Gleiches Szenario, gleiche Stelle: Flüchtlinge reisen in ungarischem Lkw-Anhänger nach Luxemburg ein

Gleiches Szenario, gleiche Stelle: Flüchtlinge reisen in ungarischem Lkw-Anhänger nach Luxemburg ein
Foto: Didier Sylvestre

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Auf dem Gelände der Firma „Muller Pneus“ in Grass nahe der belgischen Grenze gelegen, spielten sich am Dienstag dramatische Szenen ab – erneut: Bereits vor vier Wochen hatten Flüchtlinge per Lkw-Anhänger aus Ungarn versucht, nach Luxemburg einzureisen. 

„Ein Kopf lugte aus der Tür hervor. Ich war total erschrocken. Ich habe die Tür dann schnell wieder geschlossen“, erzählt uns jener Mitarbeiter, der die Tür des Lkw-Anhängers geöffnet hatte. Davor hatte er wie üblich die Siegel überprüft. Die waren allesamt intakt. Ihre Kennnummern stimmten zudem mit den Frachtpapieren überein. Namentlich genannt werden will er nicht und auch nicht aufs Foto. „Nennen Sie mich einfach Charel“, sagt der Mann weiter, der das eben Erlebte erst einmal verdauen muss. „Mittlerweile öffnen wir die Lkw-Anhänger aus Ungarn nämlich stets mit äußerster Vorsicht. Kein Wunder mit all dem, was sich bei uns hier in den letzten Wochen bereits abgespielt hat.“

Es war so gegen 11.30 Uhr, als ein aus Ungarn kommender Lkw voll beladen mit „Hankook“-Reifen auf das Grundstück der Firma „Muller Pneus“ in Grass fuhr. Der südkoreanische Reifenhersteller betreibt im ungarischen Rácalmás, rund 60 Kilometer von der Hauptstadt Budapest entfernt, eine Produktionsanlage, die 2007 eröffnet wurde. Um den steigenden Bedarf des europäischen Markts an Lkw- und Busreifen zu decken, wird Hankook 290 Millionen Euro in die Erweiterung des Werkes investieren.

Zurück nach Grass: Fast jeden Tag kommt eine solche Fuhre Reifen hier an der Zweigstelle von „Muller Pneus“ an. Eigentlich ist es pure Routine. Bis gestern. Denn gestern ereignete sich das gleiche Szenario wie am vergangenen 28. August, als etwa 20 Flüchtlinge aus einem ebenfalls aus Ungarn kommenden Lkw stiegen, der mit Reifen des gleichen Herstellers beladen war (Tageblatt vom 29. und 30. August).

Eigentlich ein Wunder

Nachdem der Mitarbeiter die Tür wieder geschlossen hatte, wurde ein Gabelstapler davorgestellt. Sicherheitshalber, denn die Flüchtlinge versuchten die Tür aufzubekommen. Sie stemmten sich dagegen. Mit aller Kraft. Kein Wunder nach der stundenlangen Fahrt in dem stickigen Anhänger. Im Innern riecht es eklig nach Gummi. Und Platz gibt es kaum. Es kommt einem Wunder gleich, dass keiner der zwölf Männer verletzt oder ums Leben kam auf dieser Reise in eine ungewisse Zukunft. Die Reifen sind nämlich alles andere als gestapelt. Sie liegen lose in dem Lkw, und das bis unter die Decke. Man fragt sich unweigerlich, wie die Insassen die Fahrt überhaupt überstehen konnten. Haben sie zwischen den Reifen gekauert oder gar in den Reifen gehockt?

Die Mitarbeiter der Firma alarmierten umgehend die Polizei, die nur kurze Zeit später da war. Die Tür des Lkws wurde geöffnet und die Beamten nahmen elf Männer in Empfang. Ihnen wurden Handschellen angelegt und Kabelbinder.

Als das Tageblatt an Ort und Stelle ist, sitzen die Männer in Reih und Glied auf dem Boden. Die Beamten haben mittlerweile den Lkw-Anhänger durchforstet. Zutage kommen Flaschen mit Mineralwasser und mit einer dunkelgelben Flüssigkeit. Urin. Kontrolliert und sichergestellt wurde auch das „Gepäck“. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Taschen und Schlafsäcke.

„Wir haben versucht festzustellen, von wo die Männer kommen“, erzählt uns einer der Beamten. Laut eigenen Angaben handele es sich um Iraker, die auf diesem Weg beabsichtigten, nach England zu gelangen. Eine Person konnte flüchten, da sie sofort, nachdem der Angestellte die Tür des Lkws geöffnet hatte, heraussprang.

Am 28. August hingegen gelang allen die Flucht. Trotz sofort eingeleiteter Fahndung mit dem Polizeihubschrauber bleiben die rund 20 Personen wie vom Erdboden verschluckt.
Die Polizeibeamten aus Steinfort und Capellen, die von ihren Kollegen aus Petingen Unterstützung erhielten, versuchen die Lage zu beruhigen. Wobei: Es gibt weder Hektik noch Stress. Alles verläuft ruhig, fast so, als wäre es Routine für die Polizisten.

Wie oft sie mit solchen Situationen konfrontiert werden? „Regelmäßig“, antwortet einer der Beamten unmissverständlich. Wir haken nach. Ein oder zwei Mal pro Woche? „Ich bin nicht befugt, Ihnen darauf eine Antwort zu geben“, sagt er. Dafür sei die Pressestelle der „Police grand-ducale“ zuständig. Die veröffentlichte gestern Nachmittag eine fünf Zeilen lange Pressemitteilung über den Vorfall in Grass. Die Pressestelle der Polizei spricht in dem Zusammenhang von „illegalen Einwanderern“ und von elf Männern, „die um die Mitte 20“ sind.

Mittlerweile versucht einer seiner Kollegen, sich mit dem Lkw-Fahrer aus Ungarn zu unterhalten. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn der Fahrer spricht weder Deutsch, noch Englisch noch Französisch. Anhand eines Telefonats mit einem seit langen Jahren in Luxemburg lebenden Ungarn, der sich mit dem Fahrer unterhält, bringen wir Folgendes in Erfahrung: Der Fahrer habe nicht gewusst, dass sich Flüchtlinge im Lkw befinden. Er ist zudem sehr erstaunt und stellt sich viele Fragen, zumal der Lkw an der Grenze gescannt bzw. geröntgt worden sei. Der Fahrer macht sich Sorgen. Er hat Angst, in etwas hineingezogen zu werden. Zudem weiß er nicht, wie lange das Verhör dauern wird, zu dem ihn die Beamten mit auf die Polizeidienststelle nehmen werden. Seinen Chef hat er auf alle Fälle mal informiert.

Flucht für 30.000 Dollar 

Die elf Flüchtlinge sitzen mittlerweile in den Polizei-Transportern. Einer von ihnen spricht ein paar Brocken Englisch: 30.000 Dollar habe er für seine Flucht bezahlt. Er sei Iraker oder genauer gesagt Kurde. Die Autonome Region Kurdistan ist ein autonomes Gebiet des Irak. Auf die Frage, wie lange die Fahrt im Lkw gedauert hat, sagt er: zwei Tage. Er hat dunkle Ringe unter den Augen und sieht erschöpft aus. Genau wie die anderen.
Kurze Zeit später werden die elf Männer zur Erstaufnahme-Einrichtung des Außenministeriums gebracht. Der Spuk, der knapp zwei Stunden gedauert hat, ist vorbei. Die Mitarbeiter von „Muller Pneus“ nehmen ihre Arbeit wieder auf. In der Gewerbezone in Grass kehrt langsam, aber sicher der Alltag wieder ein. „Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis wir erneut ein solches Szenario erleben werden. Und ich frage mich auch, wie oft dies bei anderen Firmen passiert, die ebenfalls aus Ungarn mit Gütern und Materialien beliefert werden“, sagt einer der Mitarbeiter. Und dem ist an und für sich nichts mehr hinzuzufügen.


Das sollten Sie über Migration wissen

Es gibt mehrere Formen von Migration nach Europa. Die meisten Migranten und Asylbewerber haben in Griechenland und Italien erstmals den Boden der EU betreten. Gemäß der „Dublin“-Regeln müssten sie dort also auch das Asylverfahren durchlaufen. Von Griechenland sind in der Vergangenheit viele auf der Balkan-Route weiter nach Ungarn und in andere EU-Staaten gereist. Dies führte zu ihrer Schließung.

Es kam zu heftigem Streit zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, wie mit Asylbewerbern umgegangen werden sollte. Die Staaten peitschten schließlich eine sogenannte Flüchtlingsquote durch. So wurde die Umverteilung von Personen, die schon in einem Dublin-Land registriert waren und dort ein Asylgesuch gestellt haben, in ein anderes Land beschlossen. So werden zum Beispiel Asylbewerber von Italien nach Luxemburg umgesiedelt, die im Großherzogtum ihr Asylverfahren durchlaufen. Diese Umverteilungspolitik („relocation“) sollte vor allem Griechenland und Italien entlasten. Es fehlt jedoch an Solidarität.

Griechenland und Italien wurden bisher nur wenige der versprochenen 160.000 Flüchtlinge abgenommen. Dies führt unter anderem dazu, dass viele Menschen sich aus Eigeninitiative auf den Weg machen, um in ein anderes Land zu gelangen.

Neben der „Relocation“-Politik kommt auch die „Resettlement“-Politik zum Zuge: Der Begriff „Resettlement“ oder Neuansiedlung bedeutet, dass schutzbedürftige Menschen von Flüchtlingslagern außerhalb Europas in die EU gebracht werden. Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, 20.000 Menschen aus den Lagern rund um Syrien aufzunehmen. Neben der „Resettlement“- und „Relocation“-Politik ist zudem der umstrittene Türkei-Deal mittlerweile in Kraft getreten. Im Zentrum des Flüchtlingspakts von EU und Türkei steht ein Tauschhandel: Die EU schickt Migranten, die griechische Inseln erreichen, zurück in die Türkei. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer aus der Türkei legal in die EU einreisen. So könnten bis zu 72.000 Menschen Aufnahme in Europa finden. Könnten …

Auch die Trennschärfe der Begriffe ist oft im Alltagsgebrauch nicht gegeben. Dabei zieht das Völkerrecht eine klare Trennlinie:

  • Menschen, die zur Flucht gezwungen sind, werden im Rahmen von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention als „Flüchtlinge“ bezeichnet. Das Zusatzprotokoll der Konvention gilt für Menschen aus aller Welt.
  • Menschen, die aus eigenem Antrieb ihr Land verlassen, gelten als „Migranten“.
  • Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, über den noch nicht entschieden wurde, werden als „Asylbewerber“ bezeichnet. Nicht jeder Asylbewerber ist also ein Flüchtling. Beide Begriffe werden oft vermengt. sab.
Realist
27. September 2018 - 8.24

Et ass also de CIA, dee Faassbommen gehait an dausende Leit am Saydnaya-Prisong dout gefoltert huet…? Bei deem wat mer haut iwwer de Regime vum Assad wëssen, wier et vläit besser gewiescht, de CIA hätt 1986 méi Succès gehaat, mengt Dir net och?

De Meckerfritz
27. September 2018 - 6.10

An Syrien as dat net den Fall gewiecht... Frot mol den CIA den do seit 1986 do operéiert fir Regierung ze stiertze.... An net nëmme an Syrien... https://t.co/dMpgxpwKtI

duscholux
27. September 2018 - 1.57

"Bereits vor vier Wochen hatten Flüchtlinge per Lkw-Anhänger aus Ungarn versucht, nach Luxemburg einzureisen." Wenn das so ist, sollte die Firma besser vorbereitet sein, als die Tür wieder zu schliessen und einen Gabelstapler davor zu stellen. Scheint mir nicht nr unmenschlich sondern auch wider den gesunden Menschenverstand gehandelt.

Nomi
26. September 2018 - 11.59

Wann di Firma elo der Police matdeelt wei'ni den naechste Camion unkennt, kann d'Police schons dohinner fuhren fir se direct an Empfang ze huelen !

Realist
26. September 2018 - 11.50

An éischter Linn di herrschend Cliquen an de jeweilege Länner, géif ech mol soen. Oder net?

Grober J-P.
26. September 2018 - 10.30

Die Siegel waren intakt, der ungarische Zoll verdient also auch! Das wird den Orban aber freuen, Kriminelle überall wo man hinschaut.

Jack Daniel
26. September 2018 - 10.27

Das ist ein schönes Taschengeld für den Transporteur Fahrer die stecken allen unter selben Decke. Die nehmen die doch nicht gratis mit ! und Ungarn will die los werden Es sollten Strafen auf solche Aktionen sein , dann würde der Fahrer sich das überlegen , was besser ist .

welcome
26. September 2018 - 9.23

Die wollen nicht nach England, nein die haben die Botschaft verstanden

Marc
26. September 2018 - 8.24

Wien suergt fir den Misère an all denen Länner, wen verkéft Waffen, suergt fir Streit? Wen ennergriewt all wirtschaftlech Entwecklung, wen déstabiliséiert des Länner permanent?