Montag17. November 2025

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Inklusive Finanzen„Gerade jetzt lohnt es sich, zu helfen“ – Luxemburg im Zentrum der weltweiten Mikrofinanz

Inklusive Finanzen / „Gerade jetzt lohnt es sich, zu helfen“ – Luxemburg im Zentrum der weltweiten Mikrofinanz
Blick in den Raum bei einer der Veranstaltungen, die 2024 in der Abtei Neumünster stattgefunden haben Foto: e-MFP

Bereits zum 18. Jahr in Folge fand diese Woche die traditionelle Europäische Mikrofinanz-Woche in Luxemburg statt. Zu diesem Anlass hat sich das Tageblatt mit Youssef Fawaz, Direktor eines Mikrofinanzinstituts aus dem Libanon, unterhalten. Wegen der vielen Krisen im Land hat er mit besonders widrigen Umständen zu kämpfen. Seine Botschaft: „Gerade jetzt lohnt es sich, zu investieren.“

Seit Muhammad Yunus im Jahr 2006 für die Idee der Mikrokredite mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist die Mikrofinanz (siehe Kasten) weltweit zu einer populären und erfolgreichen Strategie im Bereich der Armutsbekämpfung geworden. Auch in Luxemburg wurde das Potenzial der Idee schnell erkannt: Regierung und Finanzsektor sind auf den Zug aufgesprungen, der von wohltätigen Organisationen gestartet wurde. Mittels vieler Initiativen, von denen die Mikrofinanz-Woche nur eine ist, haben alle Beteiligten gemeinsam dem Land einen Namen in der Branche verschafft.

Um hervorzuheben, dass der Bereich heute mehr zu bieten hat als die ursprünglichen kleinen Kredite, hat man dieses Jahr den Namen der Konferenz in „Inclusive Finance 25“ geändert. Zu den vielen Themen, die dieses Jahr behandelt wurden, zählen Mikro-Versicherungen, Genossenschaften, Klima-Finanzierungen, finanzielle Inklusion von Frauen, Finanzdienstleistungen für Flüchtlinge, Wiederaufbau nach Konflikten, Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Kundenschutz und Fintech.

Einer der Redner war Youssef Fawaz. Der Direktor des Mikrofinanzinstituts „Al Majmoua“ aus dem Libanon ist hierzulande kein Unbekannter. Im Vorjahr war er einer der drei Laureaten des begehrten Europäischen Preises der Mikrofinanz. Als Geschäftsführer eines Finanzinstituts, das im Libanon tätig ist, hat er mit besonders vielen Herausforderungen zu kämpfen, von einem stetigen Zustrom von Flüchtlingen aus den Nachbarländern über ein komplett zusammengebrochenes Finanzsystem bis hin zu Bombardierungen durch Israel. Aufgeben will er trotzdem nicht.

Youssef Fawaz, Geschäftsführer von Al Majmoua
Youssef Fawaz, Geschäftsführer von Al Majmoua Foto: Al Majmoua

Der in Berkeley studierte Ingenieur für Urbanismus, Transport und Mobilität war schon immer an wirtschaftlicher Entwicklung interessiert, sagt er über sich selbst. Geboren und aufgewachsen im Libanon, gehörte er 1996/97 zu den Gründungsmitgliedern von „Al Majmoua“. Das ursprüngliche Kapital kam von der Stiftung „Save the Children“. Später wurde die Organisation eigenständig.

Über 20 Jahre lang wuchs das Institut kontinuierlich. 2019 zählte es 93.000 Kunden, 30 Filialen, 500 Mitarbeiter und ein Kreditportfolio von 100 Millionen Dollar. Doch dann kamen die Krisen: Sechs Jahre später zählt man gerade noch 28.000 Kunden, ein Kreditportfolio von 15 Millionen Dollar und 170 Mitarbeiter. 20 Filialen mussten geschlossen werden.

„Es war sehr schwierig. Eine absolute Katastrophe“, sagt Fawaz. Am schlimmsten für das Institut war dabei nicht einmal der Krieg, sondern der Kollaps des Banken- und Währungssystems im Jahr 2019. „Da haben wir all unser Geld verloren. Die Banken haben all unser Geld genommen.“ Das gesamte Finanzsystem des Landes war zusammengebrochen, die Landeswährung wurde abgewertet, es herrschte Hyperinflation. Die Banken behielten alles Geld auf den Konten ein. Jeder Dollar im System von vor 2019 wurde unantastbar. Betroffen war jeder im Land.

Der Krieg macht alles noch schlimmer

Sein Vertrauen in die Banken ist bis heute nicht wiederhergestellt: „Die 15 Millionen Kreditportfolio, die wir haben, sind in der Hand der Menschen. Sofern möglich lassen wir keine zwei Dollar auf der Bank.“

Auf diesen absolut desaströsen finanziellen Zusammenbruch folgte 2024 der Krieg. „Er machte alles noch schlimmer und schlug gerade in dem Moment zu, als wir begonnen hatten, uns wieder zu erholen, unser Portfolio neu aufzubauen.“ Etwa die Hälfte der Kunden, 12.000 bis 13.000 Menschen, mussten ihr Zuhause verlassen und wurden zu Vertriebenen. „Sie im Auge zu behalten, ist schwierig. Schulden zurückzuzahlen ist in dem Falle zudem das Letzte, was sie interessiert.“

Einige Kunden wurden getötet. Andere sind in sehr schwierigen Situationen, etwa wenn ihr Haus zerstört wurde, erzählt er weiter. Die meisten aber sind mittlerweile in ihr Zuhause zurückgekehrt und können wieder ihr Geschäft betreiben und zurückzahlen. Andere starteten ihr Business neu an einem neuen Ort. „Ich bin immer wieder überrascht, wie die Menschen Wege zum Überleben finden“, so Fawaz. „Menschen sind erstaunlich widerstandsfähig.“ Mit jedem Kunden werden individuelle Rückzahlungspläne ausgearbeitet, etwa ohne Zinszahlungen.

Investoren dringend gesucht

Dennoch: Derzeit steht das Institut nicht finanziell nachhaltig da. Mit einem Portfolio von 15 Millionen Dollar kann es sich eigentlich nur 100 Mitarbeiter leisten. „Wir haben aber noch die Teams behalten, mit denen wir 50.000 Kunden Kredite geben könnten“, erklärt Fawaz. „Wenn ich mehr Kapital hätte, könnten wir sofort die Anzahl unserer Kunden verdoppeln und verdreifachen.“ Zur Verfügung hat er aber nur die Reste des alten Kapitals.

Seine Botschaft an potenzielle Investoren: „Unser Institut ist während 20 Jahren aufgebaut worden. Das soll man jetzt nicht in der Krise fallen lassen. Es hat eine starke Erfolgsbilanz und eine starke Kundenbasis. Wenn die Krise vorbei ist, wer kann diese Dienstleistungen dann anbieten? Ein neues Institut aufzubauen, würde dreimal mehr kosten. (…) Es lohnt sich, jetzt zu helfen.“

Etwas Hoffnung gibt ihm, dass die IFC (Teil der Weltbank) sich wieder engagieren und dem Institut einen neuen Kredit gewähren möchte. Zudem haben viele frühere Geldgeber dem Institut seine Schulden erlassen, nachdem es nicht mehr auf sein Kapital bei den Banken zugreifen konnte. „Die anderen Investoren bleiben jedoch nervös. Es gibt zu viel Volatilität.“

Typischerweise ziehen sich Geldgeber in Krisenzeiten zurück. „Doch das ist das Letzte, was Investoren, die Wert auf Impakt legen, tun sollten“, betont Fawaz. „Wenn die Krise vorbei ist, können wir schnell wieder zurück zu 100.000 Kunden.“

Überleben im Dauer-Krisenmodus

Aktuell ist das Geld des Instituts vornehmlich in den Händen der Kunden. Sofern möglich arbeitet „Al Majmoua“ mit Geld-Transfer-Organisationen wie beispielsweise Western Union, nicht mit Banken. „Sobald ein Kunde zurückzahlt, versuchen wir, es so schnell wie möglich als neuen Kredit an einen anderen Kunden weiterzugeben.“ Von den 15 Millionen Kapital sind das etwa jeden Monat 1,8 bis 2 Millionen.

Ein durchschnittlicher Kredit bei „Al Majmoua“ beträgt heute 850 Dollar mit einer Laufzeit von zwölf Monaten. „Wir vergeben damit heute kleinere Kredite, damit wir mehr Menschen Darlehen geben können.“ Zudem reduziere man so das Risiko. Vor den Krisen vergab man Kredite von bis zu 20.000 Dollar für bis zu 36 Monate.

„Wir geben den kleinen Betrieben Zugang zu Finanzen und erlauben ihnen, zu funktionieren. Damit helfen wir den Menschen, zu vermeiden, dass sie in die extreme Armut fallen, dass sie wenigstens so viel verdienen können, um ihre Familie zu ernähren“, erklärt Fawaz. Jemanden aus extremer Armut herauszuholen, koste dreimal mehr.

Ein Ende der Krisenzeit ist im Libanon nicht absehbar. Die Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Krise im Finanzsektor ist nicht behoben. Das Missmanagement ist immer noch da. Nur lokal funktioniert es wieder. Heute kann man wieder Dollars von den Banken abheben, Kredite geben sie aber keine. Sie leben von Gebühren. Die alte Währung ist wertlos. „Es gibt keine Garantie, dass sich die Krise nicht noch einmal wiederholt“, so Fawaz. „Auch Israel bombardiert uns fast noch täglich.“ Im Libanon leben rund fünf Millionen Menschen.

e-MFP

Die „Woche der Mikrofinanz“, oder neuerdings „Inclusive Finance 25“ (IF25), wird von der European Microfinance Platform (e-MFP) organisiert. e-MFP ist eine Multi-Stakeholder-Plattform mit Sitz in Luxemburg, die unterschiedlichste Organisationen zu ihren über 120 Mitgliedern zählt. Dazu gehören Universitäten, Banken, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Entwicklungsbanken. Ziel der Organisation ist es, den zwei Milliarden Menschen, die vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossen sind, Zugang zu Finanzdienstleistungen zu bieten. Zu diesem Zweck will e-MFP alle möglichen Akteure zusammenbringen, Wissen schaffen und es verbreiten. e-MFP beschäftigt eine Handvoll Mitarbeiter und wird von Sponsoren, Mitgliederbeiträgen, dem luxemburgischen Außenministerium sowie dem Finanzministerium finanziert. An der letzten Ausgabe der Mikrofinanzwoche hatten 660 Personen aus 55 Ländern teilgenommen, ein Drittel waren online dabei. Dieses Jahr waren es erneut mehr als 500 Beteiligte.

Mikrokredite

Das Vergeben von Mikrokrediten ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe: Potenzielle Kleinst-Unternehmer, die kein Kapital und keinen Zugang zum Bankensektor haben, sollen dank Kleinstkrediten Projekte umsetzen und eigenes Geld verdienen können. Der Kreditnehmer soll mit dem Darlehen beispielsweise in ein Geschäft, in Saatgut oder in eine Maschine investieren können und sich so eine eigene wirtschaftliche Lebensgrundlage aufbauen. Sobald der Kredit zurückgezahlt ist, kann mit besagtem Geld dann die Idee eines anderen Unternehmers finanziert werden. Die kleinen Darlehen haben es seitdem Millionen Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, der bitteren Armut zu entfliehen und auf eigenen Füßen zu stehen.

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