflächlich-Banale durchstoßen wird und sich nackte Verzweiflung und existenzielle Verunsicherung breitmachen. Dann hält sich Winnie, hervorragend gespielt von Jean Paul-Maes, plötzlich eine Waffe an ihre Schläfe und starrt mit weit aufgerissenen Augen ins Leere. Dann aber fängt sie sich wieder mit den Worten: „Es wird ein wunderbarer Tag gewesen sein, trotz allem.“

Willie (Claude Faber) bekommt man im ersten Teil des Stückes kaum zu Gesicht. Hören tut man Winnies Ehemann aber sehr wohl.
Willie (Claude Faber) bekommt man im ersten Teil des Stückes kaum zu Gesicht. Hören tut man Winnies Ehemann aber sehr wohl. Foto: Bohumil Kostohryz

Auch Willie, eindrucksvoll gespielt von Claude Faber, könnte man wohlwollend als komischen Kauz bezeichnen. Im ersten Teil des Stückes befindet er sich auf einer tiefer gelegenen Ebene der Bühne, die nicht einsehbar für das Publikum ist. Nur punktuell taucht er, da sich das Paar in direkter Nähe zum Meer befindet, in doppeltem Sinne auf – ausgestattet mit Schnorchel, Taucherbrille und Schwimmflügel. Er liest mit verzerrter Stimme und lupenreinem Bösewicht-Gelächter willkürlich ausgewählte Schlagzeilen vor und gibt abgesehen davon fast ausschließlich tierische Laute von sich. Durch sein bizarr-animalisches Gebären führt er das groteske Element in das Stück ein und treibt seine Unsinnigkeit damit auf die Spitze.

I’m a Barbie Girl …

Die Inszenierung des Kaleidoskop-Theaters unter der Leitung von Florian Hackspiel birgt nun einige Überraschungen. Diese betreffen vor allem die Bühnengesaltung und -dekoration, für die Thomas Mörschbauer zuständig war. So sitzt Winnie nicht, wie der Original-Text vorsieht, auf einem Sandhügel, in den sie langsam einsinkt, sondern auf einer Plastikinsel mit schmalstämmigen Palmen. Die schön glänzende, kindlich-paradiesische Welt des Scheins, in die sich Winnie flüchtet, bekommt so eine konkrete Gestalt.

Man wird durch die Ausstattung nicht nur an den penetranten wie wunderbar entlarvenden und thematisch passenden Aqua-Song „Barbie Girl“ erinnert, sondern es wird einem auch – da Winnie mehrmals von der Hitze und der gleißenden Sonne spricht – auf schmerzhafte Weise die menschenverschuldete Klimakrise ins Gedächtnis gerufen. Als Thema ist diese nicht in der Original-Fassung von „Glückliche Tage“ angelegt und auch hier wird sie nur als Assoziation aufgerufen. Nichtsdestotrotz zeigt dieser glückliche Griff hinsichtlich des Bühnendekors, dass sich Theaterstücke durch geschickte Vorführungen immer wieder mit neuen, aktuellen Bedeutungen anreichern lassen. Vor der Bühne drapiert liegen zudem – die Themen des Stücks motivisch aufgreifend – ein aufgeblasener Plastikglobus, ein nicht funktionierender Wecker und eine Rose unter einer Glasglocke. Dieses Detail ist ein Leckerbissen für den aufmerksamen Zuschauer.

Durch eine buchstäbliche Wendung der Szene sehen die Zuschauer das, was sich am Ende des Stückes hinter Winnies Rücken abspielt
Durch eine buchstäbliche Wendung der Szene sehen die Zuschauer das, was sich am Ende des Stückes hinter Winnies Rücken abspielt Foto: Bohumil Kostohryz

Einen wortwörtlichen Twist hält die Inszenierung des Kaleidoskop-Theaters für den zweiten Teil des Stücks parat: Der Vorhang öffnet sich und man erblickt den Teil der Bühne, der vorher verdeckt war. Durch diese 180-Grad-Drehung kehrt Winnie dem Publikum den Rücken zu, während man freie Sicht auf Willie genießt. Der scheint genug vom Schwimmen zu haben und zieht sich nun, nach einer ordentlichen Rasur, Anzug und Krawatte an – bevor er, laut knurrend, auf allen Vieren und mit Hutkrempe im Mund auf Winnie zukriecht. Dass man, während sich Willie ankleidet, seine Reaktionen auf Winnies Gebrabbel sehen kann, macht ihn ein Stück weit nahbarer und menschlicher, schmälert aber zeitweise das Groteske seiner Performance. Ob das im Sinne von „Glückliche Tage“ ist, erscheint diskutabel – so oder so schafft es aber die Inszenierung des Kaleidoskop-Theaters, die Grundideen des Absurden Theaters hochzuhalten. So wird es ein glücklicher Tag gewesen sein, trotz allem.


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