HauptstadtGegen die Ohnmacht: Wegen der Zustände im Bahnhofsviertel organisieren sich Bürger bei WhatsApp

Hauptstadt / Gegen die Ohnmacht: Wegen der Zustände im Bahnhofsviertel organisieren sich Bürger bei WhatsApp
Jagdszenen in Luxemburg: Ein Video, das einen mutmaßlichen Streit im Drogenmillieu zeigt, ist ein typisches Dokument aus der WhatsApp-Gruppe „Quartier Gare - sécurité“ Foto: Screenshot

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Drogenelend, Gewalt, Vandalismus, Ruhestörungen: Die Zustände rund um das hauptstädtische Bahnhofsviertel sorgen schon seit langer Zeit für Empörung, nicht nur unter direkten Anwohnern. Jetzt bekommt die kontroverse Diskussion neue Dynamik durch eine WhatsApp-Gruppe, in der Bürger ihre Erfahrungen teilen – und auch konkrete Vorschläge machen, um das Problem zumindest ansatzweise zu lösen.

Begründet wurde die Gruppe durch die Städtebau-Architektin Graziela Bordin. Die gebürtige Brasilianerin lebt seit fünf Jahren im hauptstädtischen Bahnhofsviertel. Über die Zustände dort hat sie sich zunächst mit einer Handvoll anderer Anwohner ausgetauscht, die über eine Nachbarschafts-App organisiert waren. „Fast jeden Tag posteten Leute dort etwas über Gewalt, Diebstahl, Nadeln, Exkremente“, erzählt die 44-Jährige im Gespräch mit dem Tageblatt – und stellt fest: „Das ist keine normale Situation mehr: Aus einem sozialen Problem ist längst ein Sicherheitsproblem geworden!“

Nach einem persönlichen Treffen im kleinen Kreis wurde beschlossen, die Empörung über die Zustände zur Basis einer WhatsApp-Gruppe zu machen. „Quartier Gare – sécurité“ wurde am 15. Juli begründet und hat offenbar einen Nerv getroffen. Mit Stand Sonntagabend hat die stetig wachsende Gruppe rund 250 Mitglieder, die über Texte, Bilder und Videos den Alltagshorror im Herzen Luxemburgs illustrieren.

Rechtliche Grauzone

Zu sehen sind etwa Hinterlassenschaften in Hauseingängen, in Vorgärten oder auf dem Bürgersteig, die mal nur abstoßend, oft aber auch gefährlich sind: Gebrauchte Spritzen und Kondome, Ampullen, Erbrochenes, Blut, Scherben. Dazu kommen zerkratze Autos, eingeschlagene Fenster und Türen, zerstörte Pflanzen. Einige Videos zeigen das Treiben, das zu solchen Spuren führt, in seinem Verlauf: Zu sehen sind mutmaßliche Drogendeals und Süchtige, die in aller Öffentlichkeit mit dem Spritzbesteck hantieren. Und auch Gewalt und Vandalismus wird dokumentiert: Mehr oder weniger benebelte Menschen, die aggressiv herumschreien, sich prügeln, mit Messern drohen oder mit Dreck werfen, wenn sie merken, dass sie gefilmt werden.

Dass sich die Gruppenmitglieder in einer rechtlichen Grauzone bewegen, wenn sie etwa Menschen in Ausnahmesituationen filmen, ist vielen klar: Manche versuchen, die Personen unkenntlich zu machen. Generell fällt aber auf, dass viele Verfasser erkennbar Abstand davon halten, die einzelnen Protagonisten zur Zielscheibe der Wut zu machen: Sie regen sich eher über die Zustände an sich auf – und über die Autoritäten, von denen sie sich im Stich gelassen fühlen.

Gruppen-Gründerin Bordin versichert, dass etwa aufhetzende Aufrufe oder rassistische Äußerungen nicht toleriert würden. Tatsächlich habe sie bisher aber nur wenige Anlässe gehabt, Beiträge zu löschen oder User zu blockieren. 

Das ist keine normale Situation mehr: Aus einem sozialen Problem ist längst ein Sicherheitsproblem geworden!

Graziela Bordin, Initiatorin der WhatsApp-Gruppe

Manche Fotos zeigen Ansammlungen von mutmaßlichen Dealern und ihren Kunden auch an Plätzen, wo sie schon jüngste Kinder zum Spießrutenlauf zwingen, wie etwa vor dem „Centre sociétaire et sportif“ in der Straßburger Straße. „Jedes Mal, wenn ich meinen vierjährigen Sohn zur Schule bringe, sind wir damit konfrontiert“, ärgert sich ein Verfasser. Ein entnervter Florist berichtet: „Morgens wühlen die Drogenabhängigen die Erde aus unseren großen Blumentöpfen um, um zu sehen, ob dort irgendwelche Drogen versteckt sind.“

Der Eindruck des Komplettversagens von Staat und Stadt zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Postings: „Ich habe es satt, dass niemand etwas tut und denkt, das sei normal oder gar nicht vorhanden!“, heißt es in einem Eintrag.

Die Gruppe ist aber nicht dazu gedacht, nur Dampf abzulassen, sondern versteht sich als Forum, um sich zu organisieren – und der Ohnmacht zu entkommen. Zentral soll das über eine Demonstration geschehen, die bisher für den 23. September avisiert ist und die drei zentrale Forderungen transportiert.

Drei Forderungen

Punkt eins: „Wir wollen endlich die echte Aufmerksamkeit der Behörden haben“, erklärt Bordin. Das hieße zunächst einmal: „Verstärkte Polizeipräsenz, etwa durch Streifen rund um die Uhr und bürgernahe Polizeiarbeit“. Von einer solchen ist man derzeit allerdings weit entfernt: Die Polizeistation direkt am Bahnhof war die vergangenen Tage sogar komplett geschlossen, weil wegen mehrerer festgenommener Beamte und offenbar taktisch motivierter Krankschreibungen schlichtweg das Personal fehlt. Berichte darüber, dass auf dem Revier mutmaßlich die Aufmerksamkeit darauf verwandt wird, ein entwürdigendes Scoring für Neulinge einzuhalten, die sich darüber erst das Recht verdienen müssen, ihre Chefs zu grüßen, haben zusätzlich für Irritationen gesorgt.  

Das zweite in der Gruppe formulierte Ziel: Es brauche mehr Sauberkeit – und dass vor allem die Bereiche von Kindergärten und Schulen wieder Refugien werden, an denen die beobachteten Zustände besonders unterbunden werden. „Ich finde, dass die Stadt das Bahnhofsviertel nicht gut genug säubert“, schreibt eine Frau in ihrem Beitrag. Es bräuchte den durchgängigen Einsatz von Straßenkehrern am Bahnhofsplatz und in allen umliegenden Straßen, viel mehr Mülltonnen sowie eine effektive Straßenreinigung, wie das auch in anderen Städten praktiziert werde.

Langfristig brauche es aber, und das ist Forderung Nummer drei, die Implementierung von wirksamen Strategien, wozu man aus den Erfahrungen anderer Metropolen lernen könne. Beispielhaft nennt die Gruppeninfo bei WhatsApp etwa die Nulltoleranzstrategie, die in New York angewandt und auch unter „Broken-Windows-Theorie“ bekannt wurde: Diese besagt, dass Missstände umgehend angegangen werden müssten. Das beispielhafte zerbrochene Fenster müsse sofort repariert werden, da sonst Zerstörung und Verfall im Viertel zur Normalität würden.

Derzeit ist die für den 23. September geplante Demonstration noch nicht durch die Behörden genehmigt, betont Graziela Bordin. Sie ist aber zuversichtlich, dass der Termin gehalten werden kann. So oder so sei es jedenfalls wichtig, dass der Termin in einen bestimmten Zeitrahmen falle: „Vor den Wahlen“.

JJ
21. August 2023 - 16.34

Verkauft den Dreck online und im Supermarkt.Dann haben diese Halunken keine Existenz mehr und die die sich umbringen wollen können das ja tun.Wie mit Alk und Tabak.

Ede
21. August 2023 - 16.21

Alles Kox oder was ... aufwachen Junge, arbeiten und Verantwortung übernehmen.

kassnic840
21. August 2023 - 13.30

J'ai habité jusqu'en 2015 dans le quartier de la gare, j'ai fréquenté l'école primaire Pl. de Strasbourg le chemin de l'école passait par la rue Joseph Junck avec ses " bars " et ses dames légères que nous connaissions bien et qui nous offraient des friandises et du coca ,donc à l'époque il y avait déjà un monde parallèle qui n'était pas dangereux et qui était en mains luxembourgeoises, et qui ne harcelait pas les habitants ,maintenant que la racaille a repris la releve et que la police et la politique a sois disant toujours les mains liées tout passe au vinaigre est personne n'est responsable. À l'époque c'était plus vivable que maintenant et je suis content d'être parti à l'heure actuelle, je souhaite beaucoup de succès au " Quartier Gare Sécurite ".

Leila
21. August 2023 - 10.29

Früher, so in den 80ern, hatte ich stets Mitleid mit den "schuldlos Verführten" (Drogenabhängige), mittlerweile Null-Verständnis. Die Anwohner bezahlen mit Sicherheit nicht d i e Miete, die die Wohnungen, der Situation angemessen, wert sind, nämlich sehr gering! Die Kaufpreise einer Immobilie trotz allem so hoch, als ob es sich um Luxuswohnungen in einer guten Wohngegend handeln würde. Viel Erfolg für den 23. September gewünscht!

jung.luc.lux
21. August 2023 - 9.04

Wo ist unser Polizeiminister? Der tut gar nichts. Der steckt den Kopf in den Sand.