Frauen sollen eine Wahl haben – sagt die einzige Hebamme, die in Luxemburg Hausgeburten betreut

Frauen sollen eine Wahl haben – sagt die einzige Hebamme, die in Luxemburg Hausgeburten betreut

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Martine Welter ist hierzulande die einzige Hebamme, die Hausgeburten durchführt. Die 57-Jährige muss rund um die Uhr bereit sein, ein Kind zur Welt zu bringen. Eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht.

Fotos von Isabella Finzi

Derzeit betreut Martine Welter zwei werdende Mütter parallel. „Das macht mich schon ein bisschen hibbelig“, sagt die quirlige Frau mit dem freundlichen Gesicht. Sie warnt jeden, mit dem sie sich trifft, dass sie jeden Moment weg sein könnte. Wenn eine der Frauen anruft, macht sie sich gleich auf den Weg. Damit das möglich ist, nimmt sie nie mehr als drei Frauen in einem bestimmten Zeitraum an. Für die ist sie dann in Rufbereitschaft – drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und bis zu zwei Wochen danach.

Erhebliche Einschränkungen

Die extreme Einschränkung des Privatlebens sieht Welter als einen Grund dafür, dass sie seit 25 Jahren Luxemburgs einzige Hebamme ist, die Hausgeburten macht. Zwischendurch hatte sie immer wieder Assistentinnen. Als Hebamme sei es mit Haushalt, Kindern oder einem festen Job unmöglich, Hausgeburten durchzuführen. Welter hat keine Kinder. Geht sie in einer Periode aus, in der sie in Rufbereitschaft ist, trinkt sie nie Alkohol. Alles, was sie plant, kann jeden Moment ins Wasser fallen. „Ich muss immer erreichbar sein.“

Ihr Job ist nicht lukrativ. „Davon kann niemand leben“, sagt die Hebamme. Zudem trägt sie eine sehr hohe Verantwortung. Im Krankenhaus wäre das nicht so. Dort übernimmt der Arzt die Verantwortung. Und es gebe fast nur Vorteile: Acht Stunden Arbeitstag, gute Bezahlung, Sicherheit und wenig Verantwortung. Ihrer Ansicht nach der Grund, weshalb sich junge Hebammen nicht dazu entscheiden, Hausgeburten durchzuführen.

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Für die Hebamme bedeuten Hausgeburten erhebliche Einschränkungen. Martine Welter macht ihren Job aus Leidenschaft. „Und aus einem feministischen Aspekt heraus“, sagt sie. Denn Kinder zu Hause zu gebären, ist mit vielen Vorteilen für die Frau verbunden. Anna-Cristina Rings bringt im April ihr zweites Kind zur Welt. Sie hat sich für eine Hausgeburt entschieden. Ihre erste Tochter hatte Rings 2014 im Krankenhaus zur Welt gebracht: eine natürliche Geburt ohne Medikamente. „Eigentlich schön“, sagt sie. Eigentlich.

Abends fingen die Wehen an. Rings ist selbst Hebamme. Sie weiß genau, wann es Zeit wird, ins Krankenhaus zu fahren. Zu Hause fühlt sie sich wohl, die Wehen hat sie gut überstanden. Gegen 4 Uhr merkt sie, dass sie nicht mehr sitzen kann. Zeit zu fahren, bevor es für sie noch schwerer wird. Sie weckt ihren Mann. Die Fahrt im Auto hat sie als sehr unangenehm in Erinnerung. Draußen ist zudem Glatteis, es dauert also besonders lange. Auch die Ankunft im Krankenhaus und die ganzen Menschen dort empfindet sie als unglaublich nervig. „Am liebsten wäre ich einfach zu Hause geblieben.“ Sie fasst den Entschluss, beim nächsten Mal eine Hausgeburt zu machen – solange es diese Möglichkeit in Luxemburg noch gibt.

Vom Vater abgeschaut

Menschen zu Hause zu besuchen und ihnen in ihrem gewohnten Umfeld zu begegnen, hat sich Martine Welter bei ihrem Vater abgeschaut. Er war Hausarzt. Seine Tochter hat ihn als Jugendliche oft zu Hausbesuchen begleitet. Dort stellt sie fest, dass sich Menschen in ihrem gewohnten Umfeld viel authentischer verhalten. Sie sind nicht so zurückhaltend, verstellt, aufgeregt oder gestresst wie in einer fremden Praxis.

Welter interessiert sich für das Thema Hausgeburt und schreibt während des Hebammenstudiums ihre Abschlussarbeit darüber. In den 1980ern arbeitet sie auf einer Entbindungsstation in der Hauptstadt. Sie besucht den europäischen Hebammenkongress in den Niederlanden. „Das war der Schlüsselmoment“, berichtet sie. Holland war laut Welter damals wie heute ein Vorbild, was Hausgeburten anbelangt. Das Geburtssystem sei dort ein völlig anderes. Sind Frau und Kind gesund und die Schwangerschaft verläuft reibungslos, wird die werdende Mutter weiter von der Hebamme betreut. Eine Hausgeburt ist in dem Fall fast selbstverständlich. Nur wenn es Probleme gibt, geht die Frau zum Arzt. Gibt dieser Entwarnung, überweist er sie wieder an die Hebamme. Das wünscht sich Martine Welter auch in Luxemburg. Sie bedauert, dass Schwangerschaften hier automatisch pathologisiert, also als krankhaft behandelt werden. „Das Krankenhaus ist ja, wie der Name es schon sagt, ein Ort für Kranke. Und Schwangere sind in der Regel nicht krank“, sagt sie.

Anna-Cristina Rings weiß, wie schnell Ärzte werdenden Müttern Angst einjagen. Ihre Gynäkologin meinte beim letzten Ultraschall, der Kopf ihres Kindes sei aber klein. „Wäre ich nicht Hebamme gewesen, hätte ich mir sonst was für Sorgen gemacht“, sagt sie. Als die Ärztin alle anderen Maße genommen hatte, gab sie Entwarnung: „Ach nee, der ist doch zeitgerecht.“ Die ständigen Analysen, Untersuchungen und Resultate sorgen bei der Schwangeren für Anspannung und Sorge. Martine Welters Herangehensweise ist eine ganz andere. „Eigentlich ist mein Job easy.“ Sie steht häufig nur daneben und spricht der Frau Mut zu. Sie nimmt ihr die Sorgen sowie Ängste und stärkt ihr Selbstvertrauen.

Starke medizinische Lobby

In Luxemburg werde sich nicht genügend Mühe gegeben, um Alternativen zur Klinikgeburt zu unterstützen. Hausgeburten, die Schaffung eine Geburtshauses oder eines Hebammenkreißsaales sind nur einige Beispiele, und die werden kaum gefördert. „Das liegt zum einen am Mangel an politischer Unterstützung, zum anderen aber auch an einer starken medizinischen Lobby“, erklärt Welter. Seit Kurzem werden Hausgeburten von der luxemburgischen Gesundheitskasse (CNS) rückerstattet. Das steht allerdings nicht in der Nomenklatur der CNS – und das führt häufig zu Missverständnissen. Schicken frischgebackene Mütter die Rechnung der Hausgeburt ein, bekommen sie von der CNS häufig mitgeteilt, dass die Kosten nicht übernommen werden. Die Frau muss also erneut einen Brief schreiben, in dem sie angibt, dass Hausgeburten sehr wohl zurückerstattet werden, dies allerdings nicht niedergeschrieben ist. „Die Nomenklaturkommission der CNS hatte uns versprochen, es reinzuschreiben. Das habe sie allerdings vergessen“, sagt Welter und formt dabei mit ihren Fingern Gänsefüßchen in der Luft. Für die frischgebackenen Mütter entstehe dadurch ein unnötiges Hin und Her, das mit dem zusätzlichen Text in der Nomenklatur ganz einfach vermieden werden könnte.

Hebammenkongress in den Niederlanden

Als Martine Welter nach ihrem Studium am Hebammenkongress in den Niederlanden teilnimmt, bekommt sie die Möglichkeit, während einer Woche einer lokalen Hebamme über die Schulter zu schauen. Sie nimmt das Angebot an und erlebt ihre erste Hausgeburt. „Da habe ich erst gelernt, was eine Geburt wirklich ist“, sagt sie rückblickend. In Luxemburg hatte sie zuvor gelernt, dass wenn das Kind bald kommt, alles schnell vorbereitet und der Arzt gerufen werden muss. „Dann ist Panik“, beschreibt sie die Situation. Als die Frau so weit ist, beginnt Welter, wie ein aufgescheuchtes Huhn herumzurennen. Die Hebamme, die für die Geburt zuständig war, hat das überhaupt nicht verstanden. „Was hast du denn?“, fragt sie Martine Welter. „Dafür sind wir doch hier.“ Seitdem hat sich Welters Sicht auf Geburten verändert.

Sie kommt zurück nach Luxemburg und tritt mit zwei Hebammen in Kontakt, die in den 1980ern hierzulande Hausgeburten gemacht haben. Die beiden jungen Frauen haben sich damals gegenseitig geholfen, ihre Kinder zur Welt zu bringen. Dann halfen sie auch ihren Freundinnen, Nachbarinnen und anderen Bekannten. Wegen ihrer familiären Situation hörten sie aber bald wieder auf. Martine Welter übernimmt ein paar Frauen, die zu Hause gebären wollen. 1993 gibt sie ihren festen Job im Krankenhaus auf und verschreibt sich ganz der häuslichen Betreuung – vor allem der Wochenbettbetreuung bei ambulanter Geburt sowie eben auch den Hausgeburten. „Mir war es immer wichtig, dass Frauen eine Wahl haben.“ Ohne sie wäre das Krankenhaus die einzige Option. Es gibt ein Geburtshaus in Merzig – aber eine Geburt dort zahlt die Gesundheitskasse nicht. „Und eine Alternative ist nicht angedacht“, sagt Welter und schüttelt den Kopf.

Hausgeburten werden in Luxemburg heute oft außer Acht gelassen, weil die Frauen Angst vor den Risiken haben. Falls doch etwas schiefgeht, ist schließlich kein Arzt in der Nähe. Dennoch haben Hausgeburten sehr viele Vorteile. Die Geburt ist ohnehin eine Stresssituation für Frau und Kind. Dieser Stress wird im Krankenhaus oft noch verstärkt. „Dadurch bleibt alles eher kopflastig und die instinktiven, primitiven Geschehnisse im Bauch werden blockiert.“ Der natürliche Geburtsablauf mit dem körpereigenen Wehenmittel Oxytocin und dem körpereigenen Schmerzmittel, den Endorphinen, komme dadurch nicht richtig in Gang, erklärt die erfahrene Hebamme.

Zu Hause hingegen kommt die Frau nicht in die Routine des Krankenhauses. Sie kann sich von den Wehen ablenken, indem sie in den Garten geht, Wäsche macht oder tut, was immer sie tun will. „So steigert sie sich nicht in die Schmerzen hinein“, erläutert Welter. Die Entspannung fördert die Durchblutung in der Plazenta und verbessert so die Herztöne des Kindes.

Geburt stellt Stresssituation für Frau und Kind dar

Kommt es dann doch zu einer heiklen Situation und Martine Welter hat auch nur den geringsten Zweifel, organisiert sie den Transfer ins Krankenhaus. Je nach Dringlichkeit erfolgt dieser im Privatauto oder mit dem Krankenwagen. Um eine Krankenhausverlegung zu vermeiden, nimmt Welter Hausgeburten erst ab dem zweiten Kind an. Denn es sei erwiesen, dass diese häufiger bei der ersten Geburt auftreten. „Beim zweiten Kind weiß die Frau schon, was sie erwartet – und ich auch.“

Martine Welter geht in absehbarer Zeit in Rente. Die 57-Jährige merkt, dass sie sich in manchen Dingen inzwischen schwertut. Geburten passieren meist in der Nacht. Die Kinder interessiert es nicht, ob Welter am Tag danach einen vollen Terminkalender hat – und die Termine sich dann auch nicht mehr verschieben lassen. „Am Abend danach bin ich dann richtig kaputt.“ Trotz regelmäßiger Fortbildungen, um auf dem neusten Stand zu bleiben, merke sie, dass es eine andere Zeit ist. Technik und Protokolle verändern sich und es werde Zeit, um Platz für jüngere Kolleginnen zu machen. Eine Nachfolge ist nicht in Sicht. Darum macht sich die Optimistin aber keine Sorgen: „Dat fënnt sech!“

 

Bopa
27. März 2019 - 20.37

“Und keine andere Wahl zu haben, bedeutet, gezwungen zu sein.” Schönes Plädoyer für den Beruf der Hebamme. Ich bin keine Frau,aber Vater und Großvater. Ich denke,dass es für eine junge Familie beruhigend ist zur Zeit der Niederkunft einen Gynäkologen in der Nähe zu wissen. Nichts gegen Badewannengeburten zu Hause,aber wenn’s dann doch noch schief gehen sollte,ist man in einem Kreissaal besser aufgehoben als in einem Badezimmer. Und mit der Bindung Mutter/Kind hatten wir keine Probleme.