„Seltene Einigkeit: Am Dienstagmorgen verlassen OGBL, LCGB und CGFP geschlossen eine Sitzung von Arbeitsminister Georges Mischo (CSV). Der Grund: fehlende Verhandlungsbereitschaft. Die Gewerkschaften befürchten eine Lockerung des Kollektivvertragsgesetzes.“ Mit diesen Worten hat das Tageblatt am 9. Oktober die Geschehnisse des Vortages resümiert. Am 8. Oktober haben die drei Gewerkschaften die Sitzung des „Conseil permanent du travail et de l’emploi“ (CPTE) verlassen und eine Lawine an Ereignissen losgetreten, die sie zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten hätten.
Acht Monate später ist aus der „seltenen Einigkeit“ nämlich eine geschlossene Gewerkschaftsfront aus OGBL und LCGB herangewachsen, die am 28. Juni gegen die Regierungspolitik von Frieden, Mischo, Delles, Deprez und Co. demonstriert. Standen ursprünglich vor allem die Kollektivverträge im Zentrum des Dissenses zwischen Salariatsvertretern und Regierung, haben sich die Streitpunkte mittlerweile auf Sonntagsarbeit, Öffnungszeiten im Handel, Mindestlohn und – allen voran – die geplante Rentenreform ausgeweitet. Jüngste Umfrageergebnisse zeigen zudem: Die oft zitierte „Stoßrichtung“ der Regierung könnte demnächst Korrekturen erfahren, wenn sie die Gunst der Wähler nicht gänzlich verspielen will.
Anliegen der Gewerkschaften
Der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Regierung kann im Koalitionsvertrag von CSV und DP verortet werden. „Es handelt sich um ein liberales bis ultraliberales Programm“, erklärt OGBL-Präsidentin Nora Back im November 2023. Etliches sei einfach vom Patronat übernommen worden. Arbeitsrecht, Kollektivverträge, Mindestlohn: Bereits damals warnte Back vor einem „kalten liberal-konservativen Wind“.

Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) wagte im Sommer 2024 per Interview einen ersten Vorstoß. Er könne sich vorstellen, dass Kollektivverträge ohne Gewerkschaften ausgehandelt werden könnten. Bis Ende 2024 wolle er einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Eine Deadline, die Georges Mischo letzten Endes nicht einhalten wird. Doch nicht nur das: Im CPTE vom 8. Oktober kommt es zum Eklat, als der Arbeitsminister den Gewerkschaften das exklusive Verhandlungsrecht für Kollektivverträge abermals nicht zusichert.
Es folgt ein politisches Hin und Her, das letztendlich in der Chamber seinen Höhepunkt findet. In der öffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 2024 hatte die Grünen-Abgeordnete Djuna Bernard eine Motion vorgelegt, in der – nach Änderungsvorschlägen der daraus resultierenden Diskussion – die Regierung dazu aufgefordert worden wäre, „à continuer à reconnaître le rôle exclusif des syndicats justifiant de représentativité nationale ou générale ou de la représentativité sectorielle dans la négociation et la signature de conventions collectives de travail“. DP-Fraktionschef Gilles Baum meinte daraufhin, dass seine Fraktion die Motion nur dann mitstimmen könnte, wenn das Wort „exclusif“ nicht in der Motion enthalten sei. Sowohl DP als auch CSV stimmten letztendlich gegen die Motion von Bernard, die ihrerseits darauf bestand, dass das Wort „exclusif“ in der Formulierung Bestand haben sollte. CSV und DP stellten sich somit klar gegen das exklusive Verhandlungsrecht der Gewerkschaften.
Eine Kehrtwende vollzogen CSV und DP nach einem kommunikationspolitischen Chaos auf Seiten der beiden Regierungsparteien, als sie am 21. Januar einer erneut eingebrachten, wortgleichen Motion zustimmten. Nachdem sich beide Parteien auf öffentlichen Druck (und klaren Aussagen führender Politiker aus den eigenen Fraktionsreihen) hin wohl genötigt sahen, die Exklusivität der Gewerkschaften anzuerkennen, spielt die Regierung Frieden derzeit mit dem Gedanken, zentrale inhaltliche Punkte aus den Kollektivverträgen herauszunehmen, um die den Gewerkschaften zur Verfügung stehende Verhandlungsmasse zu schwächen.
CSV-internes Chaos
Gegenwind haben Mischo, Frieden und Co jedoch nicht nur von den Gewerkschaften erhalten. Insbesondere Marc Spautz, CSV-Fraktionssprecher und ehemaliger LCGB-Gewerkschafter, gilt als zentrale Widerstandsfigur gegen den Liberalisierungskurs von Frieden und Mischo. Spautz bekräftigte bereits mehrfach öffentlich, nicht von seinen Prinzipien abrücken zu wollen. Das wiederum hatte bereits mehrere mehr oder weniger subtile Ordnungsrufe von Premierminister und CSV-Parteichef Luc Frieden zur Folge – die allem Anschein nach jedoch wirkungslos verpufften.
Ob während der Budgetvorstellung, Orientierungsdebatte oder auf dem Parteikongress: Marc Spautz stellt sich bisher klar – „de Luc an de Georges kënnen sech kuerz d’Oueren zouhalen“ – gegen eine Generalisierung der Sonntagsarbeit aus und verweist immer wieder auf die historische und aktuelle Bedeutung des Sozialdialoges hin.
Gründung der Gewerkschaftsfront
Die Gewerkschaften OGBL und LCGB nahmen ihrerseits das Heft in die eigene Hand und gründeten Ende Januar die „Gewerkschaftsfront“. Ein historischer Zusammenschluss, hatten beide Gewerkschaften erst wenige Monate zuvor noch um die Mehrheit in der „Chambre des salariés“ rivalisiert. Durch die „ständigen Attacken“ aber sähen sich die beiden Gewerkschaften dazu genötigt, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren.
Gleichzeitig verschärft sich auch der Ton: Auf den „Ein Rundumschlag der Regierung“ reagieren Back und Dury mit einer geschärften Rhetorik, von „sozialer Apartheid“ ist die Rede. Worte, die sich Regierungsvertreter am 1. Mai auf dem Fest des LCGB höchstpersönlich anhören müssen. Friedens Politik hat OGBL und LCGB fest zusammengeschweißt. Nach der Rede zur Lage der Nation meint LCGB-Präsident Patrick Dury gegenüber dem Tageblatt nach Anfrage auf eine Stellungnahme: „Nora [Back] ist komplett im Bilde und spricht für den OGBL und LCGB.“
Am Freitag kommt es zu einem weiteren Schritt in der Zusammenarbeit zwischen OGBL und LCGB. Dann geben die Gewerkschaften erste Details der gegründeten ASBL „Union des syndicats OGBL et LCGB“ bekannt. Dabei handelt es sich noch nicht um eine Fusion und eine daraus resultierende Einheitsgewerkschaft. Jedoch wird die bisher eher informelle Zusammenarbeit in der Gewerkschaftsfront somit institutionalisiert. Es dient vor allem organisatorischen Gründen: Ein gemeinsames Budget und Kommunikation sollen laut Nora Back im Zentrum der neuen Struktur stehen.
Schlichtungsversuch
Es war letztendlich der CEO persönlich, der sich dem Problem des kriselnden Sozialdialoges annahm. Nach einem Zusammentreffen der Gewerkschaftsvertreter Patrick Dury und Nora Back mit Premierminister Luc Frieden im Januar, brachte dieser die Idee eines Sozialtisches ins Spiel. Das Wort „Tripartite“ vermied Frieden ganz bewusst, dies sei ein Kriseninstrument. Mit Verweis auf die politische Instabilität der Nachbarländer, wollte Frieden selbst den Anschein einer Krise in Luxemburg vermeiden.
Der Sozialtisch aber verlief letzten Endes ohne konkrete Resultate, die die Gewerkschaften bei dessen Ankündigung gefordert hatten. Bei insgesamt drei Treffen blieb es demnach beim wiederholten Darlegen der Forderungen von Gewerkschaftsseite, ohne dass konkrete Fortschritte erfolgt seien. Für die Gewerkschaften zufriedenstellende Lösungsansätze von Regierungsseite wurden keine hervorgebracht.
Lage der Nation
Die Rede zur Lage der Nation war der bisher letzte Nagel, den Luc Frieden in den Sarg des Luxemburger Sozialdialogs eingehämmert hat. Mit seinen überraschenden Ankündigungen zur Rentenreform überraschte der Premier nicht nur seinen eigenen Koalitionspartner und Teile seiner eigenen Abgeordneten, sondern brüskierte auch die Gewerkschaften. Diese hatten in den Monaten zuvor im Rahmen der „schwätzmat“-Kampagne immer wieder von einer Alibi-Veranstaltung gesprochen – Befürchtungen, die mit Friedens Aussagen letzten Endes bestätigt wurden.
Doch nicht nur kommunikationstechnisch waren die Ankündigungen von Luc Frieden ein Fiasko. Auch aus politisch-strategischer Sicht war die Offenlegung erster Reformmaßnahmen ein Fehler. Nicht nur, dass die DP in Person ihrer Präsidentin Carole Hartmann gleich klarstellte, dass noch nichts feststehe. Auch goss der Premier damit einen Monat vor der angekündigten nationalen Demonstration unnötig Öl ins Feuer und öffnete den Gewerkschaften eine weitere Front gegen die Regierungspolitik. Konnte die Regierung (mithilfe des Patronats) die Gewerkschaftsvertreter bei dem Streitpunkt Kollektivvertrag ins „Motzeck“ stellen und die Liberalisierung der Arbeitszeiten als technisches Geplänkel abtun, war das Interesse und der Informationsgrad bei der Rentenreform durch die eigens geführte Infokampagne in der Bevölkerung sehr breit gefächert.
Politmonitor
Mit dem Resultat des Politmonitors ereilt die Regierung diese Woche ein erster Warnschuss, dem insbesondere Luc Frieden Aufmerksamkeit schenken dürfte. Der Premier stürzt in der Wählergunst um satte 10 Prozentpunkte ab, gilt als großer Verlierer der Umfrage. Marc Spautz und Laurent Mosar meinen im Tageblatt, dass dies sehr wohl nur eine Momentaufnahme sei. „Die Umfrage wurde nach dem ‚Etat de la nation’ und der anschließenden Debatte durchgeführt“, will Marc Spautz abwiegeln. Zudem erkennt der CV-Fraktionssprecher einen Abwärtstrend für die gesamte Politik, was weitaus problematischer sei. Nun ist aber gerade der „Etat de la nation“ die Möglichkeit des Premierministers, seine politische Vision für die kommenden Monate darzulegen. Derartige Ausfälle wie dieses Jahr hat es in der jüngeren Vergangenheit trotz aller Kritik seitens der Oppositionsparteien keine gegeben.

In der CSV ist man sich hinter vorgehaltener Hand wohl bewusst, dass das Chaos um die Rentenreform und die Art und Weise, wie einige Reformen vorgestellt wurden – ohne dass Koalitionspartner oder die eigene Fraktion konsultiert worden sind – Teil dieser (Ab-) Rechnung sind. In der DP wird man sich ebenfalls Fragen stellen, inwiefern man es innerhalb von zwölf Monaten geschafft hat, den Anteil an unzufriedenen Wählern zu verdoppeln. „Wir werden natürlich analysieren, woran es gelegen hat“, sagt Hartmann. Es sei eine Reaktion der eigenen Wählerschaft, die man ernst nehmen müsse, um künftig wieder zu überzeugen. „Ich denke, dass diese Umfrage relativ themenbezogen war, aus der wir unsere Lehren ziehen werden, was wir zukünftig besser machen wollen.“
Zudem erkennt eine Mehrheit der Befragten, dass die Regierung sehr wohl die Positionen des Patronats vertritt und weitaus weniger die der Arbeitnehmer
Eine Lehre können CSV und DP jetzt schon aus dem Politmonitor ziehen: Eine Mehrheit der Luxemburger ist gegen die angekündigten Rentenreformpläne der Regierung, 60 Prozent der Befragten befürworten die nationale Demonstration der Gewerkschaften. CSV- (39 Prozent pro Demonstration) und DP-Wähler (45 Prozent) sind in der Frage gespalten und stehen nicht geschlossen hinter dem Regierungskurs. Zudem erkennt eine Mehrheit der Befragten, dass die Regierung sehr wohl die Positionen des Patronats vertritt und weitaus weniger die der Arbeitnehmer. Denkanstöße, die neben dem Premier auch Wirtschaftsminister Lex Delles (DP) und Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) zu denken geben dürften, deren Umfragewerte ebenfalls absackten.
Ausblick
Nicht zuletzt durch die Diskussion rund um die „Stoßrichtung“ der Rentenreform versprechen sich die Gewerkschaften einen hohen Zulauf am 28. Juni. OGBL und LCGB mobilisierten in den vergangenen Wochen unentwegt in Industriezonen und auf Autobahnbrücken, um möglichst viele Protestler anzulocken. 10.000 bis 15.000 Menschen wolle man nach Luxemburg-Stadt bewegen, hieß es am 1. Mai des LCGB. Seitdem aber halten sich die Gewerkschaften mit möglichen Teilnehmerzahlen bedeckt. Schlussendlich will man sich nach der „Maniff“ nicht an einer zu hoch gelegten Erwartungshaltung messen lassen. Stattdessen haben die Gewerkschaften im Vorfeld ein klares Ziel benannt: Eine Tripartite muss her. „Wir werden uns nicht mehr auf eine informelle Tasse Kaffee treffen, um nachher wiederholt ohne Resultat dazustehen“, so der OGBL und LCGB nach der Rede zur Lage der Nation. Eine Tripartite, in der alle Krisendossiers der vergangenen Monate ausdiskutiert werden: Kollektivvertragsgesetzgebung, Steuern, Rentenreform, Öffnungszeiten und Liberalisierung der Sonntagarbeitszeit.
Dafür erhalten die Gewerkschaften Zuspruch aus Luxemburgs Zivilgesellschaft und anderen europäischen Gewerkschaftsverbänden. Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes hat ihre Präsenz am 28. Juni bereits bestätigt. Auch sollen einige Künstlerkollektive bereits mobilisiert haben, um an der nationalen Demonstration teilzunehmen. Die Oppositionsparteien LSAP, „déi gréng“, Piraten, „déi Lénk“ und die KPL haben ihre Teilnahme ebenfalls angekündigt, „déi Lénk“ mobilisieren ihre Sympathisanten mit dem Slogan „Stopp de Frieden“, um an der Manifestation teilzunehmen. Auch wurden den Gewerkschaftsleitungen einige „Special Acts“ entlang der Route von der Gare bis zum Knuedler angekündigt, andere zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse laden zu Schilderwerkstätten auf.
Selbst wenn der Politmonitor nur eine Momentaufnahme ist, ist dieser kurz vor dem 28. Juni sehr deutlich ausgefallen. Ob es in puncto politischer „Stoßrichtung“ der Regierung zu einer Kurskorrektur kommen könnte, schätzt CSV-Fraktionschef Marc Spautz folgendermaßen ein. „Ich bin mir sicher, dass wir mit den Sozialpartnern wieder zusammenfinden, egal ob das dann Dreierrunde oder Tripartite heißt“, so Spautz. Den Anfang könnte Sozialministerin Martine Deprez mit dem Gesetz zur Rentenreform machen. Wie das aussehen könnte? „Do spillt menger Meenung no manifestement mat, wéi vill Leit den 28. op der Strooss sinn.“
 
		    		 De Maart
                    De Maart
                
 
                               
                           
                           
                           
                           
                           
                           
                          
Ech haalen net vill vun den Gewerkschaften. Et sinn der wei' Enuchen : Sie wessen wei' et geht mee sie kennen et net !
Bei esou enger Regierung an an desen Zéiten gin et net vill Méiglechkeeten. Hir Aktiounen si komplett richteg a justifiéiert.
Déi Zéiten wou vill Lounempfänger vir domm gehale gi sin si längst eriwer. Den 28. Juni soll net emsoss gewiescht sin !!!
Déi jonk Generatioun muss endlech erwächen! Déi Rechter, déi mir haut hunn – d’40-Stonne-Woch, de Mindestloun, Congéen, Sécherheet op der Aarbecht – sinn net vum Staat geschenkt ginn. Si goufen eis vun eisen Elteren a Grousselteren mat vill Courage an duerch haarden, solidaresche Kampf erkämpft. Streiken, Opstoen, sech géint d’Kapital stellen – dat huet Gefaangenschaft, Gewalt a souguer den Doud fir e puer bedeit. D’Gewerkschaften hunn net nëmme verhandelt – si hunn gekämpft!
Ouni si wiere mir nach ëmmer déi bëlleg Knecht vun der Industrie an déi kleng Rieder am Giermaschinn vun de Räichen. Eist Lëtzebuerg wier keng Demokratie vum Wuelstand, mee eng Diktatur vum Profit.
Mee wat gesäit een haut? Eng Generatioun vu Beamten an Employéen, déi mengt, alles wier selbstverständlech. Si vergiessen, datt de Kapitalismus nëmme respektéiert, wat sech weert. Ouni Drock, keng Rechter. Ouni Widderstand, keng Zukunft.
Dofir: Maacht de Mond op! Organiséiert iech! Gitt op d'Strooss wann et muss sinn! Well wa mir näischt maachen, dann huele si eis lues a lues alles nees ewech – an da steet kee méi fir eis op.
Solidaritéit ass net Nostalgie – et ass eng Waff. Et ass Zäit, se nees ze zéien.
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Zu hoffen dass am 28 Juni die Gewerkschaften der Regierung sagen können wo es ang geht, villeicht begreift dann Luc und sein Spießgeselle Mischo dann endlich..