GipfeltreffenEU-Staaten einigen sich auf gemeinsame Nahost-Erklärung

Gipfeltreffen / EU-Staaten einigen sich auf gemeinsame Nahost-Erklärung
Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel am Donnerstag gemeinsam mit dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel Foto: SIP/Thierry Monasse

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Wie positioniert sich die Europäische Union zum Nahostkonflikt und wie geht es mit der Unterstützung der Ukraine weiter? Neben einer Revision des mehrjährigen EU-Haushaltsplans waren das die wichtigsten Themen, mit denen sich die EU-Staats- und Regierungschefs am ersten Tag ihres Gipfeltreffens beschäftigten.

Tagelang haben die EU-Staaten um eine gemeinsame Position zu den jüngsten Ereignissen im Nahostkonflikt gerungen. Und zu Beginn des Gipfeltreffens gab es noch keine Einigung zwischen den 27. Es geht vor allem darum, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu schaffen, wie der irische Regierungschef Leo Varadkar erklärte, der gleichzeitig EU-Bürger aus dem palästinensischen Gebiet evakuieren will. Um dies unter möglichst sicheren Bedingungen tun zu können, bedarf es einer Waffenruhe. Doch da beginnen die Schwierigkeiten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte eine solche „humanitäre Waffenruhe“ vorgeschlagen. Das ging jedoch verschiedenen EU-Staaten wie Deutschland, Österreich oder Tschechien zu weit. Sie befürchteten, dass damit Israels Recht und Möglichkeiten der Selbstverteidigung gegen anhaltende Terrorangriffe der palästinensischen Hamas eingeschränkt würden. Als Kompromiss wurde zwischenzeitlich der Begriff „humanitäre Pause“ vorgeschlagen. Doch auch dieser war umstritten.

Dass das Ringen um eine für alle annehmbare Wortwahl eine heikle Angelegenheit war, zeigt der Umstand, dass die EU-Staats- und Regierungschef vor den Beratungen ihre Mobiltelefone abgeben mussten, womit jegliche Kommunikation der Gipfelteilnehmer nach außen unterbunden wurde. Gegen Abend war dann die Rede von „humanitären Korridoren“ und „Pausen“. Vor allem mit ersterem Begriff könnten Zeit und Raum für die humanitäre Hilfe definiert werden, so die Erklärung aus diplomatischen Kreisen. Am späten Abend dann einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf eine gemeinsame Erklärung zum Nahost-Krieg, in der sie zur Schaffung von „Korridoren und Pausen zu humanitären Zwecken“ aufrufen.

Ihm sei es egal, welche Formulierung gefunden werde, so der luxemburgische Premierminister beim Eintreffen im Ratsgebäude. „Mir ist der Name ziemlich egal, Hauptsache, es funktioniert“, so Xavier Bettel. Der ohnehin will, dass die Gewalt ein Ende nimmt. „Da sterben Frauen und Kinder, die nichts mit dem Krieg zu tun haben“, empörte sich der Premierminister.

„Blockade von Gaza ist inakzeptabel“

Sein belgischer Amtskollege ist etwas expliziter. „Die Blockade von Gaza ist etwas Inakzeptables und muss gestoppt werden“, forderte Alexander De Croo. Egal welche Gräueltaten gemacht wurden, sie könnten nicht als Entschuldigung dafür genutzt werden, die Menschen im Gazastreifen von lebenswichtigen Gütern abzuschneiden, meinte der Belgier, der einen „direkten und kontinuierlichen Zugang“ zum Gazastreifen verlangte. De Croo betonte jedoch wie andere auch, dass Israel das Recht habe, sich gegen Angriffe zu verteidigen. Darin sind sich alle einig, auch darin, dass dies unter der Einhaltung des internationalen Rechts zu geschehen habe. Was bedeutet, dass möglichst zivile Opfer vermieden werden müssen.

Hier machte sich insbesondere der deutsche Kanzler Olaf Scholz zum Fürsprecher Israels. „Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten“, so der Kanzler. Daher würde auch die israelische Armee die Regeln achten, die sich aus dem Völkerrecht ergäben.

Doch abgesehen vom Gerangel um eine für alle passende Wortwahl machte der luxemburgische Premier etwas deutlich, als er meinte, er wisse nicht, ob beide Konfliktparteien den politischen Willen für eine Waffenruhe aufbringen.

Bevor die Diskussionen über die Ereignisse im Nahen Osten aufgenommen wurden, wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video der Gipfelrunde zugeschaltet. Denn der Krieg in der Ukraine bleibt ein weiteres überragendes Thema unter den 27. Vor allem, da die EU dem Land für die kommenden Jahre (2024-2027) 50 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bereitstellen will. Angesichts des Nahostkonfliktes warnte der litauische Präsident Gitanas Nauseda davor, „unsere Außenpolitik nicht spalten“ zu lassen. Er befürworte die finanzielle Unterstützung für die Ukraine. „Aber, ich meine, diese Summe reicht nicht“, so Nauseda, ohne weitere Angaben. Vielmehr forderte er zusätzliche Sanktionen gegen Russland, etwa in den Bereichen der Drohnen- und Kommunikationstechnologien. Ein weiteres Sanktionspaket, mittlerweile das zwölfte, soll denn auch in der EU diskutiert werden. Dabei soll ebenfalls ein Augenmerk auf das Stopfen von Schlupflöchern zur Umgehung bisheriger Auflagen gegen Russland gelegt werden.

Orbans „bras d’honneur“ für die Ukraine

Allerdings gibt es EU-Staaten, die weitere Sanktionen gegen Moskau blockieren könnten. Denn seit Donnerstag sitzt mit dem Slowaken Robert Fico ein ausgesprochen Putin-freundlicher Regierungschef in der Runde der 27. Der in dieser Hinsicht seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban nacheifert. Dieser nutzte die Brüsseler Bühne, um seine Begegnung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Peking als einen Einsatz für den Frieden darzustellen. „Wir haben eine Friedensstrategie“, meinte Orban, der sich „alle Kommunikationskanäle“ mit Russland offen halten wolle. Sie seien „die einzigen, die über und für Frieden sprechen“ würden und darauf sei er „stolz“, wie der Ungar weiter ausführte.

Das wird von anderen Gipfelteilnehmer kritisiert. Noch gemäßigt meinte der litauische Präsident, die Ukraine würde auch „für unsere Freiheit kämpfen“. Orban würde mit seinem Treffen mit Putin daher eine „sehr falsche Botschaft“ aussenden, so Gitanas Nauseda. Sehr viel deutlicher wurde der luxemburgische Premierminister. „Das ist gegenüber einem Land, das jeden Tag unter den Raketen und Waffen aus Russland leidet, ein richtiger bras d’honneur“, so Xavier Bettel vor Beginn des Gipfels. Und versprach: „Ich werde drinnen sagen, was ich zu sagen habe.“

Daneben dürfte noch über den mehrjährigen EU-Haushalt geredet werden, der einer Revision unterzogen und um mehrere Milliarden Euro aufgestockt werden soll. Eine Einigung dazu wird wohl erst beim Dezember-Gipfel gefunden werden. Dennoch sollten die EU-Staaten jetzt ihre Prioritäten festlegen und sich überlegen, wo das zusätzliche Geld herkommen soll. Die „Umpriorisierung der Ausgaben“ sei „noch nicht ausgeschöpft“, meinte dazu der deutsche Kanzler. Während der belgische Regierungschef meinte, dass nicht die Staaten mehr zahlen sollten.

Bettels (vorläufig) letzter Gipfel: „Niemand ist unersetzbar“

Für den luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel wird es seine vorläufig letzte Beteiligung an einem EU-Gipfeltreffen als Regierungschef sein. Denn der nächste geplante Europäische Rat findet erst im Dezember statt, bis dahin dürfte die neue Regierung stehen. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn man zehn Jahre hier mitgearbeitet hat“, meinte Xavier Bettel am Donnerstag vor der luxemburgischen Presse in Brüssel. „Es waren schwere Zeiten, als ich angefangen habe, es sind schwere Zeiten, wenn ich aufhöre“, meinte er bedauernd. Er hoffe aber in der nächste Regierung nützlich mit dem zu sein, was er in Brüssel habe lernen können, so der scheidende Regierungschef. Es habe viele Krisen gegeben und meistens seien Lösungen gefunden worden. Man solle daher die Hoffnung nicht aufgeben, gab sich Bettel optimistisch, der zugab: „Ich habe hier viel gelernt.“ Seinem Nachfolger Luc Frieden habe er nichts mit auf den Weg zu geben. „Der weiß, wie es hier zugeht“, meinte Bettel weiter. Immerhin sei dieser unter anderem als Finanzminister oft in Brüssel gewesen. Dass er, neben dem Niederländer Mark Rutte und dem Ungarn Viktor Orban, als einer, der am längsten mit dabei sei, nun gehen müsse, sei in einer Demokratie so: „Niemand ist unersetzbar“, so Xavier Bettel.