Inklusive FinanzenLuxemburg eine Woche im Fokus der weltweiten Mikrofinanz

Inklusive Finanzen / Luxemburg eine Woche im Fokus der weltweiten Mikrofinanz
Blick in den Raum einer der vielen Veranstaltungen, die letzte Woche in der Abtei Neumünster stattgefunden haben Foto: e-MFP

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Bereits zum 16. Mal fand von Mittwoch bis Freitag die Europäische Mikrofinanz-Woche statt. Unterhalten hat sich das Tageblatt dieses Jahr mit Natalia Realpe Carrillo, einer Pionierin im Bereich der „grünen inklusiven Finanzen“.

Besonders seit Muhammad Yunus im Jahr 2006 für die Idee der Mikrokredite mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist die Mikrofinanz weltweit zu einer populären und erfolgreichen Strategie im Bereich der Armutsbekämpfung geworden.

Die Mikrofinanz ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe: Potenzielle Kleinst-Unternehmer, die kein Kapital und keinen Zugang zum Bankensektor haben, sollen dank Kleinstkrediten Projekte umsetzen und eigenes Geld verdienen können. Der Kreditnehmer soll mit dem Darlehen beispielsweise in ein Geschäft, in Saatgut oder in eine Maschine investieren können und sich so eine eigene wirtschaftliche Lebensgrundlage aufbauen. Sobald der Kredit zurückgezahlt ist, kann mit besagtem Geld dann die Idee eines anderen Unternehmers finanziert werden. Die kleinen Darlehen haben es seitdem Millionen Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, auf eigenen Füßen zu stehen.

In Luxemburg wurde das Potenzial der Idee schnell erkannt. Regierung und Finanzsektor sind auf den Zug aufgesprungen, der von wohltätigen Organisationen gestartet wurde. Mittels vieler Initiativen, von denen die Mikrofinanz-Woche (siehe Kasten) nur eine ist, haben alle Beteiligten gemeinsam dem Land einen Namen in der Branche gemacht.

Gleichzeitig hat sich die ursprüngliche Überlegung während der folgenden Jahre weiterentwickelt: Neue Bereiche wie Mikrosparprogramme und Mikroversicherungen kamen hinzu. Entwickelt wurden zudem auch spezielle Programme, um Projekte in unterschiedlichen Bereichen rund um das Ziel der Armutsbekämpfung, etwa Nahrungsmittelsicherheit, Hausbau, Gesundheitsversorgung oder zur Bildungsfinanzierung, zu ermöglichen.

Eine Pionierin im Bereich

Unterhalten hat sich das Tageblatt dieses Jahr mit Natalia Realpe Carrillo. Die gebürtige Kolumbianerin gilt als eine Pionierin im Bereich der „grünen, klimafreundlichen inklusiven Finanzen“. Der Bereich steht, neben Themen wie Digitalisierung, Agrarfinanzierung, Lebensmittelsicherheit, Ernährung, Flüchtlingsfinanzierung, Regulierung von Investmentfonds und soziale Leistungsfähigkeit, im Fokus der diesjährigen Konferenzrunden. Bereits seit 2013 ist Natalia Realpe Carrillo aktives Mitglied bei der e-MFP-Aktionsgruppe „grüne inklusive Finanzen“.

Damals, vor zehn Jahren, seien „grüne inklusive Finanzen“ ein Randthema in der Mikrofinanz gewesen, erzählt sie diese Woche gegenüber dem Tageblatt. Das hat sich aber geändert: „Grüne Finanzen sind heute nicht mehr nur eine Option.“ Die Zahl der Mitglieder in der Gruppe sei von Anfangs zehn auf aktuell 70 Personen/Organisationen angewachsen. „Das Thema steht heute im Fokus. Es gibt einen echten Bedarf.“

Dabei hat sich auch der Bereich der „grünen inklusiven Finanzen“ immer weiter professionalisiert und spezialisiert. Dies sieht die Fachfrau als Beleg für den Bedarf und die Relevanz des Angebots. Geboten werden nicht mehr nur Finanzierungen für den Kauf von Solaranlagen für das eigene Haus, sondern ein Rundumangebot. Man brauche nicht nur Zugang zu Finanzen.

Oft werden Ölprodukte bevorzugt

Anfangs hatten Mikrofinanzinstitute vor allem den Fokus auf Solarsystemen für den Heim-Gebrauch, erzählt Realpe Carrillo. „Das war damals sehr innovativ.“ Mittlerweile aber liege der Fokus der neuen Produkte vorrangig darauf, die Gemeinschaften widerstandsfähiger gegen die Risiken des Klimawandels zu machen, etwa mit Sparprodukten mit einem Ziel, oder bezahlbaren Versicherungen gegen Naturkatastrophen.

Natalia Realpe Carrillo
Natalia Realpe Carrillo Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Alle anderen Grundbedürfnisse, wie die Verfügbarkeit von wesentlicher Infrastruktur, müssen bedacht werden, so Natalia Realpe Carrillo weiter über ihr Fachthema. Angeboten werden heute bereits Produkte für kleine Unternehmen und Landwirtschaft, etwa zum Trocknen von Früchten, zur Finanzierung von Gewächshäusern oder zur Errichtung von solarbetriebenen Bewässerungssystemen. „Es handelt sich nicht mehr um ein Produkt, sondern um den Einsatz einer Technologie, um den schlechten Zugang zu Infrastruktur in entlegenen Gebieten zu ersetzen.“

Auch sie selbst hat sich im Laufe der Jahre immer weiter professionalisiert: Mit ihrem gesammelten Fachwissen und getätigter Forschung hat sie vor einigen Jahren in Berlin/Potsdam ein eigenes Beratungsbüro, „Hedera“, gegründet. „Da helfen wir Mikrofinanzinstituten dabei, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen, etwa mittels Umfrageresultaten.“ Sei es im Bereich Energie, Wasser oder Lebensmittelsicherheit. „Weltweit sind die Bedürfnisse die gleichen, egal, ob in Bolivien oder auf den Philippinen. Wie viel Strom wird gebraucht? Was sind die passenden Produkte?“

Entwicklung digitaler Werkzeuge

Das Erstellen eines guten Angebots reiche nicht mehr aus, erklärt sie weiter. Das Thema „Nachhaltigkeit“ an sich sei alleine kein Verkaufsargument. Oft hätten die potenziellen Kunden eine sehr kurzfristige Sicht und würden demnach Ölprodukte für ihren eigenen Energieverbrauch bevorzugen. „Wer an einem Tag zwei bis drei Dollar für Kerosin ausgibt, ist nicht automatisch bereit, 300 Dollar für eine eigene Solaranlage auszugeben.“ Da gelte es, sich die Zeit zu nehmen und zu erklären, dass eine langfristige Investition deutlich günstiger sei. Problematisch sei dann jedoch wiederum, dass nicht jedermann die notwendigen 60 Dollar für eine Start-Finanzierung zur Verfügung hat.

In Zukunft sieht sie den Bereich und die Bedürfnisse noch weiterwachsen. Es brauche dabei noch mehr Innovation und ein vermehrt kundenzentriertes Arbeiten. „Die unterschiedlichen Produkte müssen noch weiter professionalisiert und spezialisiert werden.“ An der Entwicklung von digitalen Werkzeugen, die helfen, den Wandel effizient zu verwalten und voranzubringen, werde gearbeitet. Es gelte, Daten zu sammeln und auszuwerten, neue Standards zu entwickeln.

Als Chance und als Herausforderung sieht sie dabei die Konkurrenz von Plattformen wie Amazon, wo Produkte auf Raten gekauft werden können. Dort fehle es jedoch an Beratung und Begleitung, beklagt sie. Die Mikrofinanzinstitute seien derweil näher am Kunden. Zudem müsse das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und für die möglichen Folgen des Klimawandels noch mehr mit in die noch zu entwickelnden Produkte und Projekte einbezogen werden, sagt sie.

Luxemburg derweil sei überaus wichtig für sie, erklärt sie auf Nachfrage. Sowohl für das Knüpfen von Kontakten als auch zum Erkennen von Zukunftsthemen. Zudem kommen so manche Finanzierungen, Projekte und Programme von hier, wie auch fachspezifische Forschung, etwa zu Themen wie Regulierung.

e-MFP

Die „Woche der Mikrofinanz“ wird von der European Microfinance Platform (e-MFP) organisiert. e-MFP ist eine Multi-Stakeholder-Plattform mit Sitz in Luxemburg, die unterschiedlichste Organisationen zu ihren über 130 Mitgliedern zählt. Dazu gehören, Universitäten, Banken, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Entwicklungsbanken.

Ziel der Organisation ist es, den zwei Milliarden Menschen, die vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossen sind, Zugang zu Finanzdienstleistungen zu bieten. Zu diesem Zweck will e-MFP alle möglichen Akteure der Mikrofinanz zusammenbringen, Wissen schaffen und es verbreiten.
e-MFP beschäftigt eine Handvoll Mitarbeiter und wird von Sponsoren, Mitgliederbeiträgen, dem luxemburgischen Außenministerium sowie dem Finanzministerium finanziert. Wie in den Vorjahren fand die Veranstaltung in der Abtei Neumünster statt. An der letzten Ausgabe hatten 570 Personen aus 48 Ländern teilgenommen, etwa die Hälfte war online dabei.

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