Filmbesprechung: Verzweifeltes Sinnsuchen in „Burning“ und „Under the Silver Lake“

Filmbesprechung: Verzweifeltes Sinnsuchen in „Burning“ und „Under the Silver Lake“

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Das geheime Laster des neureichen Ben besteht darin, Treibhäuser abzubrennen. Sam wandert durch ein von urbanen Legenden durchzogenes L.A., um sein allzu banales Alltagsleben mit einer Glasur Mysterium zu übertünchen. In den beiden Cannes-Wettbewerbsfilmen „Burning“ und „Under the Silver Lake“ wird die Leere einer säkularisierten Welt dargestellt, in der wir das Absurde durch teilweise abstruse Sinnsuchen verdrängen.

Seitdem Nietzsche den Tod Gottes proklamiert hat und sich der Westen der Tyrannei der Religionen entzogen hat, steht nichts mehr zwischen dem westlichen Bürger und seiner Selbstverwirklichung. Problematisch ist nur, dass die wenigsten genau wissen, was sich genau hinter diesem Begriff – Selbstverwirklichung – eigentlich versteckt und dass der wohlhabende Teil der westlichen Gesellschaft nach dem Erreichen eines gewissen materiellen Wohlstandes oftmals nur noch der eigenen Leere ins Auge schaut.
Denn unsere weltlichen Sorgen, so argumentierte schon damals Blaise Pascal, der vielleicht pragmatischste Gläubige überhaupt, sind reine Beschäftigungsmaßnahmen, denen wir nachgehen, um zu vergessen, wie sinnlos alles eigentlich ist.

In diesem Sinne sind Lee Chang-Dongs Murakami-Adaptierung „Burning“ und „Under the Silver Lake“ von David Robert Mitchell Fallbeispiele der paradoxen Situation, in die sich unsere Zivilisation manövriert hat und die der Philosoph Gilles Lipovetsky als „L’ère du vide“ umschreibt: Weil wir die Beckett’sche Feststellung der Sinnlosigkeit nicht hinnehmen möchten, schwappt eine Welle von Sinnsuche über uns, die uns auf dem Weg unserer Selbstsuche oftmals falschen, trügerischen Halt bietet.

In „Under the Silver Lake“ ergeht es Sam (Andrew Garfield) nicht anders. Der junge, arbeitslose Mittzwanziger verbringt seinen Alltag damit, mit einem Fernglas seine Umgebung nach leicht bekleideten Frauen abzuscannen. Zu Beginn des Films ruft ihn seine Mutter während genau dieser Lieblingsbeschäftigung an und fragt, ob er auf der Arbeit sei. Sam bejaht, sein Blick fällt auf eine junge Blondine (Riley Keough), die es sich beim Pool auf einer Liege gemütlich macht.

Wenig später kommt eine Bekannte in einem bayrischen Dirndl vorbei (in L.A. ist jedermann Schauspieler), während des darauf folgenden Koitus kommentieren beide die Nachrichten und das Nirvana-Poster an der Wand (mit Unterschrift von Cobains Tochter) – man merkt bereits, wie Mitchell unser Zeitalter mit seinen zahlreichen virtuellen Realitätsfenstern und seiner Zeichenfülle lakonisch kommentiert.

Kurz danach begegnet er der Pool-Besucherin und es gelingt ihm, sich von ihr in die Wohnung einladen zu lassen. Ihr erster Kuss wird allerdings durch das Aufkreuzen zweier Mitbewohnerinnen und eines äußerst bizarren Individuums im Piratenlook unterbrochen. Am Tag darauf ist Sarahs Wohnung völlig leer – und Sam macht sich, wie ein würdiger Nachfolger anderer unfreiwilliger, leicht vertrottelter Detektivfiguren – man denke an Jeff Bridges in „The Big Lebowski“ oder an Joaquin Phoenix in „Inherent Vice“ – auf die Suche nach der mysteriösen Schönheit.

Vertrottelter Ermittler

Im Laufe seiner atypischen Ermittlungen begegnet er drittklassige Hollywood-Schauspielerinnen, die für einen Callgirl-Service arbeiten, einer enigmatischen Band, die sich Jesus and the Brides of Dracula nennt und die geheime Botschaften auf ihren Platten verewigt, dem König der Obdachlosen und einem illuminierten Comic-Zeichner, der von Hundemördern und anderen mystischen Kreaturen erzählt.

Während seiner rastlosen Wanderungen durch L.A. pendelt Sam stets zwischen dem Anerkennen der Sinnlosigkeit seiner Ermittlungen („there’s nothing to solve“) und dem eisernen Willen, eine Kohäsion zwischen all den Zeichen, die ihn in einer visuell gesättigten Welt erwarten, herzustellen. Der Schlüssel des Films liegt deswegen nicht umsonst in der Kreuzung zweier Spiele: Unsere nerdige Generation ist mit Videospielen aufgewachsen, sucht deswegen wie Super Mario überall versteckte Boni, Easter Eggs, Bösewichte und eingekerkerte Prinzessinnen.

Da, wo Sam im Wald der Zeichen stets auf andere sinnsuchende Menschen stößt, mit denen er sich identifiziert oder denen er in die Quere kommt, da inszeniert „Burning“ mit dem enigmatischen Ben ein verführerisches Scheusal, das seine Zeit damit verbringt, ein äußerst komisches Spiel mit seinen Mitbürgern zu treiben, um seine gelangweilte Existenz mit Sinn und Spannung zu füllen.

Die Figur von Ben wird im Laufe des Films aber stets nur umrissen, da „Burning“ aus der Perspektive von Jongsu erzählt wird, der zu Beginn des Films einer früheren Dorfbekanntschaft wiederbegegnet, in die er sich schnell verliebt. Die etwas versponnene Haemi erzählt Jongsu beim ersten Date von einem afrikanischen Stamm, der zwei Arten von Hunger kennt – den kleinen, nutritiven Hunger und den großen Hunger nach dem Sinn des Lebens. Nachdem sie Jongsu damit beauftragt, auf eine vielleicht imaginäre Katze in ihrer Wohnung aufzupassen, tritt sie eine Afrika-Reise an, um eben diese afrikanische Kultur zu erleben.

Hungriger Gatsby

Als sie Jongsu Wochen später auffordert, sie am Flughafen abzuholen, erlebt dieser eine böse Überraschung: Haemi hat auf ihrer Reise mit dem reichen, zynischen Ben einen großen Hungrigen kennengelernt, der durch Selbstsicherheit, verführerische Gesten, eine tolle Wohnung und einen Porsche seine Überlegenheit manifestiert und so die aufkeimende, berührende Liebesgeschichte zwischen Haemi und Jongsu (bewusst) ruiniert.
Jongsu bezeichnet ihn als „koreanischen Gatsby“, fügt hinzu, dass es zu viele solcher Gatsbys im heutigen Korea geben würde, merkt aber nicht, dass Ben viel eher einem Roman von Bret Easton Ellis als einem Werk von Fitzgerald entlaufen ist.

Ab dann sieht Jongsu Haemi nur noch in Bens Begleitung. Ohne gewalttätig zu sein, übt Ben durch seine Ausstrahlung und seine finanzielle Überlegenheit eine beängstigende Macht über sein Umfeld aus. Als Ben dann von der kriminellen Energie erzählt, mit der er alle zwei Monate leer stehende Treibhäuser abbrennt, löst sich Jongsu aus dem Kokon von Passivität, in den Ben ihn eingelullt hat, und beginnt über diese rätselhafte Figur zu ermitteln.

Formal könnten beide Filme nicht unterschiedlicher sein: Mitchell legt über die komplexe, zusammenhanglose Welt der Zufälle, in der Sam nach und nach Verknüpfungen herstellt, ein weiteres zusammenhangloses Netz an Referenzen, das die Entschlüsselung des Filmes für den Zuschauer noch komplizierter macht. Letzterer muss sich nämlich nicht nur einen Reim aus den abstrusen Geschehnissen der Fiktion machen, sondern wird zudem noch mit einer Filmwelt konfrontiert, die sich vielerlei Zitate der Filmgeschichte bedient – das beginnt mit Hitchcockverweisen, führt über eine Spiderman-Referenz und endet mit der mysteriösen Gestalt eines Komponisten, der sich für jeden Erfolgssong der Popgeschichte verantwortlich zeigt.

Dies könnte überspitzt wirken, trägt aber hier dazu bei, L.A. als mystische Stadt, in der jede Wirklichkeit immer bloß eine filmische, surreal anmutende Realität ist, darzustellen. Dass der Film im Endeffekt durch diese referenzielle Sättigung wie ein Neo-Noir mit Sci-Fi-Bildern wirkt, die an Richard Kellys weniger bekannte Filme wie „The Box“ erinnern, stört genauso wenig wie die wirren Plotknäuel, die teilweise lose herumbaumeln. Nur die Überlänge deutet auf eine zu große Selbstverliebtheit eines Regisseurs hin, der die surrealen Windungen des Plots über die Geduld des Zuschauers stellt.

Die erzählte Welt von „Burning“ ist vergleichsweise weniger übersättigt, jedoch wird auch hier ein Referenzspiel getrieben, da Ben Jongsu bei jedem Treffen immer wieder an dessen Romanprojekt erinnert. Jongsu erklärt, er wisse noch nicht recht, welche Art Roman er zu gedenken schreibe, da die Welt für ihn zu sehr ein Mysterium bleibe, um sie in einem Werk verständlich zu machen. Um das Rätsel um Ben zu lösen, muss Jongsu allerdings Haemis und Bens Aussagen nach Metaphern filzen, muss die Welt wie ein literarisches Werk entziffern. Da, wo Sam in „Under the Silver Lake“ überall Zeichen sieht, gelingt es dem naiven Jongsu erstmals nicht, die Welt nach Indizien und Metaphern abzugrasen – er nimmt Bens Aussagen zu wortwörtlich.

„Burning“ kommt sowohl ohne pompösen Soundtrack als auch ohne große Worte aus: Lee Chang-Dongs Filmsprache ist so wortkarg wie seine Hauptfigur. Der Regisseur verlässt sich auf die schöne Kulisse des ländlichen Südkorea und das tolle Schauspiel der drei Hauptprotagonisten, das durch Gesten und Blicke mehr andeutet, als es durch Worte festigen würde. Dass in beiden Filmen die weibliche Hauptfigur verschwindet, zeugt davon, dass die Weinstein-Figuren mittlerweile auch in die Fiktion eingezogen sind.